Susanne Gentsch (Name geändert) war verzweifelt. Die 57-Jährige ist wegen Betrug zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Mutter dreier Kinder hat ihr Leben lang gearbeitet. Doch durch die körperlichen und psychischen Erkrankungen nach ihrer Scheidung konnte sie nicht mehr arbeiten und geriet in die Arbeitslosigkeit. Die Erwerbsminderungsrente reichte nicht mehr, um die Raten an die Staatsanwaltschaft zahlen zu können – sie hätte also ersatzweise ins Gefängnis gemusst. Die Lösung: gemeinnützige Arbeit leisten. „Nach mehreren Anfragen bei unterschiedlichen Einsatzstellen kam eine Zusage von einer Kirchengemeinde“, erzählt Iris Grönecke-Kümmerer von der Straffälligenhilfe des Sozialdiensts katholischer Frauen in München. Mit Einverständnis der Staatsanwaltschaft arbeitet Gentsch jetzt 20 Stunden die Woche – „zuverlässig und gerne“, wie Grönecke-Kümmerer versichert.
Das Programm des bayerischen Justizministeriums nennt sich „Schwitzen statt Sitzen“. Bundesweit sitzen rund 5000 Menschen im Gefängnis, weil sie die vom Gericht verordnete Geldstrafe nicht zahlen können. Die meisten von ihnen sind arbeitslos, kommen aus einem schwierigen sozialen Umfeld oder haben ein Suchtproblem. In Bayern sitzen rund 700 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab – knapp sechs Prozent aller Gefangenen. Das kostet Staat und Steuerzahler wegen der Haftkosten von über 100 Euro pro Tag viel Geld. Durch „Schwitzen statt Sitzen“ blieben im Jahr 2018 rund 2150 Verurteilten 58 000 Hafttage erspart. Das ist eine Win-win-Situation für die Verurteilten, weil sie ihr soziales Umfeld nicht verlassen müssen. Und für die Justiz, weil dadurch die teuren Haftplätze für echte Kriminelle genutzt werden können.
Bei den Tätigkeiten handelt es sich um Reinigungs- und Handwerksarbeiten, in geringerem Umfang ist auch ein Einsatz in der Küche, in Altenheimen, Sportanlagen, Friedhöfen oder in der Verwaltung möglich. An Einsatzstellen mangelt es nicht. „Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen das Konzept oder gemeinnützig Arbeitende“, räumt Nicole Lehnert von der Münchner Zentralstelle für Straffälligenhilfe (MZS) ein. Manche Einrichtungen würden daher keine Menschen mit Suchtproblematik oder mit dem Hintergrund eines Sexualdelikts annehmen. „Der Großteil der Einrichtungen ist jedoch mit dem Einsatz der gemeinnützig Arbeitenden zufrieden“, versichert Lehnert. Nur auf dem Land sei manchmal mehr Akquisearbeit nötig, um geeignete Stellen zu finden.
Ein weiteres Programm geht einen anderen Weg. Es will mittellose Geldschuldner dadurch vor dem Knast bewahren, dass es ihnen eine Ratenzahlung der Geldstrafe ermöglicht wird. Der etwas sperrige Name: „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“. So funktioniert es: Wenn der Verurteilte Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe bezieht, geht ein Teil davon an soziale Träger wie die Caritas. Die sorgt dann dafür, dass monatlich zwischen zehn und 50 Euro abgestottert werden. Das Programm kann auch mit „Schwitzen statt Sitzen“ kombiniert werden. Der Pilotversuch startete im September 2018 in München unter dem damaligen Justizminister Winfried Bausback (CSU). Innerhalb von zwölf Monaten konnte so in 76 Fällen eine Ersatzfreiheitsstrafe vermieden werden. Welchem prozentualen Anteil das entspricht, vermochte das Ministerium nicht zu sagen. Bausbacks Nachfolger Georg Eisenreich (CSU) hat das Projekt im September 2019 auf ganz Bayern ausgedehnt.
Schwitzen statt Sitzen
Ob das Programm funktioniert, muss sich noch zeigen. „Viele unserer Klienten leben bereits am Existenzminimum“, erklärt Sozialpädagogin Grönecke-Kümmerer. Da bleibe nicht mehr viel Geld zum Abstottern der Strafe übrig. Dennoch begrüßen sie und andere bayerische Sozialträger die Einführung der Geldverwaltung – vorausgesetzt, die Raten der Verurteilten würden nicht zu hoch angesetzt.
Vergleichbare Projekte gibt es auch in anderen Ländern. Niedersachsen etwa wendet die Möglichkeit der Geldverwaltung seit rund zehn Jahren an. Dort ist der Zahl der Verurteilten, die diese Möglichkeit nutzen, seither kontinuierlich auf 2200 Personen im Jahr 2018 gestiegen. Knapp 25 Prozent dieser Maßnahmen seien erfolgreich, in 70 Prozent der Fälle liefen die Zahlungen noch, heißt es aus dem niedersächsischen Justizministerium. „Lediglich 3 bis 5 Prozent der Fälle gelten als gescheitert.“
Offizielle Statistiken, aus welchen Gründen Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen, existieren zwar nicht. Wer mit Fachleuten spricht, hört aber immer wieder denselben Grund: Schwarzfahren. Daher wünschen sich alle angefragten Sozialträger, dass Bagatelldelikte nicht mehr strafrechtlich belangt werden sollen. „Die anfallenden Kosten im Rahmen der Strafverfahren und gegebenenfalls der Ersatzfreiheitsstrafe stehen in keinem Verhältnis zum entstandenen Schaden“, klagt MZS-Chefin Lehnert. Auch versteht sie nicht, warum das Justizministerium zwar stolz auf das neue Geldverwaltungsprogramm ist, die finanzielle Förderung des Freistaats aber nicht die tatsächlichen Ausgaben der Sozialeinrichtungen deckt.
Im Landtag kommen die Programme zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gut an. Die Grünen fordern aber, bei den Verurteilten stärker dafür zu werben. Grundsätzlich müsse auch darüber diskutiert werden, wie sinnvoll Ersatzfreiheitsstrafen für Bagatelldelikte wie Schwarzfahren überhaupt sind, sagt der Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl. „Bayern wird nicht sicherer, wenn wir Kleinkriminelle mit Schwerstkriminellen zusammen in den Justizvollzugsanstalten unterbringen.“ Für die AfD hingegen sollte das Strafrecht nicht der Resozialisierung, sondern in erster Linie der Bestrafung der Täter dienen.
Die Programme dürften daher nur in „begründeten Einzelfällen“ eine Ergänzung des Strafvollzugs sein.
Ändern wird sich zeitnah weder in die eine, noch in die andere Richtung etwas. Auf BSZ-Anfrage teilt das Justizministerium mit, es setze sich nicht für eine Reform der Ersatzfreiheitsstrafe ein. Damit bleibt Schwarzfahren auch weiterhin eine Straftat. (David Lohmann)
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