Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) übt scharfe Kritik an der Arbeit der Flüchtlingsbehörde. Herrmann sagte im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), bei Stichproben von Flüchtlingspässen in Bayern habe es einen erheblichen Anteil von Fälschungen und von nicht zutreffenden Identitäten gegeben - und das obwohl sie zuvor vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Asylverfahren geprüft wurden. "Ich kann nicht verstehen, warum das Bundesamt, das jeden Pass in Ruhe anschauen kann, diese gefälschten Pässe nicht erkannt hat." Der Minister warnte vor Sicherheitsdefiziten. Die Bundesländer müssten sich jetzt schnell damit beschäftigen, wie man damit umgehen wolle, forderte Herrmann weiter: "Ich will das Thema in der kommenden Woche mit Bundesinnenminister de Maizière besprechen, weil es so nicht akzeptabel ist." Auch aus anderen Bundesländern kommt Kritik
Das BAMF wehrt sich gegen den Vorwurf der Schlamperei bei der Überprüfung von Flüchtlingspässen. Es betont, ihm lägen keine konkreten Hinweise aus den Ländern vor, dass vom BAMF akzeptierte Pässe dort beanstandet worden seien - auch nicht aus Bayern. Sofern sich aus konkreten Fällen neue Erkenntnisse ergäben, werde man dies aber "aktiv angehen".
Am Dienstag waren in Schleswig-Holstein drei Terrorverdächtige festgenommen worden, die Ende 2015 mit mutmaßlich gefälschten Pässen die Grenze überquert hatten. Die Behörden hatten jedoch frühzeitig erkannt, dass ihre Pässe wohl aus einer Druckerwerkstatt der Terrormiliz IS stammten, und sich deshalb an ihre Fersen geheftet.
Es ist seit langem bekannt, dass ein Teil der seit 2015 zu Hunderttausenden nach Deutschland eingereisten Asylbewerber bei der Registrierung falsche Pässe vorlegte. Der weitaus größte Teil der Schutzsuchenden hatte überhaupt keine Dokumente bei sich. Das BAMF versichert, man unternehme alle Anstrengungen, um gefälschte Papiere zu identifizieren. So seien seit März 2016 von 53 603 geprüften Dokumenten 3311 beanstandet worden. Dies sei ein Anteil mutmaßlicher Fälschungen von ungefähr sechs Prozent.
Nach rbb-Recherchen stellten bayerische Fahnder allerdings allein in Garmisch-Partenkirchen bei einer Stichprobe 19 gefälschte Pässe sicher. In Mecklenburg-Vorpommern überprüfe man derzeit rund 3300 Pässe, unter denen sich 140 gefälschte syrische Pässe fanden. Vier davon habe das BAMF vorher mit Gutachten für echt erklärt. Drei der gefälschten Identitäten würden dem Umfeld des IS zugeordnet.
Als Konsequenz will die Brandenburger Generalstaatsanwaltschaft beim BAMF die Datensätze von rund 18 000 Flüchtlingen beschlagnahmen lassen. Die Behörde verweigert die Herausgabe der Daten. Der Staatsanwaltschaft sei es konkret um Anzeigen wegen illegaler Einreise gegangen, erklärte das BAMF. Die Übermittlung sei unverhältnismäßig, weil solche Strafverfahren von den Gerichten wegen späterer Asylanträge in der Regel wieder eingestellt würden.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat deshalb in 50 Musterfällen Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbeschlüsse beim Amtsgericht beantragt. In 18 Fällen wurden diese bereits abgelehnt. Zudem wurde eine erste Beschwerde beim Landgericht abgewiesen.
Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka verlangt Aufklärung von de Maizière. "Der Bundesinnenminister soll erklären, wie es dazu kommen konnte, dass beim BAMF offenbar nicht sorgfältig gearbeitet wurde", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Jeder Fall eines mit falschen Papieren eingereisten Flüchtlings ist einer zu viel. Wir müssen wissen, wer bei uns im Land ist." (epd, dpa)
Fakes und Finten: Hat das Flüchtlingsbundesamt geschlampt?
Mikroskop, Kaltlicht, Computerabgleich: Das BAMF unternimmt einiges, um gefälschte Flüchtlingspässe aufzuspüren. Nicht genug, meinen mehrere Bundesländer. Ein Vorstoß aus Brandenburg wirkt geradezu aberwitzig.
Die Vorwürfe von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gingen ins Leere. Kaum hatten die Ermittler letzte Woche die drei Terrorverdächtigen in Norddeutschland festgenommen, wetterte der CSU-Politiker, der Fall zeige "die eklatanten Kontrolllücken beim immensen Flüchtlingsstrom". Dabei war hier das Gegenteil der Fall: Gerade weil den Behörden aufgefallen war, dass die Pässe aus einer Fälscherwerkstatt des IS stammten, konnten sie das Trio monatelang beobachten und dann festnehmen. Jetzt legt Herrmann nach, und mit ihm andere Bundesländer. Sie werfen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg vor, es habe wiederholt gefälschte Pässe nicht erkannt.
Wie groß ist das Problem mit gefälschten Pässen?
Das ist schwer zu sagen, weil naturgemäß niemand weiß, wie viele Fälschungen unerkannt bleiben. Das Nürnberger Bundesamt (BAMF) hat nach eigenen Angaben seit März von 53 603 geprüften Dokumente 3311 beanstandet. Das heißt, rund sechs Prozent waren mutmaßlich gefälscht. Das größere Problem sind aus Sicht der Behörden aber fehlende Papiere. Laut Bundesinnenministerium hatten 92 Prozent der Asylsuchenden, gegen die die Bundespolizei von Januar bis Juli Strafanzeige wegen unerlaubter Einreise erstattet hat, kein gültiges Reisedokument dabei.
Was passiert in solchen Fällen?
Wer ohne gültigen oder mit gefälschtem Pass nach Deutschland einreist, macht sich strafbar. Nach Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen die Staaten allerdings keine Strafen wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts gegen Flüchtlinge verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren. Voraussetzung ist, dass sie sich sofort bei den Behörden melden. Sie werden weder zurückgeschickt noch vom Asylverfahren ausgeschlossen. Das will die CSU allerdings ändern - sie fordert ein Einreiseverbot für Flüchtlinge ohne gültige Papiere.
Warum ist es so schwer, die Echtheit von Flüchtlingspässen zu prüfen?
Zum einen fehlt in aller Regel der Zugriff auf Vergleichs- oder Originalunterlagen im Herkunftsland. Das gilt insbesondere bei Ländern wie Syrien oder dem Irak, wo die staatliche Infrastruktur weitgehend zusammengebrochen ist. Zum anderen ist bekannt, dass die Terrormiliz IS in Syrien, Irak und Libyen 2015 bei der Eroberung mehrerer Städte viele echte Passdokumente erbeutet hatte. Im syrischen Al-Rakka sollen den Terroristen damals rund 3800 syrische Blanko-Reisepässe in die Hände gefallen sein.
Wie geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor?
Bei der Prüfung zweifelhafter Pässe oder anderer Dokumente erhält das BAMF Unterstützung von der hauseigenen physikalisch-technischen Urkundenstelle (PTU). Die Experten können auf rund 6000 Dokumente aus rund 70 Ländern zurückgreifen. Sie setzen hochauflösende Mikroskope, Kaltlicht und computerbasierte Dokumentenprüfsysteme ein. Außerdem werden Dokumente wie Geburts- und Heiratsurkunden in die Prüfung einbezogen, im Zweifel Sprachanalysen vorgenommen und Ortskenntnisse abgefragt.
Sind alle Asylbewerber in Deutschland überprüft worden?
Nein. Im Herbst 2015 reisten Tausende ohne Registrierung ein, die Behörden kamen bei der Aufnahme einfach nicht mehr nach. Und bei denen, die registriert wurden, war die Erfassung wohl auch nicht allzu verlässlich. Noch im November 2015 kritisierte der Personalrat des Bundesamtes die beschleunigte Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern ohne Identitätsprüfung sowie eine viel zu schnelle Ausbildung der neuen Entscheider.
Was hat sich seither getan?
Viel. Seit Anfang des Jahres wird jeder Flüchtling bei seinem ersten Kontakt mit deutschen Behörden registriert. Persönliche Daten, Lichtbild und Fingerabdrücke werden zentral gespeichert, die Daten zwischen den Behörden ausgetauscht. Dazu wurde Mitte Februar der "Ankunftsnachweis" eingeführt. Wer vorher eingereist ist, wird nachträglich erfasst. Da die Mehrzahl der Nachregistrierungen bereits abgeschlossen sei, sei davon auszugehen, dass die allermeisten "mittlerweile polizeilich überprüft und im zentralen Kerndatensystem erfasst sind", erklärt das Bundesinnenministerium.
Trotz ist das Misstrauen in manchen Ländern groß. Was ist von dem Vorstoß Brandenburgs zu halten, Akten des BAMF zu beschlagnahmen?
Der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg verlangt vom Bundesamt die Herausgabe von 18 000 Datensätzen, um die Identität der Flüchtlinge zu überprüfen, die im Herbst 2015 ins Land gekommen sind. Das BAMF lehnt das als unverhältnismäßig ab. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat daher in 50 Musterfällen Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbeschlüsse beantragt. Sie ist damit bereits in 18 Fällen vor dem Amtsgericht und einem auch schon vor dem Landgericht gescheitert. Mancher Experte schüttelt den Kopf bei der Vorstellung, dass ein Staatsanwalt ohne konkreten Anfangsverdacht massenweise Daten beschlagnahmen lassen könnte. (dpa)
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