Politik

Heinrich Oberreuter. (Foto: Akademie für politische Bildung)

11.09.2020

"Gestaltungskompetenz hat Affären stets überstrahlt"

75 Jahre CSU: Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter über aktuelle und frühere Herausforderungen der Partei, Corona-Strategien und Söders Zukunft

Die CSU wird 75 – und kann ihr Jubiläum in Corona-Zeiten nicht groß feiern. Anlässlich des Parteijubiläums sprachen wir mit dem Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter (77) – selbst CSU-Mitglied und seit Jahrzehnten ein intimer Kenner des Innenlebens der christsozialen Partei.

BSZ: Herr Oberreuter, im Rückblick auf 75 Jahre CSU: Ist es schon mal vorgekommen, dass ein CSU-Vorsitzender bundesweit so hohe Zustimmungswerte hatte wie jetzt Markus Söder?
Heinrich Oberreuter: Das hat es noch nie gegeben. Es gab zwar immer Vorsitzende beziehungsweise Ministerpräsidenten, die ein hohes Ansehen hatten, aber solche Höhenflüge in den Umfragen hat keiner von ihnen erreicht, nicht mal Franz Josef Strauß.

BSZ: Wie kommt’s?
Oberreuter: Söder hat in so noch nie da gewesener Situation eine konsequente Linie vertreten, in deren Mittelpunkt immer stand, die Menschen bestmöglich vor Ansteckung und Krankheit zu schützen. Man hatte dabei nie den Eindruck, dass er opportunistisch agiert. Insofern ist verständlich, dass ihm die Organisationspannen bei den Corona-Tests im Ansehen kaum geschadet haben. Aber man muss natürlich sehen, dass ihm die Rolle, die er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz hatte, auch immer die Chance verlieh, gemeinsam mit der Kanzlerin aufzutreten. Das hat seinem Bekanntheitsgrad wie auch seiner Popularität enorm geholfen.

BSZ: Haben Sie nicht den Eindruck, dass er mittlerweile überzieht? Seine Umfragewerte sind ja auch leicht gesunken.
Oberreuter: Es wäre ja ein Wunder, wenn die Zustimmungswerte ewig so blieben. Doch immerhin ist er weiterhin der Kandidat, dem eine Mehrheit von 56 Prozent der Befragten die Kanzlerschaft zutraut.

BSZ: Im Landtag stöhnt selbst der Koalitionspartner Freie Wähler, dass die Corona-Krise eine Art Perpetuum mobile für Söders Beliebtheit ist: Je mehr Angst die Menschen haben, desto mehr Zuspruch hat Söder.
Oberreuter: Es ist beileibe nicht so, dass Söder hier Ängste schürt, er ist ja nicht Trump. Söder hat ehrliches Interesse an der Problemlösung, das sollte man ihm abnehmen. Ich glaube nicht, dass er es bedauern würde, wenn klar würde, dass die Situation beherrschbar geworden ist.

BSZ: Wie beurteilen Sie Söders Chancen als Kanzlerkandidat?
Oberreuter: Es hat bisher jedenfalls noch keinen CSU-Kanzlerkandidaten gegeben, der nicht gesagt hätte, nein, nein, ich mach das nicht, aber auch noch keinen, der nicht heimlich gedacht hat, es wäre doch gar nicht schlecht, wenn ich das machen würde. Und jeder hat gewartet, dass man ihn bittet. Söder sagt: Mein Platz ist in Bayern, er sagt aber auch: Kanzlerkandidat soll derjenige sein, der den C-Parteien am meisten nützt. Heißt: Es kann eine Situation geben, in der er der Union am meisten nützt – und in der die CDU in einer Situation ist, in der es ihr vernünftiger scheint, einen Bayern zu schlucken als sich zu zerfleischen oder keinen präsentablen Kandidaten zu haben. Das war immer so: Ohne die Krisen der CDU wäre weder Strauß Kandidat geworden noch Stoiber. Vorstellbar ist, dass die CDU in ihrem Elend mit drei nicht ganz so überzeugenden Kandidaten irgendwann sagt, warum nicht den Ausweg über Bayern nehmen.

„Die CSU hat es immer geschafft, Volkspartei zu bleiben“


BSZ: Wie beurteilen Sie die CDU-Kandidaten Spahn, Laschet, Röttgen und Merz?
Oberreuter: Spahn ist ja kein eigenständiger Kandidat, er wäre das nur, wenn er seine Abmachung mit Laschet kündigt, was sich derzeit nicht abzeichnet. Röttgen halte ich für einen Außenseiter. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Merz und Laschet, wäre ich sehr zurückhaltend. Letzterem würde ich eine gewisse konzeptionelle und auch eine gewisse Führungsschwäche attestieren, Merz wiederum Egozentrik und auch eine gewisse zeitliche Distanz zum Politikbetrieb. Mich überzeugen beide nicht.

BSZ: Lassen Sie uns zurückblicken auf die vergangenen Jahrzehnte. Mit Blick auf politische Visionen, Anstand, Medienwirksamkeit, Teamplay: Wer war da jeweils herausragend unter den CSU-Chefs?
Oberreuter: Beim Thema Visionen würde ich Alfons Goppel nennen. In dessen Amtszeit wurden die wichtigsten reformatorischen Weichenstellungen zur tiefgreifenden Industrialisierung sowie zur landesweiten und in die Fläche ausstrahlenden Bildungsexpansion im Schul- und Hochschulsystem vorgenommen. Auch Franz Josef Strauß muss man hier nennen – er hat Bayern wirtschaftlich vorangebracht, durch Sensibilität für Hochtechnologie und Internationalisierung. Edmund Stoiber wiederum hat wirtschaftspolitisch bedeutende Weichen gestellt mit der Privatisierung von Staatseigentum und dem Fokus auf Zukunftstechnologien. Beim Stichwort Anstand und Moral würde ich Hans Ehard nennen, auch Hanns Seidel und Alfons Goppel, schließlich Theo Waigel, dessen Memoiren nicht umsonst den Titel tragen: Ehrlichkeit ist eine Währung. Aber in diesem Kontext sind Urteile von außen mangels tieferer Einsichten ohnehin relativ. Bei der Medienwirksamkeit fallen mir Strauß, Stoiber und Söder ein. Beim Aspekt Teamplay liegen Ehard und Seidel vorne, weil sie nur durch diese Tugend tiefe und gefährliche Spaltungen der Partei überwinden konnten, wobei unter ganz anderen Bedingungen später auch Strauß und Stoiber immer auch Widerspruch gesucht haben. Bei Stoiber hat das irgendwann leider aufgehört, das war dann ja auch der Anfang vom Ende für ihn.

BSZ: Wo sehen Sie die größten Veränderungen in der CSU, zum Guten wie auch zum Schlechten?
Oberreuter: Die CSU hat es immer geschafft, Volkspartei zu bleiben, sich anzupassen an aktuelle Veränderungen, das ist schon eine Leistung. Auf der anderen Seite: Die Ernsthaftigkeit in der politischen Argumentation ist mitunter auf der Strecke geblieben, Opportunismus trat in den Vordergrund, was auch mit den Veränderungen in der Medienlandschaft und dem Erstarken der sozialen Medien zu tun hat.

BSZ: Die CSU ist deutschlandweit sicher die affärengeschütteltste Partei: Doch Spielbanken-, Amigo-, Zwick- und andere Affären sind an den Christsozialen spurlos vorüber gegangen. Warum?
Oberreuter: Weil ihre Gestaltungskompetenz letztlich Affären immer überstrahlt hat. Sie war im Grundsatz überwiegend, und wenn es Defizite gab, relativ schnell wieder auf der Höhe der Zeit. Das gereichte nicht nur dem ganzen Land und seinen Bürgern zum Vorteil, sondern führte das in der Nachkriegszeit eher unvorteilhaft aufgestellte Bayern an die Spitze in Deutschland.

BSZ: Was wünschen Sie der CSU zum Geburtstag?
Oberreuter: Die Einsicht, dass die Demokratie ein System ist, in dem auch andere recht haben können, Demut angesichts vollbrachter Leistungen und dass sie bei der Zukunftsgestaltung weiterhin Kompetenz zeigt.
(Interview: Waltraud Taschner)

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