Politik

Begehrte Dokumente – kann man sie auch entziehen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? (Foto: dpa/Fernando Gutierrez-Juarez)

26.01.2024

Hohe Hürden

Grundrechte entziehen: Geht das?

Ein Parteiverbot der AfD würde Jahre dauern. Daher fordern in einer Petition bereits über eine Million Menschen, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen. Ist das rechtlich überhaupt möglich? Und funktioniert es auch andersherum, für Menschen, die zu Unrecht eingebürgert wurden?

Kann man tatsächlich Grundrechte aberkennen?
Ja. Der Grundrechtsentzug ist im Grundgesetz geregelt. Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Machtübernahme der Nationalsozialisten wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Demokratie schaffen, die sich gegen autoritäre und verfassungsfeindliche Bestrebungen wehren kann.


Welche Grundrechte kann man aberkennen und wann?
In Artikel 18 steht: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte“.

Wie läuft eine Grundrechtsverwirkung ab?
Der Antrag muss laut Paragraf 36 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) vom Bundestag, der Bundesregierung oder einer Landesregierung gestellt werden. Wenn dieser zulässig ist, kann das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE) Ermittlungen und Zwangsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmungen anordnen. Bei Verfahren gegen Bundestagsabgeordnete muss der Bundestag zustimmen. Anschließend wird geprüft, ob in Vergangenheit oder Zukunft eine „Gefahrenprognose“ für die Demokratie vorliegt.


Sind diese Grundrechte dann dauerhaft weg?
Das BVerfGE kann den Entzug auf einen bestimmten Zeitraum einschränken, ein Jahr sind die Grundrechte aber mindestens verwirkt. Nach zwei Jahren können die Richterinnen und Richter auf Antrag des Betroffenen die Entscheidung ganz oder teilweise aufheben beziehungsweise die Dauer der Verwirkung abkürzen.

Wie häufig kommt es vor, dass Grundrechte entzogen werden?
Bisher gab es vier Versuche, Menschen die Grundrechte zu entziehen. Zuletzt 1992 vom damaligen Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) nach den tödlichen Brandanschlägen von Mölln. Doch das BVerfGE hielt den Antrag wegen einer „positiven Prognose“ der beiden Neonazis für unbegründet. Ähnlich verlief es 1974, als dem Herausgeber der Deutschen Nationalzeitung wegen nationalistischer, antisemitischer und rassistischer Veröffentlichungen das aktive und passive Wahlrecht entzogen werden sollte. Der Einfluss der Zeitung sei zu gering, urteilten damals die Richter.

Wurden Politikern bereits Grundrechte entzogen?
Nein. Zwar betraf das erste Verfahren der Bundesrepublik 1952 den Vizechef der neonationalsozialistischen und später verbotenen Sozialistischen Reichspartei, Otto Ernst Remer. Dieser hatte unter anderem Mitglieder des Widerstands als „Landesverräter“ verunglimpft. Doch obwohl die Partei noch im selben Jahr verboten wurde, wurde der Prozess gegen Remer nach acht Jahren wegen unzureichender Begründung des Antrags eingestellt.

Können Thüringens AfD-Chef Björn Höcke die Grundrechte entzogen werden?
Darüber sind sich Fachleute uneinig. Der Münchner Verfassungsrechtler Walther Michl sieht auf Anfrage der Staatszeitung durchaus Erfolgschancen: „Wenn jemand Umsturzfantasien mitträgt, dann ist ein solches Verfahren eine realistische Möglichkeit.“ Kritischer ist Ex- BVerfGE-Präsident Hans-Jürgen Papier: „In der Literatur ist umstritten, ob das aktive und passive Wahlrecht, also vor allem die Wählbarkeit, überhaupt aberkannt werden kann“, sagte er der Welt.

Kann man die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen?
Nein. Grundsätzlich darf Deutschland Menschen nicht staatenlos machen. Paragraf 16 im Grundgesetz ist eine Reaktion auf die Ausbürgerungspolitik der Nazis gegenüber jüdischen Menschen beziehungsweise die Ausbürgerungspolitik der ehemaligen DDR. Wenn Menschen allerdings eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, ist es möglich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Warum ist es nicht möglich, die unrechtmäßige Einbürgerung von mehreren Hundert Personen, wie jüngst in Niedersachsen geschehen, rückgängig zu machen?
„Einbürgerungen können nach geltendem Recht nur zurückgenommen werden, wenn der Einbürgerungsbewerber diese aufgrund arglistiger Täuschung, Drohung, Bestechung oder vorsätzlich falscher Angaben erlangt hat“, so das bayerische Innenministerium. Wenn die Einbürgerung jedoch wie in Niedersachsen aufgrund eines Fehlers seitens der Einbürgerungsbehörde erteilt wurde, ist ein Entzug nicht möglich.
(David Lohmann)

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