Politik

Vor einem Jahr hat das Gesundheitsministerium den Notruf Pflege-SOS freigeschaltet. (Foto: dpa/May)

17.03.2023

Hilferufe der Verlassenen

Vor einem Jahr hat das Gesundheitsministerium den Notruf Pflege-SOS freigeschaltet – was hat er gebracht?

Schliersee, Augsburg: Die katastrophalen Verhältnisse in zwei bayerischen Pflegeheimen haben das Vertrauen in eine anständige stationäre Versorgung alter Menschen nachhaltig erschüttert. Im Sommer des vergangenen Jahres kam ein dritter Skandal im Landkreis Passau hinzu.
Wie der Bayerische Rundfunk berichtete, hatten Mitarbeitende des betroffenen Heimes den Pflege-SOS Bayern angerufen und so die Heimaufsicht auf die beklagenswerten Zustände in einem Wohnstift aufmerksam gemacht – ein früher Erfolg der Hotline, die erst vor einem Jahr von der Landesregierung freigeschaltet wurde.

Ziel der Anlaufstelle ist es, die Qualität der Pflege in Bayern zu verbessern. Defizite in der Versorgung können seit März 2022 per Telefon anonym gemeldet werden. Missstände zu melden ist zwar auch anderswo möglich, etwa beim bayerischen Gesundheitsministerium oder bei der Heimaufsicht, beim Medizinischen Dienst oder beim Patienten- und Pflegebeauftragten der Staatsregierung. Aber die Hotline punktet damit, besonders niedrigschwellig zu sein. Die Ansprechpartner*innen sind neutral und besitzen die nötige pflegefachliche Expertise.

Insgesamt 807 Anfragen von Angehörigen und Personal gingen innerhalb eines Jahres bei der Pflege-SOS ein, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums berichtet, 509 davon waren Beschwerden. Die Anrufenden beklagten vor allem Mängel bei der Versorgung der alten Menschen mit Nahrungsmitteln und Flüssigkeit, bei der Körperpflege, im Medikamenten- und Wundmanagement, bei der Aktivierung und Mobilisierung und in der Demenzversorgung. Darüber hinaus beschwerten sie sich über die geringe Eignung und Qualifikation des Personals sowie darüber, dass die Leitung der Pflegeheime nicht auf Beschwerden reagiere.

Missstände wird es weiterhin geben

Zuständig dafür, den Beschwerden nachzugehen, sind die Fachstellen für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA). Die FQA führen jährlich unangekündigte Begehungen durch. Verdichten sich Hinweise auf Defizite in der Versorgung der Bewohner*innen von Pflegeheimen, finden ergänzende Überprüfungen statt. Die FQA sind es auch, die Maßnahmen anordnen, wenn eine Einrichtung ihrer Verantwortung für gute Pflege nicht nachkommt.

Eine Änderung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes, die das Kabinett gerade gebilligt hat, ermöglicht das künftig auch ohne vorherige Beratung des Pflegeheims. Und das ist gut so. Denn professionelle Unterstützung, ein dichtes Netz an Kontrollen und unverzügliche Konsequenzen sorgen dafür, dass aus einzelnen Mängeln keine handfesten Skandale werden. Die überwiegende Mehrheit der Pflegeheime leistet ja ohnehin, wie Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) betont, gute Arbeit – auch wenn aus Sicht der Pflegebedürftigen und Angehörigen bei „gut“ noch sehr viel Luft nach oben sein dürfte.

Insgesamt sei die Zahl der Beschwerden über Pflegemängel in bayerischen Heimen nicht signifikant gewachsen, bestätigt ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums. „Im Einzelnen haben jedoch Meldungen im Zusammenhang mit Personalknappheit zugenommen.“
Was aber ist los in den Heimen, die Horrormeldungen produzieren? „Meistens kommen mehrere Faktoren zusammen“, erklärt eine Sprecherin der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. „Auf der einen Seite steht nicht selten ein großer wirtschaftlicher Druck, insbesondere, wenn Investoren-Interessen bedient werden müssen, auf der anderen Seite eine mehr als angespannte Personaldecke, die nicht ausreicht, um qualitative Mängel im Ansatz anzugehen.“

Rufe nach strengeren Kontrollen weist sie dennoch zurück. Ihre These: „Die Einrichtungen müssen letztendlich befähigt werden, pflegerische Versorgung auf hohem qualitativen Niveau zu leisten. Und das erreicht man nicht durch Anordnungen und Kontrollen.“ 
Der Sozialverband VdK wiederum fordert ein bundesweit einheitliches Vorgehen für Aufsichtsbehörden, das von Mahnungen bis zur Kündigung des Versorgungsvertrags des Betreibers reicht. Dazu gehöre auch, die FQAs der Landkreise personell und fachlich deutlich zu stärken. „Leider ist davon auszugehen, dass es weiterhin zu Missständen kommt“, so die Prognose von Ulrike Mascher, Landesvorsitzende des VdK Bayern, „grundsätzlich wegen unseres Pflegeheimsystems, das Gewinnbestrebungen nicht reglementiert und kontrolliert, aber natürlich auch akut durch den Mangel an qualifizierten Pflegekräften.“

Um diesem Mangel zu begegnen, will Holetschek nun vermehrt ausländische Pflegefachkräfte für den bayerischen Arbeitsmarkt gewinnen und die nötigen aufenthalts- und berufsrechtlichen Anerkennungsverfahren ab 1. Juli entsprechend beschleunigen. Das Stichwort lautet „Fast Line“. Eine Überholspur also für alle, die auf dem ausgedünnten deutschen Markt als Pflegefachkraft einsteigen wollen. Die Beschleunigungsmaßnahme könnte beispielhaft sein in der Bekämpfung des Fachkräftemangels, dringend notwendig ist sie ohnehin.
Denn die Prognose ist düster: Wenn man schon jetzt Probleme damit hat, die 580 000 Pflegebedürftigen in Bayern gut zu versorgen – wie soll das mit bis zu einer Million Menschen gelingen, die für das Jahr 2050 prophezeit werden?  (Monika Goetsch)
 

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