Politik

Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze und ihr „Master of Klingelwahlkampf“, Wahlkampfhelfer Georg Nitsche in München-Schwabing. (Fotos: loh)

07.09.2018

Grünes Klingelputzen

Serie Wahlkampf in Bayern – Teil 2 (Grüne): Katharina Schulze kämpft an Haustüren um ein Direktmandat und dafür, die Grünen zur zweitstärksten Partei in Bayern zu machen

Die Reaktionen, wenn nach Feierabend ein Politiker vor der Wohnungstür steht? Überraschend positiv – zumindest an diesem Tag mit Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze in Schwabing. „Haustürwahlkampf ist ein super Stimmungsbarometer“, sagt sie. Doch nicht alle ihre Wähler wollen die Grünen auch in der Regierung sehen.

„Servus, ich bin Katharina Schulze, ihre örtliche Kandidatin für die Landtagswahl.“ Dieser Spruch öffnet der grünen Spitzenkandidatin beim Haustürwahlkampf in München-Schwabing zwar nicht unbedingt jedes Herz, aber überraschend viele Türen. „Wow!“, entfährt es einem jungen Mann, als Schulze plötzlich persönlich vor seiner Tür steht. „Ich kenne Sie vom Plakat“, ruft eine Frau um die dreißig freudig. Selbst ein Rentner, der sein Leben lang schwarz gewählt hat, bekennt: „Dieses Mal werde ich Sie wählen.“ Bei solchen Sätzen sagt die 33-jährige Schulze dann immer „Yes“, manchmal quietscht sie auch regelrecht vor Glück.

Tatsächlich stehen die Grünen in Bayern derzeit so gut da wie noch nie. Laut der Webseite wahlkreisprognose.de führt Schulze ihren Münchner Wahlkreis 104 derzeit sogar bei den Erststimmen an. Bis zu fünf Direktmandate im Freistaat sagt die Webseite der Partei voraus. Obwohl viele altgediente Abgeordnete aufhören, sah das Umfrageinstitut Forsa die Grünen im August bayernweit bei 17 Prozent. Schulze hält die positiven Reaktionen an den Wohnungstüren daher für durchaus repräsentativ. „Der Haustürwahlkampf ist ein super Stimmungsbarometer, weil die Menschen einem alles ganz unverblümt sagen“, erzählt sie.

Jetzt gilt es, nicht übermütig zu werden. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren waren die Umfragewerte ähnlich gut – dann grätschten die Bundes-Grünen mit dem Veggieday dazwischen. Ein verordneter fleischloser Tag in Kantinen kam bei den Wählern alles andere als gut an, die Grünen in Bayern stürzten von zwischenzeitlich 16 auf 8,6 Prozent ab. Das passiert bei dieser Wahl nicht, versichert Schulze. „Ich bin mit den Bundes-Grünen super vernetzt und spreche mich regelmäßig mit Anton und Annalena ab.“ Gemeint sind Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter und die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock.

Eine Koalition mit der CSU? Ja, aber nicht um jeden Preis

Sollte die CSU nach der Landtagswahl auf einen Koalitionspartner angewiesen sein, ist es also nicht ausgeschlossen, dass Schulze als grüne Ministerin an einem Kabinettstisch mit der CSU sitzt. Darauf angesprochen verdunkelt sich ihre Miene. Also doch lieber Oppositionsführerin? Eindeutig festlegen will sie sich nicht. Natürlich fragen auch die Menschen an den Wohnungstüren danach. Manche fordern, eine Koalition mit der CSU einzugehen – andere drohen für diesen Fall mit dauerhaftem Stimmentzug. „Wir wollen in diesem Land etwas verändern“, sagt Schulze dann immer. „Aber nicht um jeden Preis.“

Schulze gilt als pragmatisch. Schon früh hat sie im Landtag das Gespräch zu den jüngeren CSU-Abgeordneten gesucht – viele sind inzwischen innerhalb der Fraktion aufgestiegen. Mit einigen gibt es sogar Überschneidungen in der Asylpolitik, beispielsweise beim Bleiberecht für abgelehnte, aber gut integrierte Asylbewerber. Für viele ältere CSU-Abgeordnete ist die angriffslustige und reformwütige Grüne eine „Made im Speck“, die Bayern kaputtmachen will. Was also sind Schulzes rote Linien für eine Koalition? „Wir machen nicht mit, wenn die CSU weiter die Brandmauern gegen Rassismus einreißt“, sagt sie. Da helfe es dann auch nicht mehr, wenn einige junge CSUler „ganz nett“ seien.

Den AfDlern, die nach der Landtagswahl voraussichtlich im Maximilianeum sitzen, will Schulze nicht die Hand geben. Sie ist auch Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus und hat sich bereits mit den Grünen in Baden-Württemberg Strategien überlegt. Im Herzen Schwabings will keiner die AfD wählen – das sagen an diesem Abend zumindest selbst die noch unentschlossenen Wähler. „Hässlich“, nennt eine Frau um die vierzig die Ereignisse von Chemnitz. „Da jagt bei uns im Jahr 2018 ein Nazi-Mob Ausländer“, empört sich Schulze und schüttelt den Kopf. Sie verspricht, sich weiter für mehr Menschlichkeit und eine Politik einzusetzen, „die Mut gibt, statt Angst macht“.

Immer wieder spricht Schulze auch die in ihren Augen überflüssige bayerische Grenzpolizei an. „Don’t touch my Schengen“, rief sie bei deren Einführung im Sommer im Landtag Richtung CSU. Finger weg von meinem Schengen. Grundsätzlich befürworten auch die Grünen mehr Polizeibeamte in Bayern – ein Kompromiss in einer Koalition mit der CSU wäre also auch hier möglich. Die Menschen an den Türen gehen aber kaum auf die Grenzkontrollen ein. Wichtiger sind ihnen die Themen Arbeit, Mieterschutz und soziale Sicherheit. Also redet Schulze über Chancengerechtigkeit, den Bau von Sozialwohnungen und die Bekämpfung der Altersarmut. „Die CSU hätte das alles ändern können – tut’s aber nicht.“

Dass Schulze es auch mit harten Hunden aufnehmen kann, zeigt sich an der nächsten Tür. Nur mit Mühe kann das Herrchen sein Tier am Halsband davon abhalten, Schulze anzuspringen. „Oh Gott“, flüstert sie leise. Doch obwohl der Vierbeiner unablässig bellt, lässt sich Schulze nicht aus dem Konzept bringen. Erst als die Tür wieder in Schloss fällt, entfährt es ihr: „Ich hatte die ganze Zeit voll Angst.“ Eine Wohnung mit Hund auszulassen kommt für sie trotzdem nicht in Frage. Schulze ist ehrgeizig. Mit 25 Jahren war sie schon Vorsitzende der Münchner Grünen, mit 28 Jahren wurde sie in den Landtag und mit 32 Jahren zur Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Nur fünf Minuten pro Tür? Das fällt Schulze schwer

Die nächsten Türen sind für Schulze wieder ein Kinderspiel. „Welche Themen sind Ihnen wichtig“, fragt sie. „Umwelt“, antwortet eine ältere Dame. Begeistert legt Schulze wie auf Knopfdruck los, erzählt vom grünen Volksbegehren gegen Flächenfraß, von der Rettung kleinbäuerlicher Strukturen und Umweltbildung an Schulen. Eine Dame um die fünfzig nennt Gleichberechtigung als Thema. Wieder legt Schulze los, prangert die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen an. „Als Feministin sag’ ich Ihnen, im Jahr 2018 muss sich das ändern.“ Das lasse sie sich von „Seehofer, Söder und AfD“ nicht nehmen. Man merkt, dass die Antworten ein Potpourri ihrer Landtags- und Wahlkampfreden sind, trotzdem klingt es nicht heruntergeleiert.

Schulze sagt, sie liebt den Klingelwahlkampf. „Es ist so nett, mit den Menschen zu ratschen.“ Allüren sind ihr fremd. Es war ihr schon unangenehm, als das Landtagspersonal sie nach ihrem Einzug ins Maximilianeum immer mit „Frau Schulze“ anreden musste. Ihre entwaffnende, offene Art wirkt ansteckend. Immer wieder muss ihr ehrenamtlicher Wahlkampfhelfer Georg Nitsche sie losreißen. Maximal fünf Minuten pro Tür sind eingeplant. „Aber die war so nett“, antwortet Schulze dann und lächelt unschuldig. Natürlich dauern manche Gespräche auch nur wenige Sekunden. „Dürfen wir kurz mit Ihnen sprechen?“„Bloß nicht“, grummelt einer und schlägt die Tür zu. „Sie verschwenden Ihre Zeit“, sagt eine Rentnerin. „Ich bin FDP-Mitglied“, bekennt eine Studentin. Einmal muss sich das Wahlkampfduo sogar anhören, die Grünen seien eine Pädophilenpartei. Der junge Mann scheint allerdings selber über seine Aussage erschrocken und entschuldigt sich. „Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

Nach eineinhalb Stunden ist der Klingelwahlkampf offiziell vorbei. Nur mit Mühe gelingt es Wahlkampfhelfer Nitsche, Schulze losreißen. Im aktuellen Haus fehlen noch zwei Stockwerke. „Schreib genau auf, wo wir noch nicht waren“, ruft sie ihm zu. An über 550 Türen haben die sechs Zweierteams des „Team Katha“ an diesem Abend geklingelt. Als Dankeschön lädt Schulze die ehrenamtlichen Helfer noch auf ein Bier ein. Sie selber nuckelt an einem Eistee – Alkohol mag sie nicht. Ob es denn am Wahlabend des 14. Oktober zumindest ein Glas Sekt gibt, wenn das Wahlergebnis passt? „Nein“, sagt sie und lacht. „Dann gibt’s zur Belohnung ein Spezi.“ (David Lohmann)

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