Politik

Das Bild zeigt einen Spielzeugbauer im Museum – gebraucht werden Handwerker aller Bereiche. Außerhalb Bayerns geht man ganz neue Wege. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

18.10.2024

Handwerker verzweifelt gesucht

Der Fachkräftemangel zwingt zu neuen Herangehensweisen

Eine undichte Dachrinne, eine defekte Stelle im Parkett, eine neu zu streichende Wand: Wer nicht selbst über handwerkliches Geschick verfügt, hat ein Riesenproblem. Es finden sich oft keine Handwerker*innen mehr, die für kleinere Arbeiten anrücken. Allerorten fehlt es an Personal, da konzentrieren sich viele lieber auf lukrativere Aufträge. Doch auch dann muss man oft monatelang warten. Es kommen einfach nicht genügend Fachkräfte nach. Während sich die Zahl der Neueinschreibungen an Universitäten jedes Jahr in neue Rekordhöhen schraubt, müssen die Handwerksbetriebe in Bayern um jeden Lehrling kämpfen.

In Zahlen: Zum 31. Dezember 2023 waren laut Bayerns Wirtschaftsministerium 63 024 Auszubildende im bayerischen Handwerk beschäftigt. 23 576 von ihnen begannen 2023 ihre Ausbildung, nur 150 mehr als im Jahr davor. 37,7 Prozent der Auszubildenden, mehr als ein Drittel, brachen zudem im selben Jahr ihre Lehre ab. Die Betriebe konnten so bei Weitem nicht ihren Bedarf stillen: 8800 Lehrstellen blieben bis Ende des vergangenen Jahres im Freistaat unbesetzt.

Damit verschärft sich der Fachkräftemangel in der Branche weiter. Schon jetzt melden die bayerischen Arbeitsagenturen rund 37 600 offene Stellen für qualifizierte Fachkräfte im Handwerk. In einer aktuellen Umfrage der Handwerkskammer für München und Oberbayern erklärt ein Viertel der Befragten, dass der Fachkräftemangel die Entwicklungsmöglichkeiten ihres Betriebs massiv behindert.

Das Problem kennt auch der neue SPD-Landtagsfraktionschef Holger Grießhammer, gelernter Maler- und Lackierermeister, aus seinem Betrieb in Weißenstadt im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel: „Wir schieben über Monate die Aufträge vor uns her, weil wir zu wenig Mitarbeiter haben.“ Ganz oft bekomme er auch zu hören, dass sich manche Betriebe bei einer Anfrage gar nicht rührten.

Es rächt sich nun, dass das Handwerk lange Zeit verpönt war und das Studium als Nonplusultra galt. Dass an Gymnasien für Handwerksberufe Werbung gemacht werden könnte, schien noch vor Jahren eine absurde Vorstellung. Und so entscheiden sich heute eben fast siebenmal so viele junge Menschen im Freistaat für ein Studium statt für eine Handwerkslehre. Doch die Studierenden werden später keine Wärmepumpen einbauen, keine Straßen asphaltieren und keine Parkettböden ausbessern.

Sicher: Es hat sich inzwischen einiges getan, das räumt auch SPD-Mann Grießhammer ein. Die bayerische Staatsregierung führte einen sogenannten Tag des Handwerks ein, der auch an Gymnasien vermittelt, was für interessante Handwerksberufe es gibt. Die zum Teil stark veralteten beruflichen Bildungszentren wurden in den vergangenen fünf Jahren für insgesamt 39 Millionen Euro modernisiert. Seit 2023 gibt es auch ein Influencer-Netzwerk: 14 Handwerker*innen werben auf ihren Accounts für ihre Berufe und erreichen damit etliche junge Menschen. Die Handwerkskammern starteten zudem eigene Aktionen. Die Handwerkskammer für München und Oberbayern richtet etwa jährlich eine Praktikumswoche aus.

Es rächt sich jetzt, das das Abitur als Nonplusultra gilt

Doch offensichtlich reichen die Maßnahmen nicht. Vielleicht hilft ein Blick nach Schleswig-Holstein: Die Handwerkskammer Lübeck führte – in Anlehnung an das freiwillige soziale Jahr – im Juli ein freiwilliges Handwerksjahr ein. Bei dem Pilotprojekt haben Interessierte nach ihrem Schulabschluss die Möglichkeit, in einem Jahr vier verschiedene Berufe auszuprobieren. Das ist weniger verbindlich als eine komplette Lehre, bietet aber doch die Möglichkeit, den jeweiligen Beruf richtig kennenzulernen. In jedem Betrieb bleibt man drei Monate und erhält monatlich 450 Euro brutto. 16 junge Leute haben schon begonnen, täglich kommen neue dazu.

„Die meisten Menschen kennen diese Frage: Hätte aus mir auch etwas anderes werden können – ein guter Tischler, Goldschmied oder Mechaniker? Doch sie hatten nie die Gelegenheit, das herauszufinden“, sagt Andreas Katschke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Lübeck. Das sei jetzt mit dem freiwilligen Handwerksjahr möglich.

Grundsätzlich ist das auch in Bayern vorstellbar. „Ich persönlich finde diese Form der Berufsorientierung gut“, erklärt Jens Christopher Ulrich, Sprecher der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Auch der SPDler Grießhammer findet, dass man das freiwillige Handwerksjahr testen sollte. „Es gibt so viele edle Handwerksberufe, die nur im Verborgenen existieren.“

Das bayerische Wirtschaftsministerium nennt das Angebot „einen interessanten Ansatz“. Ein Sprecher verspricht: „Wir werden die Ergebnisse dieses Pilotprojekts gemeinsam mit dem bayerischen Handwerk evaluieren.“ Hoffentlich kommt etwas Konkretes dabei heraus.
(Thorsten Stark)

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