Politik

Damals wie heute treiben Flüchtlinge die Menschen auf die Straße. (Foto: dpa)

25.06.2015

Gauck gegen Seehofer

Darf man deutsche Heimatvertriebene mit Flüchtlingen vergleichen?

Lassen sich die Schwierigkeiten bei der Integration von Flüchtlingen wirklich mit der Situation der deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen? Bundespräsident Joachim Gauck hat das getan - am vergangenen Samstag beim ersten bundesweiten Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) findet das unangemessen.

Warum regt sich Seehofer über diesen Vergleich so auf?
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Bayern über zwei Millionen Vertriebene auf, die meisten aus Böhmen und Mähren. Die CSUmachte sich zur Fürsprecherin, der bayerische Ministerpräsident firmiert bis heute als "Schutzpatron der Sudetendeutschen". Viele Vertriebene und ihre Nachkommen empfinden die Gleichsetzung mit Asylbewerbern als falsch - insbesondere mit Arbeitsmigranten, die nicht vor Krieg und Elend fliehen.

Welche der beiden Gruppen ist größer?
Die Zahl der aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland vertriebenen Deutschen wird auf 12 bis 14 Millionen geschätzt. Die Zahl der Asylbewerber, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, ist deutlich niedriger. Seit 1990 haben rund 3,3 Millionen Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Allerdings erhielten im vergangenen Jahr nur weniger als die Hälfte aller Antragsteller eine Erlaubnis zu bleiben - entweder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder durch einen Gerichtsentscheid. Die Zahl der Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, ist seit 2008 kontinuierlich angestiegen. In diesem Jahr werden so viele Neuankömmlinge erwartet wie seit 1992 nicht mehr.

Lässt sich die Ausgangssituation vergleichen?
In einem Punkt hat Gauck auf jeden Fall Recht: Die wirtschaftliche Lage war im Nachkriegsdeutschland, wo Armut, Hunger und Wohnungsnot herrschten, ungleich schwieriger als heute. Auf der anderen Seite war die Verständigung zwischen den Vertriebenen und den Menschen in den aufnehmenden Gemeinden einfacher. Es gab zwar unterschiedliche Dialekte, aber keine Sprachbarriere. Auch die Kultur und die Lebensgewohnheiten der beiden Gruppen unterschieden sich nicht allzu sehr voneinander. Die Vertriebenen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Lagern und Barackensiedlungen untergebracht. Ein Teil von ihnen wurde bei fremden Familien zwangseinquartiert. Von "Willkommenskultur" war damals wenig zu spüren.

Und was ist mit Integration?
Die Integration der Neuankömmlinge aus den deutschen Ostgebieten war auch deshalb von Spannungen geprägt, weil kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen aus verschiedenen Regionen damals noch stärker wahrgenommen wurden als heute. Wer nicht diskriminiert werden wollte, dem blieb häufig nur die Assimilation. Ausländer gab es in Deutschland damals kaum. Dass bei der Integration von Flüchtlingen und anderen Zuwanderern heutzutage nicht alles rund läuft, ist unbestritten. Vor allem die Tatsache, dass es für die Generation der Gastarbeiter, die anfänglich ja nur vorübergehend hier leben sollten, viele Jahre lang keine Sprachkurse und Integrationskonzepte gab, hat sich gerächt. Die Kommunen wollen nun gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium dafür sorgen, dass Flüchtlinge schneller Deutsch lernen und Arbeit finden.

Und wie funktioniert das in Bayern?
Besser als in vielen anderen Bundesländern. München hat einen weit höheren Ausländeranteil als Berlin, aber kein Problemviertel wie Neukölln. Etwa 530 000 der 1,4 Millionen Münchner haben einen "Migrationshintergrund". Ausländische Kinder erzielen im Schnitt bessere Schulleistungen als ihre Altersgenossen in anderen Ländern. Die Arbeitslosenquote von Ausländern ist in Bayern niedriger als im Bundesdurchschnitt. (Anne-Beatrice Clasmann, Carsten Hoefer, dpa)

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