Politik

Auch Würzburg hatte gegen die Ergebnisse des Zensus geklagt. (Foto: dpa)

21.09.2018

Gewinner und Verlierer in Bayern

Berlin und Hamburg klagten vor dem Bundesverfassungsgericht erfolglos gegen den Zensus 2011 – auch für den Freistaat und seine Kommunen ging es um viel Geld

Der Zensus 2011 war eine logistische Herausforderung: Rund 80 000 Interviewer befragten fast acht Millionen in Deutschland lebende Menschen. Die Statistikbehörden ermittelten nicht nur, wie viele Frauen, Männer und Kinder überhaupt noch in der Bundesrepublik leben – sie fragten auch diverse demografische Daten wie den Bildungsgrad oder die Wohnverhältnisse ab.

Die damals eruierten Einwohnerzahlen werden bis 2021 als Grundlage für diverse Berechnungen genutzt. So fließt die Anzahl der Einwohner etwa mit in die Berechnung des Länderfinanzausgleichs ein und ist für die Einteilung von Wahlkreisen mitentscheidend. Auch die Verteilung von Steuermitteln an die Kommunen beruht auf den Zensus-Ergebnissen. Denn je mehr Einwohner eine Stadt hat, desto mehr Steuereinnahmen bekommt sie zugeteilt. Für viele Städte und Bundesländer ging es beim Zensus deshalb um hohe Millionensummen.

Insgesamt verringerte sich die Zahl der Einwohner in Deutschland den Zensus-Zahlen von 2011 zufolge um 1,5 Millionen auf 80,2 Millionen. Als das Bundesamt für Statistik im Jahr 2013 die Ergebnisse der Volkszählung bekannt gab, verlor Berlin auf einen Schlag statistisch rund 180 000 Einwohner, auch Hamburg wurde von den Statistikern mit fast 83 000 weniger Einwohnern veranschlagt. Viele andere Städte und Gemeinde schrumpften statistisch ebenfalls und verloren damit zugleich Einnahmen – auch zahlreiche bayerische Kommunen waren betroffen.

Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs bekommt allein Berlin seither 470 Millionen Euro pro Jahr weniger zugeteilt. Die Stadtstaaten Hamburg und Berlin klagten deshalb 2015 beim Bundesverfassungsgericht gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem Zensus zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen. Karlsruhe wies die Klage jedoch am vergangenen Mittwoch ab.

Die Stadtstaaten hatten sich insbesondere daran gestört, dass 2011 nicht wie noch bei der Volkszählung 14 Jahre zuvor alle Haushalte, sondern nur eine Stichprobe befragt wurde. Berlin und Hamburg kritisieren zudem die abweichende Erhebungsmethode in Orten mit weniger als 10 000 Bewohnern im Vergleich zu größeren Städten. Letztere seien bei diesem Verfahren im Vergleich zu kleineren Ortschaften benachteiligt worden – in der Folge würden Flächenstaaten im Länderfinanzausgleich verglichen mit Stadtstaaten privilegiert.

Auch 54 bayerische Kommunen hatten gegen den Zensus geklagt

Dieter Sarreither, Präsident des Statistischen Bundesamts, hatte vor Gericht eingeräumt, dass kleine Gemeinden bei der Berechnung der Einwohnerzahl „besser weggekommen“ seien als größere Städte.

Generelle Zweifel am Ergebnis des Zensus hatte jedoch seine Behörde ebenso wenig wie der Bund vorgebracht. Es sei nicht zu beanstanden, dass sich der Gesetzgeber für einen registergestützten Zensus entschieden habe, sagte am Mittwoch auch Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Die Methode sei zudem kostengünstiger. Geringe Ungenauigkeiten sind aus Sicht des Gerichts hinnehmbar.

Für die bayerische Staatskanzlei, die eine Anfrage der Bayerischen Staatszeitung unbeantwortet ließ, dürften das gute Nachrichten sein. Zwar verlor auch der Freistaat durch den Zensus von einem Tag auf den anderen 1,2 Prozent seiner Einwohner, bundesweit fiel das Minus mit im Schnitt 3,1 Prozent jedoch weit höher aus. Daher standen Bayern seither mehr Steuermittel zu.

Hätten Berlin und Hamburg gewonnen, müsste der Freistaat, der noch immer mehr als die Hälfte der Milliarden-Lasten des Länderfinanzausgleichs bezahlt, wohl noch mehr Mittel an andere Regionen der Republik überweisen. Denn aufgrund des Zensus 2011 bekommen allein Berlin und Hamburg auf zehn Jahre gerechnet rund sechs Milliarden Euro weniger aus dieser Umverteilungskasse.
Auch viele Kommunen im Freistaat zählen zu den Gewinnern des Zensus 2011, weil sie seither unterm Strich mehr Steuergelder bekommen.

Doch es gibt auch zahlreiche Verlierer. Rund 340 Kommunen hatten bundesweit bei Verwaltungsgerichten Klagen gegen den Zensus eingereicht – 54 davon aus Bayern. So etwa das oberbayerische Waldkraiburg und Würzburg. Zunächst wurden in Waldkraiburg nach Bekanntgabe der Zensus-Zahlen über 2000 Einwohner weniger gezählt, in der Stadt am Main waren es sogar fast 10 000. Eine Musterklage der Stadt Amberg ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht anhängig, war jedoch wegen des Karlsruher Verfahrens auf Eis gelegt worden.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geben Experten den Klagen der bayerischen Kommunen jedoch keine realistische Chance auf Erfolg mehr. Einzelne Städte prüfen aber, ob sie dennoch weiterklagen werden. (Tobias Lill)

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