Blickt man auf die Statistik, so dürfte die Suche nach einem Platz in bayerischen Pflegeheimen nicht allzu schwer sein. Nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Statistik gab es 2019 gut 2000 Einrichtungen mit knapp 140 000 Plätzen im Freistaat. Tatsächlich betreut wurden dort aber nur gut 131 000 Senior*innen. Wer sich jedoch an die Heime selbst wendet, macht dabei meist frustrierende Erfahrungen: „Tut uns leid, bei uns ist zurzeit nichts frei.“ Betroffene berichten von Wartezeiten bis zu 1,5 Jahren.
Wie kann das sein, wollte die SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Müller kürzlich von der bayerischen Staatsregierung wissen. Warum sei 2019 in manchen südbayerischen Regionen – zum Beispiel in Garmisch-Partenkirchen und Memmingen – fast ein Viertel der Plätze nicht belegt gewesen, trotz hoher Nachfrage? Eine detailliertere Begründung dafür bleibt das Gesundheitsministerium in seiner Antwort schuldig, spricht nur allgemein davon, dass es sich „um kreisspezifische Merkmale des Pflegeplatzbedarfs“ handeln könnte.
Fachleute wissen hingegen sehr genau, warum die Belegungsquote in den Einrichtungen durchschnittlich nur bei knapp 88 Prozent rangiert: wegen des Mangels an Fachkräften. „Es fehlt einfach das Personal für mehr Belegungen“, sagt der Sprecher des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), Sohrab Taheri-Sohi. Zwar kann das BRK auf dem Papier rund 12 000 Betten in Pflegeheimen vorweisen, davon sind momentan jedoch nur 10 500 vergeben. Mehr Menschen, sagt Taheri-Sohi, könne man beim besten Willen nicht betreuen: „Wären unsere Einrichtungen voll belegt, würde das insgesamt rund 4900 Vollzeit-Mitarbeitende erfordern. Das bedeutet, dass wir bei Vollbelegung heute schon rund 610 Vollzeit-Mitarbeitende mehr bräuchten.“
Bei der bayerischen Arbeiterwohlfahrt (AWO) sieht es ähnlich aus. Auf dem Papier kann der Verband insgesamt 12 534 Heimplätze in 144 Einrichtungen vorweisen. Deren durchschnittliche Auslastungsquote belief sich im September aber nur auf 88,38 Prozent. Das heißt: Mehr als jedes zehnte Bett steht leer. Weil es an Personal fehlt. Personelle Engpässe hätten in der Vergangenheit sogar schon dazu geführt, „dass ganze Stationen nicht belegt werden konnten“, erinnert sich der Co-Vorsitzende des bayerischen AWO-Landesverbands, Stefan Wolfshörndl. Alexander Schraml vom Vorstand der Kommunalen Altenhilfe Bayern (KAB), dem Verband der kommunalen bayerischen Pflegeeinrichtungen, bringt es auf einen einfachen Nenner: „Die Belegung eines Pflegeheims ist abhängig von der Anzahl der Pflegekräfte.“
Pflegenotstand - kein neues Thema
Dabei ist das Thema alles andere als neu. Schon in den 1960er- und 1970er-Jahren war vom „Pflegenotstand“ die Rede. Die Corona-Pandemie verschärfte die Probleme noch. Die Angst vor dem Virus, das gerade alte und kranke Menschen besonders bedroht, zeitweise Betretungsverbote in den Heimen, die Diskussionen mit verzweifelten Menschen, die ihre Angehörigen nicht besuchen durften, Quarantänebestimmungen – all das habe die Mitarbeitenden extrem belastet, sagt Taheri-Sohi. Außerdem sei die Pandemie in den Einrichtungen längst nicht vorbei: Während andernorts Normalität eingekehrt ist, würden die Pflegeheime immer noch wie Intensivstationen behandelt, mit teils realitätsfernen Schutzvorgaben. Nicht zu vergessen der Frust über die einrichtungsbezogene Impfpflicht.
Die Folge: Immer mehr Fachkräfte kehren der Pflege den Rücken. Mit fatalen Konsequenzen. Die Dienstpläne in den Heimen, wissen Wolfshörndl und Taheri-Sohi, seien häufig das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Oft genug erlebten es die Beschäftigten an ihren freien Tagen, dass morgens das Telefon klingelt: „Bitte, bitte komm und hilf uns – es ist jemand ausgefallen!“ Diese fehlende Planbarkeit mache den Mitarbeitern am meisten zu schaffen, sagt der BRK-Sprecher: „Es gibt keinerlei Work-Life-Balance mehr, das Privatleben wird immer wieder hintangestellt.“
Wie das Problem zu lösen wäre? Auch darauf haben die Fachleute Antworten. Konzepte für einen Springer-Pool in der Pflege, wie sie Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ins Gespräch brachte, seien durchaus sinnvoll, sagt der BRK-Sprecher. Der AWO-Chef mahnt hingegen mehr Ausbildung an.
Diskutiert wird außerdem über eine Senkung der Pflegefachkraftquote. Bisher müssen 50 Prozent der Heimmitarbeitenden examinierte Fachkräfte sein. Diese starre Regelung werde jedoch im Sommer 2023 durch flexiblere Vorgaben ersetzt, sagt Stefan Wolfshörndl. Einrichtungen mit zahlreichen schwer Pflegebedürftigen müssten dann mehr Fachpersonal vorweisen. Dass sich die Nöte damit lindern lassen, ist allerdings fraglich. Denn auch Assistenzkräfte seien rar, berichtet der AWO-Chef: „Allein im Bereich der AWO Bayern fehlen uns rund 600 Pflegefachhelfer.“
Umso größer ist der Frust der Heimbetreiber darüber, dass ihre Bemühungen, beispielsweise im Ausland neue Leute zu gewinnen, immer wieder torpediert werden – durch die ausufernde Bürokratie. Mit Schaudern erinnert sich Alexander Schraml an die Anwerbung von Fachkräften aus dem Kosovo: Ein Jahr habe sich das Verfahren hingezogen. „Wenn Sie aber einen Fußballspieler für die Bundesliga anwerben, dauert das vielleicht mal zwei Wochen“, ärgert er sich. (Brigitte Degelmann)
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