Natürlich klammert sich die Bayern-SPD an diese Hoffnung, vielleicht noch stärker als früher: dass Wahlen am Ende ganz anders ausgehen können als es Umfragen kurz zuvor erwarten lassen. So war das ja auch vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst. Und jetzt steht er hier auf der Parteitagsbühne in München: Olaf Scholz - als Bundeskanzler. "Wir sind die Kanzler-Partei", ruft die Landesvorsitzende Ronja Endres in den Saal. Manche Genossinnen und Genossen wirken, als könnten sie es immer noch nicht ganz fassen.
Scholz selbst mahnt die bayerischen Sozialdemokraten, die in den vergangenen Jahren Niederlage um Niederlage einstecken mussten: "Wer ein klares Konzept hat, wer es beharrlich verfolgt, wer sich davon nicht abbringen lässt, der kann es auch schaffen, dass man eine Wahl gewinnt, wo man am Anfang in den Umfragen nicht vorne liegt - wir haben das schon bewiesen." Ungeachtet der mauen Landtags-Umfragewerte von derzeit maximal zehn Prozent für die SPD sagt Scholz, freilich eher hanseatisch kühl als euphorisch: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass hier es erreicht werden kann, dass die bayerische SPD regiert."
Rund ein Jahr vor der Landtagswahl - der genaue Wahltermin steht noch nicht fest - stellt die Bayern-SPD auf dem Parteitag die Weichen für den Wahlkampf. Mit 93 Prozent der abgegebenen Delegiertenstimmen wird der bayerische Partei- und Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn zum Spitzenkandidaten gekürt. Noch wichtiger aber als das Ergebnis - und er war ja intern noch nie unumstritten - ist für von Brunn vielleicht, dass Scholz zu seiner Kür nach München gekommen ist.
Florian von Brunn als Ministerpräsident?
Darauf hoffen, davon träumen die bayerischen Sozialdemokraten: dass sie bei der Landtagswahl von der SPD-Kanzlerschaft profitieren können, dass sie ordentlich zulegen können - und dass sie am Ende im Freistaat regieren. Florian von Brunn als Ministerpräsident? Münchens SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter sagt: "Ich finde, dass Träume auch mal wahr werden sollten - und dafür sollten wir kämpfen."
Vor einem Jahr schien die Staatskanzlei für einen Moment tatsächlich in Reichweite. Kurz nach dem SPD-Wahlsieg bei der Bundestagswahl gab es plötzlich eine Landtagswahl-Umfrage, nach der ein Ampel-Bündnis auch in Bayern rechnerisch im Bereich des Möglichen gewesen wäre - man muss hinzufügen: ein Ampel-Bündnis unter Führung der SPD. Die SPD lag in dieser Erhebung tatsächlich fünf Prozentpunkte vor den Grünen.
Ein Jahr später sieht die Lage für die SPD allerdings wieder ähnlich düster aus wie zuvor. Bei der Landtagswahl 2018 war die sie ja auf 9,7 Prozent abgestürzt. Und nach dem kleinen Zwischenhoch rund um die Bundestagswahl kommt die Partei in Landtagswahl-Umfragen schon länger wieder nicht mehr über maximal zehn Prozent hinaus, weit abgeschlagen hinter der CSU und auch hinter den Grünen. Manchmal war immerhin Platz drei drin - ansonsten oft auch nur Platz fünf. Hinzu kommt: Den Umfragen zufolge kann die amtierende Koalition aus CSU und Freien Wählern derzeit weiter mit einer klaren Mehrheit im Landtag rechnen.
"Manche halten uns für deppert"
Und in der Lage träumen die Sozialdemokraten vom Regieren, ja sogar vom Ministerpräsidenten-Posten? Renate Schmidt, die "Grande Dame" der Bayern-SPD, räumt ein: "Ich weiß, dass uns manche jetzt für deppert halten, wenn man die Umfrageergebnisse sieht." Doch dann erinnert auch sie daran, wie das vor der Bundestagswahl vor einem Jahr war, schaut zu Scholz. "Und da hockt er, der Bundeskanzler von der SPD."
Was die Genossinnen und Genossen bei diesem Vergleich nicht sagen: Im Bund lag die SPD damals lange nicht so weit hinten wie nun in Bayern.
Schmidt war einst selbst zweimal als Spitzenkandidatin in Bayern angetreten, 1994 und 1998, einmal holte sie 30, einmal 28,7 Prozent. Werte, von denen die Partei heute tatsächlich nur noch träumen kann. Bei den folgenden drei Wahlen waren es immerhin noch um die 20 Prozent gewesen - bevor 2018 der Absturz auf die 9,7 Prozent kam.
Scholz als Kümmerer
Nun will die SPD kämpfen. Scholz gibt in seiner Rede den Kanzler, den Kümmerer - und greift doch auch die CSU an. Die habe den Ausbau der Windenergie "jahrzehntelang verschleppt", kritisiert er. Und auch von Brunn wirft der CSU viele gravierende Versäumnisse etwa in der Energie-, Bildungs-, Sozial- und Wohnungsbaupolitik vor. Von Brunn verspricht eine sozialere, gerechtere Politik: "Zukunft und Zusammenhalt - das ist mein, das ist unser Versprechen für Bayern."
Zunächst aber, so scheint es, muss von Brunn erst einmal an seiner Bekanntheit und Beliebtheit in Bayern arbeiten. Im jüngsten "Bayerntrend" des Bayerischen Rundfunks hatten sich lediglich 12 Prozent der Befragten zufrieden mit seiner Arbeit geäußert, ein Rückgang von 2 Prozentpunkten. Damit liegt er beispielsweise deutlich hinter dem Spitzenduo der Grünen. Vor allem aber: Außer zur Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze konnte laut BR eine klare Mehrheit zu keinem Oppositionspolitiker eine Meinung abgeben, sondern nur sagen: "kenne ich nicht", "weiß nicht" oder "keine Angabe".
Doch auch da erinnern sich manche: Als Scholz im Sommer 2021, noch als Kanzlerkandidat, auf Wahlkampftour in München war, winkten einige Passanten - aber offenbar vor allem dem in der Stadt viel bekannteren Oberbürgermeister neben ihm. Auch das dürfte heute etwas anders sein.
(Christoph Trost, dpa)
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