Politik

„Ich denke Politik vom Menschen her“, sagt Bauministerin Kerstin Schreyer, Sozialpädagogin und Familientherapeutin. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

21.02.2020

"Ich muss ja nicht selbst Straßen asphaltieren"

Bayerns neue Bau- und Verkehrsministerin Kerstin Schreyer über die anstehenden Aufgaben, Frauen in Führungspositionen und Kritik an ihrer Eignung

Noch sind die Wände in ihrem Büro leer, Kartons stehen in der Ecke. Es ist erst einige Tage her, dass Kerstin Schreyer (CSU) in das Bauministerium gezogen ist. Mit Leib und Seele war sie Sozialministerin, jetzt aber ist die 48-Jährige für Bauen und Verkehr zuständig – „die großen sozialen Themen unserer Zeit“, wie Schreyer betont. Ihre sozialpädagogische Brille will sie deshalb aufbehalten.

BSZ Frau Schreyer, Sie leben in Unterhaching. Wann sind Sie das letzte Mal mit der S-Bahn gefahren?
Kerstin Schreyer Vor ein paar Tagen erst. Privat nehme ich in die Stadt so gut wie immer die S-Bahn. Das Auto macht wenig Sinn – aus ökologischer Hinsicht und weil man in München keinen Parkplatz findet. Mit der S-Bahn bin ich in zehn Minuten am Ostbahnhof und in 17 Minuten am Marienplatz.

BSZ
Wenn sie pünktlich ist. War sie es denn?
Schreyer Ja, tatsächlich. Natürlich weiß ich aber, dass das nicht immer so ist. Das müssen wir angehen. Das Münchner S-Bahn-Netz wurde Anfang der Siebzigerjahre für 240 000 Fahrgäste pro Tag ausgelegt, heute sind es bis zu 840 000 Fahrgäste täglich. Der Ballungsraum München explodiert. Die Folge sind nicht nur steigende Mieten, auch der öffentliche Nahverkehr kommt an seine Grenzen.

BSZ Ausfälle und Verspätungen bei der S-Bahn nerven die Leute, die zunehmende Wohnungsnot aber macht vielen Menschen richtiggehend Angst. Wie wollen Sie diese Probleme anpacken?
Schreyer Ich denke Politik vom Menschen her. Das heißt für mich, dass jeder dort leben können muss, wo er leben will. Wir müssen deshalb zum einen den ländlichen Raum ertüchtigen, damit Menschen, die dort gerne leben, nicht in die Städte abwandern, weil Verkehrsanbindungen oder Arbeitsplätze fehlen. Deshalb halte ich auch Markus Söders Initiative, Behörden aus den Ballungszentren herauszuverlagern, für sehr klug.

BSZ Auch Ihr Ministerium ist davon betroffen. Ein Teil der Mitarbeiter soll nach Augsburg ziehen. Wie haben die darauf reagiert?
Schreyer Manche von ihnen leben heute schon im Raum Augsburg. Nach Augsburg zu pendeln, wäre für sie ein Vorteil. Klar ist aber: Zwangsversetzungen wird es mit mir nicht geben.

BSZ Sie wollen also den ländlichen Raum ertüchtigen. Was noch?
Schreyer Das Einzige, was außerdem hilft, ist die Schaffung von Wohnraum. Dafür sind die Kommunen zuständig. Im Gegensatz zu den Landkreisen ist die Stadt München aber über viele Jahre hinweg dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Der Freistaat hat deshalb sein Engagement intensiviert und im vergangenen Jahr fast 11 000 Wohneinheiten gefördert. Inklusive Wohnplätzen für Studierende und Wohnheimplätzen für Menschen mit Behinderung und alte Menschen waren es sogar knapp 12 500 Wohneinheiten. Dieses Engagement wird mit mir sicher nicht geringer werden. Aber die Hausaufgaben der Stadt München können wir nicht übernehmen.

"Ein Politiker muss in jedem Ministerium einsetzbar sein"

BSZ Das Volksbegehren Mietenstopp haben 52 000 Menschen unterschrieben. Könnte es nicht die nötige Entlastung bringen, Mieten für sechs Jahre einzufrieren?
Schreyer Ich habe großes Verständnis für die Forderung, hier Druck herauszunehmen. Denn die Problembeschreibung stimmt ja. Auch Menschen mit niedrigen und normalen Einkommen müssen sich das Leben in den Ballungsräumen noch leisten können. Ein Mietenstopp aber löst das Problem nicht. Im Gegenteil: Er würde potenzielle Bauherren abschrecken, die steigende Kosten dann nicht mehr weitergeben könnten. Wir haben einen riesigen Anstieg bei den Handwerkerkosten, das Bauen ist heute um Längen teurer als noch vor fünf Jahren. Das Einzige aber, was hilft, ist: bauen, bauen, bauen. Denn wo es viel Wohnraum gibt, können keine so hohen Mieten verlangt werden.

BSZ Die Initiatoren des Volksbegehrens wollen Neubauten vom Mietenstopp ausnehmen. Reicht das denn nicht?
Schreyer Mir ist wichtig, dass alle Menschen in Bayern, in den Ballungsräumen wie im ländlichen Raum, genügend bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung haben. Bauen ist das beste Mittel, um eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu erreichen.

BSZ Was sagen Sie Kritikern, die Ihre Kompetenz für diese neuen Aufgaben in Zweifel ziehen, weil Sie Sozialpädagogin sind?
Schreyer Ich habe noch keinen Bauminister gesehen, der selbst Straßen asphaltiert oder die Statik von Hochhäusern berechnet hat. Ich muss ein Ministerium führen können, verstehen, wo die großen Fragen liegen, und wissen, wohin ich politisch will. Natürlich muss ich mich in die Inhalte reinbeißen. Aber mein Haus verfügt mit allen Außenstellen über eine Expertise von 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gemeinsam werden wir diese Fragen diskutieren und auf den Weg bringen. Theoretisch muss ein Politiker in jedem Ministerium einsetzbar sein.

"In der CSU ist es manchmal wie in einer guten Ehe: Manches will man und manches muss man wollen"

BSZ Ist es Ihnen schwergefallen, das Sozialministerium zu verlassen?
Schreyer Ich war mit Leib und Seele Sozialministerin. Aber ich weiß auch, dass die großen sozialen Fragen unserer Zeit Wohnen und Verkehr sind. Dass mir Markus Söder dieses große Ministerium zutraut, ist eine große Auszeichnung. Nach Ilse Aigner bin ich die zweite Frau in der Geschichte Bayerns, die ein so großes Ministerium führen darf. Natürlich habe ich auch einen Heidenrespekt vor dieser Aufgabe, aber ich werde auf sie mit meiner sozialpädagogischen Brille schauen. Wichtige Fragen für mich sind zum Beispiel: Was für ein Lebensumfeld benötigen Familien, damit Kinder gut groß werden können? Welches, damit sie sich Kinder überhaupt leisten können? Und ich möchte, dass Menschen überall alt werden können. Ich will keinen alten Baum in die Stadt verpflanzen müssen, weil im ländlichen Raum die Verkehrsanbindung fehlt. Ich will aber umgekehrt auch, dass man sich München im Alter noch mit einer kleinen Rente leisten kann. Das sind zutiefst sozialpolitische Fragestellungen, die mich jetzt auch in meinem neuen Ministerium beschäftigen.

BSZ
Unter den CSU-Ministern gibt es erstmals so viele Frauen wie Männer. Die CSU-Basis scheint in Sachen Gleichberechtigung noch nicht so weit. Auf dem letzten Parteitag hat sie eine Ausweitung der Frauenquote torpediert. Wo liegt das Problem?
Schreyer Wir sind die einzige Volkspartei, die es in Bayern noch gibt. Alle anderen sind Klientelparteien. Das heißt auch, dass wir eine breit aufgestellte Partei sind. Und in dieser Vielfalt müssen wir uns auch ertragen. Und manchmal ist es dann so wie in einer guten Ehe: Manches will man und manches muss man wollen. Die Partei hat beschlossen, dass sie beim Thema Frauen weiterkommen will. Sie ist aber noch nicht so weit gekommen, wie ich mir das wünsche.

"Eine Frau ist immer entweder zu hart oder zu weich"

BSZ In der Kommunalpolitik sieht es mit Frauen besonders mau aus ...
Schreyer Ja, aber es gibt auch positive Beispiele: Bei uns im Landkreis München haben wir zum dritten Mal in Folge auf der CSU-Liste ebenso viele Frauen wie Männer. Der damalige Kreisvorsitzende Ernst Weidenbusch hatte das durchgesetzt. Ortsverbänden, die gejammert haben, dass sie nicht genügend Frauen hätten, sagte er: „Das ist ganz einfach. Wer einen Mann und eine Frau meldet, kommt auf die erste Hälfte der Liste. Wer nur einen Mann meldet, auf die zweite Hälfte.“ Und siehe da, plötzlich hatte jeder Ortsverband auch sehr gute Kandidatinnen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir vor allem mehr Bürgermeisterinnen und Gemeinderätinnen bräuchten. Denn das sind die Funktionen, in denen Frauen den entsprechenden Bekanntheitsgrad bekommen, um in der Hierarchie weiter aufzusteigen.

BSZ Woran hapert’s?
Schreyer Mag sein, dass es noch immer Verbände gibt, die Frauen nicht aufstellen. Das viel größere Problem aber ist, dass Frauen sich zu oft zu wenig zutrauen. Wie lange habe ich mich selbst bei neuen Aufgaben immer wieder kritisch hinterfragt. Und wie viel Kraft investiere ich heute, um Frauen klarzumachen, dass sie nicht alles zu 200 Prozent können müssen. Es gibt Männer, die kandidieren erst und fragen dann: Was muss ich da eigentlich machen?

BSZ
Aber Frauen werden auch anders beäugt als Männer, oder?
Schreyer Ja, kein Mann muss sich dafür rechtfertigen, warum er berufsfremd auf einer Position sitzt. Keiner muss sich für seine Optik rechtfertigen. Und kein Mann muss sich fragen lassen, wie er Beruf und Familie unter einen Hut bringt. Die Frage der Kompetenz wird bei Frauen wesentlich häufiger durchdiskutiert. Ist eine Frau durchsetzungsstark, ist sie hart und zu männlich. Ist eine Frau eher weich und empathisch, hat sie keine Führungskompetenz. Bei Führungsaufgaben ist eine Frau immer entweder zu alt oder zu jung, zu hart oder zu weich.
(Interview: Angelika Kahl)

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