Nordkorea, das abgeschottete kommunistische Land, ist in diesem Jahr erstmals zu Gast auf der Sicherheitskonferenz (Siko). Die Briten verfolgen nach ihrem Austritt aus der EU eine neue Militärstrategie, die Pläne des US-Präsidenten Trump mit der Nato könnten sich nochmals ändern und Bundeskanzlerin Angela Merkel scheitert wohl mit ihrem Friedenskonzept für Libyen.
BSZ Herr Professor Jäger, bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz ist erstmals Nordkorea dabei – warum eigentlich so spät, das ist doch ein neutrales Forum, um miteinander ins Gespräch zu kommen?
Thomas Jäger Na ja, ganz so neutral war die Siko zumindest in der Vergangenheit nicht. Ihren Ursprung hat sie in den Beziehungen zwischen den USA und Europa. Wer nicht aus diesem Raum stammt – wie beispielsweise der russische Präsident Wladimir Putin –, musste in München mitunter erhebliche Kritik einstecken. Insofern ist das Zögern mancher autokratischer Regime verständlich. Speziell Nordkorea war in der Vergangenheit massiv isoliert, mit seinen Vertretern wollte sich kein westlicher Politiker fotografieren lassen. Das hat sich erst geändert, als Staatschef Kim Jong-un von US-Präsident Donald Trump durch ein persönliches Treffen diplomatisch geadelt wurde.
BSZ Im Mittelpunkt des Treffens stehen dürfte Nordkorea angesichts der jüngsten geopolitischen Entwicklungen aber nicht, oder?
Jäger Zumindest nur teilweise, die Denuklearisierung, die ja auch Nordkorea und zudem den Iran betrifft, wird schon ein wichtiges Thema sein. Ich erwarte drei Schwerpunkte bei der Veranstaltung. Zuerst die aktuellen Krisen vom Iran über Syrien und den Jemen bis zu Libyen. Dann die Frage, wie es mit der Nato institutionell weitergeht; das war ja bereits 2019 ein großes Thema. Man erinnert sich noch daran, wie Botschafter Ischinger (Wolfgang Ischinger ist der Organisator der Siko, Anm. d. Redaktion) mit seinem blauen Europa-Pullover vorn auf der Bühne stand und verkündete, dass man das mit der Sicherheit jetzt stärker selbst in die Hand nehmen werde, wenn sich die USA zurückziehen.
BSZ Und – können es die Europäer?
Jäger Nein, sie können es nicht. Und die Anzeichen verdichten sich, dass Trump den Konflikt mit den Europäern suchen wird, weil er durch Druck seine Ziele erreicht. Das hat er ja im Handelsstreit mit den nordamerikanischen Nachbarstaaten und China bewiesen. Und Berichte aus dem Weißen Haus geben Hinweise, auch wenn Trump seine früheren Drohungen inzwischen relativiert hat: Eine Nato-Mitgliedschaft der USA ist für ihn weiterhin nicht in Stein gemeißelt. Der dritte Punkt werden die Großmachtsambitionen sein – die Russlands im Nahen Osten und die der Chinesen im pazifischen Raum und Ostasien. Das Programm wird aber auch dadurch bestimmt sein, was in den Tagen unmittelbar vorher passiert und wer überhaupt konkret anreist.
BSZ Spielt der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf in München eine Rolle?
Jäger Ja. Die USA werden weiter einen Kurs militärischer Zurückhaltung fahren. In einem Wahljahr kann Trump kein weiteres militärisches Engagement gebrauchen. Das lässt handlungsbereiten Regierungen wie etwa Russland und der Türkei, die in Syrien und Libyen engagiert sind, größeren Handlungsspielraum.
BSZ Und der Brexit?
Jäger Das sicherheitspolitische Verhältnis Großbritanniens zur EU muss geklärt werden – etwa, welchen Zugriff die Briten in Zukunft auf die Datenbanken der Gemeinschaft haben. Militärisch wird der Austritt aus der EU Großbritannien eher stärken.
BSZ Wieso das?
Jäger Großbritannien war das militärisch handlungsfähigste Mitgliedsland der EU. Es ist eine Nuklear- und eine maritime Macht, es kann Truppen fernab einsetzen und ist in das Spionagenetzwerk Five Eyes (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland, Anm. d. Red.) eingebunden. All diese Verbindungen werden der EU nun fehlen, Großbritannien dagegen kann ohne die EU-Mitgliedschaft sicherheitspolitisch freier agieren.
BSZ Was wird von Gastgeber Deutschland erwartet?
Jäger Schwer zu sagen. In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung immer darauf gedrungen, zur Lösung von Konflikten multilaterale Verfahren anzuwenden und militärische Einsätze abzulehnen. Normativ gesehen sind diese Positionen ja auch sehr sympathisch. Aber sie sind immer weniger erfolgreich. Hinzu kommt, dass die Bundeskanzlerin eine Mitverantwortung dafür trägt, dass die Bundeswehr in diesem Zustand ist, also kaum noch einsatzfähig. Das ist zwar zunächst die Verantwortung der jeweiligen Verteidigungsminister, aber sie hat schließlich die Richtlinienkompetenz.
BSZ Aber mit der Libyen-Konferenz in Berlin konnte Kanzlerin Angela Merkel doch punkten?
Jäger Was hat sie denn konkret erreicht? Eine Reihe von Regierungen haben ihre Unterschrift unter ein Papier gesetzt, aber die Kämpfe gehen weiter. Und wer will die Türkei und Russland auch sanktionieren?
BSZ Apropos Türkei – haben sich die Türken mit diesem Verhalten und zuvor mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien nicht endgültig aus der demokratischen Wertegemeinschaft der Nato katapultiert?
Jäger Trump ist das egal. Und die Europäer und ganz besonders Deutschland hat Erdo(g)an mit dem Flüchtlingsdeal in der Hand, sein Erpressungspotenzial ist groß. Er hat jetzt Einfluss sowohl auf die östliche als auch auf die mittlere Flüchtlingsroute über das Mittelmeer. Und die anderen Nato-Mitglieder werden ihn auch deshalb nicht verschrecken, weil die geostrategische Lage der Türkei zu wichtig ist. Denn dann stünde zu befürchten, dass sich die Türkei noch stärker an Russland anlehnt.
(Interview: André Paul)
Bild im Text: Thomas Jäger (59) ist Professor für Internationale Politik an der Universität Köln.
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