Politik

Ein ehemaliges Gewächshaus beim KZ Dachau. Das Dachauer Konzentrationslager war die Blaupause für alle späteren Lager und Brutstätte der Brutalität. (Foto: Stumberger)

03.01.2025

Gaskammern und Glashäuser

Vor 80 Jahren erfolgte die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – am Ort der Massenvernichtung experimentierten die Nazis auch mit Landschaftspflege

Am 27. Januar 2025 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Soldaten der Roten Armee zum 80. Mal. Mit den Gedenkfeierlichkeiten richtet sich erneut die internationale Aufmerksamkeit auf den Ort der Massenvernichtung. Von 1940 bis 1943 war Rudolf Höß Kommandant des Lagers, seine „Lehrjahre“ hatte der SS-Obersturmbannführer aber im Konzentrationslager Dachau verbracht. Es war die Blaupause für alle späteren Lager und Brutstätte der Brutalität, von Dachau führt ein roter Faden nach Auschwitz.

Und so wie in Dachau mit biologisch-dynamischen Anbau von Gewürzkräutern experimentiert wurde, war auch Auschwitz ein Ort, an dem naturverbundene Verfahren der Landschaftspflege ausprobiert wurden: „Ein ungestörtes Nebeneinander von Glashäusern und Gaskammern“, wie es die Historikerin Sybille Steinbacher in ihrem Buch „Musterstadt Auschwitz“ bezeichnete.

Dachau: Ausbildungsort fürs SS-Wachpersonal

Wer an der Ostseite des mit doppeltem Stacheldraht eingezäunten Stammlagers Auschwitz entlanggeht, stößt schließlich linker Hand auf die Villa des KZ-Kommandanten Höß. Die Villa und der dazugehörige Garten spielten dann auch eine Hauptrolle in dem Kinofilm The Zone of Interest, der das Nebeneinander von Familienidylle mit Blumenbeeten und spielenden Kindern und der danebenliegenden Hölle des Konzentrationslagers zum Thema hat.

Der Filmtitel spielt übrigens auf das „Interessensgebiet“ an, das die SS für ihre Zwecke reklamiert hatte, ein 40 Quadratkilometer großes Gelände, aus dem die polnische Bevölkerung vertrieben wurde. In seinen Aufzeichnungen aus der Haft (Höß wurde 1946 von den Engländern an Polen ausgeliefert und im April 1947 mit dem Strang hingerichtet, wenige hundert Meter von seiner ehemaligen Villa entfernt) beklagt der bekennende Nationalsozialist die menschliche „Unzulänglichkeit und Verbohrtheit“ der ihm zugeteilten SS-Männer. Habe er doch die Absicht gehabt, die Häftlinge „besser unterzubringen und besser verpflegen zu können“ als in den anderen Konzentrationslagern. Doch, ach, die „jahrelange Schulung“ des Menschenquälens in Dachau sei ihnen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass „selbst die Gutwilligsten“ einfach nicht mehr anders handeln konnten.

Der Kommandant von Auschwitz schiebt so seinen Untergebenen die Schuld für die Gräuel des Lagers zu. Richtig ist, dass das KZ Dachau zur Ausbildungsstätte für das SS-Wachpersonal geworden war. Hier lernten sie, was sie später in anderen Lagern anwendeten.

Das Konzentrationslager Dachau wurde im März 1933 eingerichtet, Höß begann dort im Dezember 1934 seine SS-Karriere. Er wurde Blockführer im Lager, war auch für die Zensur der Häftlingspost zuständig. Höß beschreibt die „Erziehung“ der SS-Wachmannschaft zum Hass gegen die Häftlinge: So sei den SS-Männern der Begriff „Gefährliche Staatsfeinde“ so eindringlich und überzeugend „hineingetrommelt“ worden, dass sie fest davon durchdrungen waren. Ziel sei es gewesen, jegliche Mitleidsregung von vornherein zu unterdrücken. Ihr Hass gegenüber den Häftlingen sei für Außenstehende „unvorstellbar“ gewesen. Diese Einstellung habe sich auf alle in den Konzentrationslagern diensttuenden SS-Männer weitervererbt.

Im Konzentrationslager Dachau blühten auf der Grundlage dieses Hasses und dem Morden und Quälen so bizarre Dinge wie der „SS-Kräutergarten“ – eine seltsame Melange aus SS-Schrecken und biologisch-dynamischem Anbau, aus Esoterik und Ausbeutung, aus Terror und Ökonomie. Seit 1938 wurden neben dem Konzentrationslager unter der Trägerschaft der „Reichsführung SS“ durch die Zwangsarbeit der Lagerhäftlinge eine gigantische Heil- und Gewürzkräuteranlage angelegt. 1939 wurden auf einer Fläche von mehr als 100.000 Quadratmetern 68 000 Pfefferminzpflanzen, 106 000 Thymianpflanzen und 30 000 Sträucher, darunter 22 000 Johannisbeersträucher, eingesetzt.

Das ganze Unternehmen stand unter dem Postulat der angestrebten Autarkie des Deutschen Reiches von ausländischen Rohstoffen, es ging um „Deutsche Gewürze“. So waren die auf der Plantage angebauten Gewürze auch Grundbestandteile eines Pfefferersatzgewürzes unter dem Namen „Prittelbacher Pfeffergewürz“.

Die Kräuterplantage war einer der wenigen erfolgreichen SS-Betriebe, 1940 etwa orderte die Waffen-SS für 80 000 Reichsmark 4000 Kilogramm Gewürze, 1943 wurden rund 121 000 Kilogramm Ersatzpfeffer verkauft.

Angebaut wurde biologisch-dynamisch. Der wirtschaftliche Erfolg beruhte auf der Ausbeutung der KZ-Häftlinge. Die Arbeitskommandos mussten pro Tag zwölf Arbeitsstunden leisten, bereits im ersten Jahr hatte das Kommando 107 Tote. Die Arbeit musste ständig in gebückter oder hockender Haltung verrichtet werden, die Überwachung auf dem freien Feld war scharf. Dabei wurden jüdische Häftlinge von den SS-Wachmännern aus der Umzäunung gejagt, um dann niedergeschossen zu werden. Bis 1940 starben 429 Häftlinge auf der Plantage. Einer Anweisung Himmlers zufolge sollten dort vor allem gefangene Geistliche eingesetzt werden.

Himmlers Interesse für biologische Klärweise

Auch in Auschwitz wurde im SS-Interessensgebiet gemäß den Interessen des „Reichsführers SS“ Heinrich Himmler geforscht. Namhafte Experten aus dem Altreich fanden sich dort ein, darunter Reichslandschaftsanwalt Alwin Seifert oder Werner Bauch, Ordinarius für Gartengestaltung an der Technischen Hochschule Dresden. Sie waren im SS-Interessensgebiet damit beschäftigt, Pflanzenkulturen anzulegen und technische Neuerungen in der Klärschlammverwertung und Kompostierung zu entwickeln. Man züchtete Pappeln und legte Frühbeete an, Baumschulen und Großgärtnereien wurden eröffnet. Auf Himmlers Wunsch wurden zudem Methoden der rationellen Müllverwertung und der biologisch-dynamischen Klärweise getestet.

Die schwarzuniformierte Totenkopf-Truppe hatte also quasi eine „grüne“ Neigung. Freilich im Sinne des großen Gesamtplanes, den Osten Europas im Zuge einer deutschen Siedlungspolitik nach rassistischen Gesichtspunkten umzugestalten. So erinnert der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auch an die Anfänge des KZ-Systems in Dachau, dem Schulungsort für Höß und andere KZ-Kommandanten. (Rudolf Stumberger)
 

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