Politik

Daten, die der Verfassungsschutz sammelt, sollen künftig leichter an öffentliche und private Stellen übermittelt werden. (Foto: dpa/Stratenschulte)

08.12.2023

"Ihr Nachbar ist ein Unhold"

Innenministerin Faeser (SPD) will den Geheimdiensten viel mehr Rechte einräumen – das Anschwärzen wird leichter

Ausgerechnet: Eine SPD-Innenministerin will das Denunziantentum fördern. Nancy Faeser (SPD) hat eine Reform des Nachrichtendienstrechts durchgesetzt. „Anschwärz-Gesetz“ nannte die Bild das Gesetzesvorhaben. Selbst die Süddeutsche Zeitung titelte „Lizenz zum Anschwärzen“.

Tatsächlich hatte das Bundesinnenministerium ursprünglich vor, dem Inlandsgeheimdienst umfassende neue Rechte einzuräumen. Dadurch hätte der Verfassungsschutz beispielsweise Vermieter*innen zuflüstern dürfen, dass eine bespitzelte Person angeblich radikal ist. Selbst bei Familienmitgliedern, den Arbeitskolleg*innen oder Bekannten hätte der Verdacht gestreut werden dürfen. Gleiches sollte für Sportvereine oder Schulen gelten, wenn es der „Deradikalisierung“ dient.

Bislang ist es so: Der Verfassungsschutz kann zwar die Polizei über konkrete Anschlagspläne einzelner Personen informieren. Aber: Hinweise über mögliche extreme politische Ansichten, die gegen kein Gesetz verstoßen, musste der Geheimdienst zum Leidwesen vieler Hardliner qua Verfassung für sich behalten.

Immerhin: Faeser wird nicht alle Pläne durchsetzen. Quasi in letzter Minute hat die Ampel-Koalition das Gesetz Ende November entschärft. Als Misserfolg will Innenministerin Faeser das nicht verstanden wissen. Dies sei in einer Demokratie normal. „Die Änderungen wurden als die angemesseneren Lösungen erachtet“, heißt es auf Anfrage der Staatszeitung aus dem Ministerium.

Allerdings: Richtig viel wurde nicht geändert. Schulen dürfen zum Beispiel weiterhin über vermeintlich radikale Personen informiert werden. Im neuen Gesetz wird lediglich der Rahmen, wann das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Verdachtsmomente an die Polizei oder andere Behörden weitergeben beziehungsweise vor vermeintlichen extremistischen Gefahren warnen darf, etwas eingeschränkt. Dies soll künftig nur noch möglich sein, wenn eine „konkretisierte Gefahr“ besteht, also die Tat zeitlich absehbar ist, und wenn „ein besonders gewichtiges Rechtsgut“ bedroht ist. Darunter wird Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes verstanden. Wann das der Fall ist: Auslegungssache.

Nötig wurde die Reform, weil das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regeln zur Datenweitergabe vom Verfassungsschutz an die Polizei für nicht verfassungsgemäß hielt. Die Institutionen müssten in einer Demokratie getrennt agieren, hieß es. Auslöser war das Verfassungsschutzgesetzes im Freistaat. Der Bayerische Landtag hat das Gesetz im Juli dieses Jahres ebenfalls entsprechend geändert.

Gerne hätte man gewusst, was Verbände wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte zu dem neuen Gesetz sagen. Sie hatte erfolgreich gegen das Gesetz in Bayern geklagt. Bei einer entsprechenden Anhörung im Bundestag zum neuen Gesetzentwurf hatte sie die Übermittlungsbefugnisse zerrissen. Kritisiert wurde auch, dass für die Überprüfung des 88-seitigen Entwurfs weniger als 24 Stunden Zeit blieb. „Leider haben wir keine Kapazitäten, um Ihre Anfrage zu beantworten“, heißt es allerdings aus der Pressestelle. Gleiches gilt für den Verein Reporter ohne Grenzen.

Ausgerechnet die AfD und die Linke sind sich einig

Stark aufgestellt hingegen ist die Seite, der das Gesetz nicht weit genug geht – beispielsweise die Deutsche Polizeigewerkschaft in Bayern (DPolG). „Plant eine extremistische Gruppe einen nächtlichen Bankraub, ohne dass Bankmitarbeiter anwesend sind, dann darf der Verfassungsschutz entsprechende Erkenntnisse künftig nicht mehr an die Polizeibehörden weitergeben“, klagt Bayerns Landeschef Jürgen Köhnlein.

Auch bei der Novellierung des bayerischen Gesetzes habe das Haus von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) „nicht geglänzt“. „Es ist nicht gut, dass wir uns gegenüber den Informationen aus den ,Diensten‘ blind machen, indem wir uns verpflichtet haben, mehr und mehr Quellen abzuschalten und uns nicht mehr so auszutauschen“, kritisiert Köhnlein. So könne der Verfassungsschutz selbst bei Straftaten wie einer einfachen Körperverletzung nicht mehr die Polizei informieren.

Im Bundestag ist die Meinung zum neuen Gesetz durchwachsen. Ausgerechnet von den Grünen kommt Lob – als Oppositionspartei wäre das noch undenkbar gewesen. Auch die FDP begrüßt die Reform, fordert aber in einem zweiten Schritt, „die Eingriffsbefugnisse wie den Einsatz von V-Personen und die Wohnraumüberwachung neu zu regeln“. So erklärt es deren bayerischer Bundestagsabgeordneter Stephan Thomae auf Anfrage.

Die CSU im Bundestag erkennt im neuen Gesetz „erhebliche Verbesserungen“ zum vorherigen Entwurf. „Trotzdem ist die beschlossene Reform nicht weitreichend genug“, beklagt deren innenpolitischer Sprecher Alexander Hoffmann. Vor allem bei den Übermittlungsvorschriften hätte die Ampel „noch offensiver“ sein können.

André Hahn (Linke) kritisiert eine durch das Gesetz „unbegrenzte Weitergabe von Daten an öffentliche Stellen“. Dies sei das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht gefordert habe. In dieselbe Kerbe schlägt die AfD-Fraktion. Sie beklagt, dass künftig auch unbescholtene Bürger*innen zum „gläsernen Objekt“ für den Verfassungsschutz würden und deren Daten anlasslos an öffentliche und private Stellen übermittelt würden. „Die DDR“, kritisiert Steffen Janich, „lässt grüßen.“ (David Lohmann)
 

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