Politik

Werden Autobahnen oder Bundesstraßen gebaut, können Grundstücke enteignet werden – gegen eine Entschädigung. (Foto: dpa/Stefan Puchner)

24.05.2019

Her mit dem Eigentum!

Die Bundesregierung will zwar keine Wohnungen enteignen, Grundstücke für Straßen dagegen schon – warum ist das so?

Wohnungseigentum will die Bundesregierung nicht enteignen – aber beim Straßenbau kennt die schwarz-rote Koalition in Berlin weniger Skrupel, Grundstücke an sich zu ziehen. Aktuell laufen 200 Verfahren. Das geht aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sven-Christian Kindler hervor, berichtete der Berliner Tagesspiegel. Dabei handelt es sich um 108 Enteignungsverfahren, um Platz für neue Autobahnen zu schaffen, und um 92 Verfahren für Bundesstraßen. Spitzenreiter ist Sachsen mit 61 Enteignungen, in Bayern gibt es sechs laufende Verfahren bei Autobahnen und fünf bei Bundesstraßen, wie das Haus von Ressortchef Andreas Scheuer (CSU) der Staatszeitung mitteilte. Betroffen seien die A3, die A6, die A8 und die A94 sowie die B27, die B286, die B299 und die B304.

Hintergrund: Autobahnen und Bundesstraßen werden von den Ländern im Auftrag des Bundes verwaltet. Nach Paragraph 19 Absatz 1 des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) haben diese „zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Enteignungsrecht“. Die Enteignung ist dann zulässig, wenn sie zur Ausführung eines festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig ist. Wie die Enteignungen konkret ablaufen, welche Entschädigungen gezahlt werden – all das entscheiden die Länder in eigner Verantwortung. Die Verfassung liefert die Grundlage dazu. Denn nicht immer sind Eigentümer bereit, Grundstücke oder Teile davon zu den angebotenen Bedingungen zur Verfügung zu stellen.

Deshalb sieht bereits Art. 14 des Grundgesetzes die Möglichkeit vor, in solchen Fällen eine Enteignung durchzuführen, sofern der Grundstückseigentümer ein angemessenes Kauf- oder Entschädigungsangebot des Vorhabensträgers ausschlägt. Eine Enteignung ist nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.

Selbst die FDP befürwortet die Enteignung von Straßen

Protest gegen diese Praxis kommt unter anderem vom Verein Haus und Grund Bayern. Man lehne Enteignungen „grundsätzlich ab“, sagt Vorstand Ulrike Kirchhoff der Staatszeitung. Enteignungen sollten „nur das letzte Mittel sein, um Vorhaben umsetzen zu können, die für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind. An die Zulässigkeit von Enteignungen sollten daher sehr hohe Maßstäbe gesetzt werden“, so Kirchhoff. Man „sehe mit Sorge, dass aktuell in hohem Maße Grundstücke für den Bau von Straßen enteignet werden“, klagt die Haus und Grund-Chefin. Sie betont: „Mag der Bau von Straßen für viele Regionen von Bedeutung sein, darf das nicht dazu führen, dass die Rechte der Immobilieneigentümer in dieser umfassenden Art und Weise verletzt werden.“

Unterstützung für die Enteignungen kommt dagegen von der FDP, die der Ruf nach Verstaatlichungen gemeinhin auf die Palme bringt. Der bayerische Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Daniel Föst meint auf Nachfrage: „Große Projekte müssen auch in Zukunft planbar und auch durchführbar sein. Es geht bei diesen Maßnahmen darum, die Infrastruktur Deutschlands aufrechtzuerhalten und auszubauen. Die Einstellung Not in my backyard darf Deutschland nicht handlungsunfähig machen.“ Der Vergleich mit der Enteignung von Wohneigentum sei einer „von Äpfeln mit Birnen“, findet Föst.

Häufiger sind Enteignungen dagegen auf kommunaler Ebene. Exakte Zahlen für ganz Bayern werden bei den 2000 Kommunen zwar nicht erhoben, aber allein die Verdichtung in vielen Regionen in den vergangenen Jahren hat zu einem Zuwachs geführt. Den Antrag dazu stellt die jeweilige Gemeinde beim Landratsamt, selber enteignen darf ein Bürgermeister nicht. Manchmal gibt es auch richtig kuriose Fälle. In der Stadt Pappenheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen etwa wollte die gräfliche Familie Egloffstein vier Quadratmeter einer Altstadtstraße einzäunen, was öffentliche Zufahrten blockiert hätte. „Uns bleibt nichts anderes übrig als die Enteignung“, drohte vor zwei Jahren Bürgermeister Uwe Sinn (SPD). Kurz darauf wurden die Grafenfamilie und die Kommune sich dann doch einig.

Das Prozedere für eine Enteignung ist allerdings aufwendig. Nach Eingang des Antrages lädt das Landratsamt die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung. Die Ladung wird öffentlich bekannt gemacht. Dritte sollen sich melden können und ihre Rechte an den Grundstücken, die nicht im Grundbuch eingetragen sind, anmelden können. Gleichzeitig mit der Ladung beantragt das Landratsamt beim Grundbuchamt die Eintragung einer Verfügungs- und Veränderungssperre bezüglich des Grundstücks. Ziel der – nicht öffentlichen – mündlichen Verhandlung ist es, eine Einigung zwischen den Beteiligten herbeizuführen. Gelingt dies nicht, entscheidet das Landratsamt per Beschluss. Der Enteignungsbeschluss ersetzt dann die fehlende vertragliche Einigung der Beteiligten – und endlich gehört das Grundstück dem Staat. (André Paul)

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