Politik

Justizminister Georg Eisenreich fordert höhere Strafen und mehr Befugnisse für Ermittler im Bereich Internetkriminalität. (Foto dpa/Silas Stein)

15.02.2019

"Ich gehöre nicht zu den politischen Lautsprechern"

Justizminister Georg Eisenreich (CSU) über umstrittene Haftbedingungen in Bayern, künstliche Intelligenz im Gerichtssaal und sein Verhältnis zu sozialen Medien

Bis zur Landtagswahl war Georg Eisenreich Minister für Digitales, Medien und Europa. Jetzt steht er an der Spitze des Justizministeriums. Die Digitalisierung lässt ihn auch dort nicht los: Das sei eine der Zukunftsaufgaben des Ministeriums. Ins politische Tagesgeschehen mischt er sich bisher nur selten ein. Manche Medien bezeichnen ihn deshalb als „den Unsichtbaren“.

BSZ: Herr Eisenreich, Sie sind jetzt rund 100 Tage im Amt. Viel hat man noch nicht gehört von Ihnen.
Georg Eisenreich: Generell gehöre ich nicht zu den Lautsprechern unter den Politikern. Ich habe die Zeit gut genutzt, für viele Gespräche, aber auch um mich mit den Themen des Hauses vertraut zu machen. Gleich in der ersten Woche habe ich an der Justizministerkonferenz teilgenommen und noch vor dem Jahreswechsel die drei Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften sowie eine Justizvollzugsanstalt (JVA) besucht. Die Justiz ist sehr gut aufgestellt. Hierfür bedanke ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Am heutigen Freitag steht im Bundesrat ein Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer Strafbarkeit für das Betreiben illegaler Handelsplattformen im Internet auf der Tagesordnung, den wir grundsätzlich begrüßen. Der Entwurf geht uns aber nicht weit genug. Wir wollen mit einer Reihe von Änderungsanträgen mehr Befugnisse für die Ermittler und höhere Strafen erreichen.

BSZ: Vor der Landtagswahl waren Sie Europaminister. Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung?
Eisenreich: Ich freue mich sehr über die neue Aufgabe. Das Justizministerium ist ein klassisches Ministerium mit spannenden Aufgaben und der Verantwortung für 20 000 Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter. Um mich mit den Themen, Institutionen und Personen zu beschäftigen, habe ich bereits viele Einrichtungen besucht. Ich möchte nicht nur vom Schreibtisch aus Politik machen, sondern im engen Austausch mit der Praxis.

BSZ: Den Umzug der Zivilkammern des Münchner Landgerichts haben Sie gestoppt. Eine Fehlentscheidung Ihres Vorgängers?
Eisenreich: Der Ausgangspunkt war, dass das Landgericht Räume braucht – übrigens immer noch. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt. Ein so großes Gericht sollte zentral liegen und gut erreichbar sein. Deswegen habe ich entschieden, dass die Umzugspläne nicht weiterverfolgt werden. Jetzt werden wir im Dialog mit den Beteiligten neu starten.

BSZ: Bei den Justizvollzugsangestellten sind bis zu einer halben Million Überstunden angefallen. Auch Richter und Staatsanwälte klagen, an der Leistungsgrenze angelangt zu sein.
Eisenreich: Die Personalausstattung ist für jeden Justizminister eine Kernaufgabe. Ein starker Rechtsstaat braucht eine starke Justiz. Hier ist schon viel passiert. In den letzten zehn Jahren wurden rund 2000 neue Stellen für den hiesigen Geschäftsbereich geschaffen, allein im letzten Jahr 80 Stellen für Richter und Staatsanwälte und über 300 Stellen für Folgepersonal und den Justizvollzug. Aber ich möchte natürlich weitere Verbesserungen erreichen. Der Pakt für den Rechtsstaat ist hierfür eine Möglichkeit. Im Vollzug bekommen wir neue Einrichtungen, zum Beispiel die Abschiebungshafteinrichtung in Hof und die neue Justizvollzugsanstalt in Passau. Auch hier brauchen wir zusätzliche Stellen.

BSZ: Wo wollen Sie während Ihrer Amtszeit noch Akzente setzen?
Eisenreich: Neben zusätzlichem Personal ist die Bekämpfung von Extremismus, Terrorismus und Salafismus ein zentrales Thema. Der Kampf gegen Antisemitismus ist mir ebenfalls sehr wichtig. Nicht zuletzt liegt ein Fokus auf Cybercrime, Hasskriminalität im Internet und der Digitalisierung in der Justiz.

BSZ: Die Zentralstelle für Cyberkriminalität (ZCB) in Bamberg soll die Hacker aufspüren. Dennoch wird nur ein Bruchteil verurteilt. Warum?
Eisenreich: Das ist eine ganz große Herausforderung. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren. Die Ermittlungsverfahren der ZCB sind um fast 100 Prozent auf knapp 5000 gestiegen. Wir müssen im materiellen Strafrecht vorankommen. Ebenso bei den Ermittlungsbefugnissen. Die Welt von morgen ist eine digitale. Die Menschen müssen sich in ihr sicher fühlen. Bayerns Vorschläge hierzu liegen auf dem Tisch.

„Es ist ein Witz, dass wir die Identität von WhatsApp-Usern nicht feststellen können“

BSZ: Zum Beispiel, indem WhatsApp, Skype oder die sozialen Medien ebenfalls überwacht werden können?
Eisenreich: Wenn es um die Verfolgung von schweren Straftaten geht, ja. Es ist ein Witz, dass wir die Identität des Absenders einer SMS feststellen können, bei WhatsApp-Nachrichten aber nicht. In einer digitalen Welt brauchen wir ausreichende Ermittlungsbefugnisse. Das heißt etwa Verkehrsdatenspeicherung und eine Ausweitung der Telefonüberwachung und Onlinedurchsuchungen. Hierfür setze ich mich ein.

BSZ: Facebook entfernt angeblich inzwischen 72 Prozent der Postings, die von Nutzern als illegal angesehen werden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Kampf der sozialen Netzwerke gegen Hate-Speech?

Eisenreich: Beleidigungen und Hassreden sind in der Anonymität des Internets enthemmter. Und das Internet vergisst nichts. Deshalb wollen wir erreichen, dass Beleidigungen im Internet schärfer bestraft werden. Freiheit im Internet ist gut, aber es darf keine rechtsfreien Räume geben. Erste Verbesserungen brachte das NetzDG des Bundes, auch wenn es viel kritisiert wird. Ich begrüße dieses Gesetz ausdrücklich, auch wenn noch Verbesserungsbedarf besteht.

BSZ: Bei Facebook abmelden wie Grünen-Bundeschef Robert Habeck kommt für Sie nicht infrage?
Eisenreich: Nein. Ich nutze Facebook nicht privat, aber als Politiker als zusätzlichen Weg der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das ist mir wichtig. Das Problem von Herrn Habeck war kein technisches, sondern dass er seine inhaltlichen Äußerungen nicht im Griff hatte.

BSZ: Bayern hat in der Vergangenheit immer wieder heroinsüchtigen Häftlingen die Behandlung mit einem Ersatzstoff verweigert. Zu Unrecht, urteilten kürzlich Richter.
Eisenreich: Wir sind da auf einem guten Weg. Unser Ansatz ist: Wenn es der Anstaltsarzt anordnet und für richtig hält, ermöglichen wir Substitutionsbehandlungen auf Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer. Die Zahlen steigen bereits entsprechend. Wir ermutigen die Beschäftigten auch, sich in diesem Bereich weiter zu qualifizieren. Überall, wo es eine Krankenstation gibt, soll es Substitutionsbehandlungen geben.

BSZ: Trotz Arbeitspflicht in Gefängnissen zahlen Insassen nicht in die Rentenversicherung ein. Viele sind nach der Entlassung von Altersarmut betroffen. Wollen Sie das ändern?

Eisenreich: Das liegt in der Entscheidung des Bundes. Mein Haus würde es schon lange begrüßen, wenn arbeitende Strafgefangene auch in die Sozialversicherungen mit einbezogen würden. Nachteil: Das kostet Geld.

BSZ: Im den Verwaltungsvorschriften zum bayerischen Strafvollzugsgesetz heißt es, homosexueller Verkehr unter Männern solle in den Anstalten unterbleiben. Nicht in jeder Justizvollzugsanstalt gibt es daher Präservative. Ist das noch zeitgemäß?
Eisenreich: Hier geht es gerade um den Schutz von Gefangenen. Es gilt: Wer Kondome möchte, kann zum Anstaltsarzt gehen und erhält dann welche.

BSZ: Die AIDS-Hilfe berichtet vom Gegenteil. In den USA nutzen Richter künstliche Intelligenz (KI) bei der Urteilsfindung. Können Sie sich Judge-KI auch in Deutschland vorstellen?

Eisenreich: Selbstverständlich ist das Thema Digitalisierung und KI auch für die Justiz wichtig. Zum einen, dass der elektronische Rechtsverkehr ausgebaut wird. Auch die E-Akte ist ein zentrales Element. Und natürlich wollen wir KI auch nutzen, um zum Beispiel bei großen Datenmengen besser ermitteln zu können. Die Urteile werden aber selbstverständlich auch in Zukunft die Richterinnen und Richter fällen.

BSZ: KI wird für Kredite, Gesundheitsversorgung und Sozialhilfe genutzt. Braucht es eine Art Algorithmen-TÜV oder ein spezielles KI-Gesetz?

Eisenreich: Nehmen wir das Thema autonomes Fahren: Das ist eine technologische, aber im Bereich der Haftung, des Strafrechts und des Versicherungsrechts auch eine juristische Frage. Nur wenn es einen ausreichenden rechtlichen Rahmen gibt, kann man die neue Technologie einsetzen. Bei dieser Zukunftsaufgabe sind wir auch als Justizministerium gefordert.

BSZ: Sie werden als Nachfolger von Münchens CSU-Chef Ludwig Spaenle gehandelt. Wann werden Sie ihn beerben?
Eisenreich: Wir haben mit Ludwig Spaenle einen hervorragenden Bezirksvorsitzenden, mit dem ich seit vielen Jahren eng zusammenarbeite. Ich habe ihm gesagt, wenn er weiter Vorsitzender bleiben möchte, hat er meine volle Unterstützung. (Interview: David Lohmann)

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