Was für ein Aufwand. Eine Wahlkampfveranstaltung der AfD zu besuchen ist selbst für Fans der Partei schwierig. Bis zuletzt werden die Orte geheim gehalten – aus Angst vor Störmanövern. Oder weil Wirte bedroht werden, die der AfD Räume zur Verfügung stellen. Auch an diesem Abend in München gibt es Turbulenzen. Demonstranten skandieren Anti-AfD-Parolen. Die Polizei ist vor Ort.
Die Gaststätte, in der vor der Bundestagswahl vier AfD-Leute auftreten, ist leicht zu finden: Es ist das Haus mit Polizeiaufgebot plus einem Protestgrüppchen. In der ansonsten ruhigen Wohnstraße im Münchner Norden sticht es gleich ins Auge.
Der AfD-Kreisverband München Ost präsentiert an diesem Abend die Bundestagskandidaten Maximilian Krah, Tobias Teich und Christoph Rätscher. Die AfD-Leute sind wütend, weil jemand die Location „durchgestochen“ habe. Eine empörte Besucherin spricht von „17 Leuten“, die draußen rechte Politik geißeln und die Demokratie beschwören. Der Landtagsabgeordnete Rene Dierkes, Kreisvorsitzender der AfD München Ost, ist sauer wegen Anti-AfD-Graffiti auf der Straße.
In einem Nebenraum, der noch immer mit Weihnachtsdeko bestückt ist, versammeln sich rund 100 Leute. Damit ist der Saal proppenvoll, nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer können an Tischen Platz nehmen.
Das Vertrauen in die Medien haben viele verloren
Ein 39-jähriger Münchner hat einen Platz ergattert. Er sitzt vor einem alkoholfreien Hellen und sagt, er sei „seit Jahren AfD-Wähler“. Warum? Die Union, einst seine politische Heimat, sei für ihn „nicht mehr wählbar“. Er zählt auf: Migrationspolitik, Energiepolitik, Selbstbestimmungsgesetz.
Dass die AfD mit dem Etikett rechtsextrem versehen wird, beeindruckt ihn nicht. „Das basiert auf Einschätzungen der Verfassungsschutzämter“, sagt er. Es handele sich da aber „nicht um unabhängige Behörden“. Er habe sich „Primärquellen“ angeschaut und darin „kein Nazi-Gerede“ entdeckt. Bei einer Wahlveranstaltung war er noch nie. Bis jetzt. Es sei kompliziert, an die Infos zu kommen, erzählt er – das werde ja nicht öffentlich kommuniziert. Dass er es jetzt geschafft hat, liegt an familiären Kontakten. In seinem grün angehauchten Freundeskreis ist seine AfD-Nähe ebenso wenig bekannt wie im Job. Er arbeite im IT-Bereich, berichtet der Mann, als Betriebswirt. Und fürchtet „soziale Sanktionen“, sollten seine politischen Präferenzen bekannt werden.
Die Stimmung im Raum ist gut, es wird ein langer Abend. Hauptthema aller Redner: die Migration. Wobei sich die Diktion des Personals erheblich unterscheidet.
Der Landtagsabgeordnete Dierkes (33) stellt in seiner Begrüßung klar: Donald Trumps Agenda sei super, eine Blaupause für Deutschland: „So vorbildlich wie die USA wollen auch wir sein“, ruft er. Dierkes spricht davon, dass „unsere Kinder abgestochen werden“ und dass „Migranten, die angeblich vor Krieg und Terror fliehen, Gewalt und Terror zu uns bringen“. Die Lösung könne nur lauten: „knallharte Remigration“.
"Biodeutsche" versus "Messerbestien"
Dierkes Ansage ist freundliches Geplänkel im Vergleich dazu, was nun kommt. Der Bundestagskandidat Christoph Rätscher (37), Fraktionsmitarbeiter im Landtag, zieht verbal krass vom Leder. Seine rhetorischen Fähigkeiten sind noch ausbaufähig – er liest jedes Wort vom Blatt ab. Rätscher frohlockt über die „100 stolzen Patrioten“, die zur Veranstaltung gekommen sind, und beklagt, dass es „Biodeutsche“ zunehmend schwer hätten, „bloß weil man ausspricht, was der Großteil der Bürger denkt“. Mit seinen Formulierungen bedient Rätscher jedes AfD-Klischee, spricht von einer „Armee an Messerbestien“, die ins Land gelassen wurden, und davon, dass „diese Tiere“ sonst wohin abgeschoben werden müssten.
Der martialische Auftritt kommt beim Publikum nur mäßig an. Inhaltlich sei es „okay“ gewesen, findet der Betriebswirt, „an der Präsentation kann er noch arbeiten“.
Die Kellner tragen derweil riesige Schnitzel und etliche Biere durch den Raum. Der Geräuschpegel im Publikum ist gering, die Leute wollen tatsächlich zuhören. Ein Rentnerpaar lauscht aufmerksam. Die beiden sind seit 2016 beziehungsweise 2017 AfD-Mitglieder. Der Mann, vormals Maschinenbauingenieur, erzählt, früher habe er SPD gewählt. Helmut Schmidt fand er toll, „weil er Probleme erkannt und schnell gelöst hat“. Einmal habe er sogar CSU gewählt – wegen Franz Josef Strauß. Der Rentner sagt: „Ich hab meine Ansichten nie geändert, aber die anderen sind so weit abgedriftet.“ Er führt an: Migration, Energie, Klima, Medien.
Überhaupt, die Medien, sie kommen nicht gut weg an diesem Abend. Von „Lügerei“ ist die Rede. Der Rentner klagt: „Bestimmte Dinge werden gar nicht berichtet.“ Eine Mitarbeiterin der Münchner Kripo, ebenfalls unter den Gästen, stimmt zu. Medien ließen Fakten weg, behauptet sie. Und dass selbst bei der Polizei oft Dinge „unter den Teppich gekehrt“ würden. Was genau? Sie nennt das Thema Ausländerkriminalität. Und ärgert sich darüber, dass ausländische Straftäter im Polizeibericht als „Münchner“ bezeichnet werden – sofern sie einen festen Wohnsitz in München haben. Das sei doch „Manipulation pur“, wütet die Frau.
EU-Austritt? Maximilian Krah will davon nix wissen
Hauptattraktion an diesem Abend ist Maximilian Krah (48), seit 2019 Europaabgeordneter. Parteiintern ist er umstritten. Im Vorfeld der EU-Wahl wurden ihm Verbindungen zu China und Russland vorgeworfen, sein Ex-Mitarbeiter soll für China spioniert haben. Mit Äußerungen über die SS („Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war“) verursachte er selbst in Teilen der AfD Ärger.
Krah sowie sein Vorredner Tobias Teich (41) sind – jedenfalls rhetorisch – von anderem Kaliber. In freier Rede, mit einigem Humor und relativ gemäßigtem Vokabular sorgen sie beim Publikum für Begeisterung. Teich, stellvertretender AfD-Landesvorsitzender und derzeit Referent bei der AfD-Bundestagsfraktion, ätzt über die „unglaubliche Dummheit der Brandmauer“ und fordert eine Migrationswende. Dass seine Partei fremdenfeindlich sei, weist er zurück. Teich ruft: „Unsere Partei ist voll von Leuten, die entweder selbst Migrationshintergrund haben oder deren Partner einen hat.“
Er schildert Erlebnisse, die er Stunden zuvor am AfD-Infostand im PEP, einem Münchner Einkaufszentrum, hatte. „Beschimpft wurden wir dort nur von den Deutschen“, sagt Teich. Es seien die Ausländer gewesen, die, à la Elon Musk erklärt hätten: „Die AfD ist die letzte Hoffnung für Deutschland.“ Riesenapplaus.
Maximilian Krah beschränkt sich nicht auf das Thema Migration. In seiner langen Rede streift er vieles. Auch den Vorwurf, dass die AfD eine homophobe Partei sei. Blödsinn, wiegelt er ab. „Der Anteil der Homosexuellen in der AfD ist höher als in der Gesamtbevölkerung.“ Beweisen lässt sich das schlecht. Krah formuliert: „Wir haben nix gegen Schwule, aber wir sind nicht queer.“
Krah distanziert sich von AfD-Forderungen, Deutschland solle aus der EU austreten. Bringt nix, warnt er. „Unsere Nachbarn würden uns über Zölle vernichten.“ Reformieren müsse man die EU trotzdem. Ihm schwebt eine Wirtschafts- und Freihandelsgemeinschaft vor. „Und die Einwanderung machen wir allein.“
Krah gibt sich siegesgewiss. Er sagt: „Die Situation für die Altparteien wird instabil.“ Und: „Unsere Zeit kommt.“ Die Brandmauer, prophezeit er, „ist in zwei Jahren Geschichte“. Nahezu zeitgleich werden die Vorstöße von CDU-Chef Friedrich Merz zur Begrenzung der Migration bekannt. Und dass er dafür die Zustimmung der AfD in Kauf nimmt. Krah ruft: „Wir sind die Vertreter der Zukunft Deutschlands.“ Das Publikum jubelt.
(Waltraud Taschner)
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