Politik

Kann er noch Spitzenkandidat werden? Horst Seehofer ist angeschlagen. (Foto: dpa)

09.10.2017

Ist Seehofer jetzt gerettet?

Befreiungsschlag oder nur kurze Atempause? In der CSU gehen die Meinungen weit auseinander, was der Unions-Kompromiss für die Zukunft von Parteichef Seehofer bedeutet. Vieles ist denkbar

Horst Seehofer gibt sich äußerst zurückhaltend. "Auch wir sind sehr zufrieden, auch wir freuen uns", sagt der CSU-Chef, als er am Montag gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Unions-Kompromiss zur Begrenzung der Zuwanderung vorstellt. Das Jubeln überlässt er seinen Getreuen: Generalsekretär Andreas Scheuer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, aber auch CSU-Vize Manfred Weber, der fast ins Schwärmen kommt: "Das ist ein großer Erfolg für die CSU und ganz persönlich für Horst Seehofer." Und auch in einer Schalte der engsten CSU-Spitze seien alle voll des Lobes gewesen, hätten den persönlichen Erfolg Seehofers betont, heißt es.

Tatsächlich ist nun der Weg frei für Jamaika-Sondierungen der Union mit FDP und Grünen, der Dauerstreit zwischen den Unions-Schwestern über die Flüchtlingspolitik ist beigelegt. CSU-intern aber ist nun die große Frage: Was bedeutet das für Seehofers politische Zukunft?

Fakt ist: Die CSU ist bei der Bundestagswahl auf 38,8 Prozent abgestürzt, ihr schlechtestes bundesweites Ergebnis seit 1949. Schon am Tag nach der Wahl gab es erste Rücktrittsforderungen an Seehofer. Eine Krisensitzung der Landtagsfraktion endete mit dem Konsens, dass die Personaldebatte erst auf dem Parteitag Mitte November geführt werden soll - um die CSU-Position in Berlin nicht zu schwächen.

Alle sind sich sicher, dass noch nichts sicher ist

Hört man sich am Montag bei CSU-Vorstandsmitgliedern und -Mandatsträgern um, so sind sich eigentlich alle sicher, dass noch immer nichts sicher ist. Es gibt allerdings verschiedene Szenarien.

Für am Wahrscheinlichsten halten viele diese Variante: Seehofer wird erhobenen Hauptes zum CSU-Parteitag anreisen. Er wird für sich in Anspruch nehmen, eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen gegenüber der Kanzlerin durchgesetzt zu haben - auch wenn diese nicht Obergrenze heißt. Seine Unterstützer werden deshalb betonen, wie wichtig Seehofer auch in den Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen sei. Der 67-Jährige wird deshalb als Parteichef wiedergewählt - wenn auch mit einem merklich schlechteren Ergebnis als letztes Mal.

Bemerkenswert ist dabei: Schon 2015 hatte die Basis Seehofer bei dessen Wiederwahl einen Denkzettel verpasst - mit 87,2 Prozent erhielt er unter anderem für seinen Umgang mit Merkel sein bis dato schlechtestes Ergebnis. Über diesen Wert dürfte er sich in knapp fünf Wochen sehr freuen.

Allerdings: Ob Seehofer tatsächlich auch Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2018 bleiben kann, wird parteiintern immer stärker bezweifelt. Zwei CSU-Bezirksvorstände - Oberpfalz und Oberfranken - verlangen bereits einen geordneten personellen Übergang, und auch in der Münchner CSU ist das weit verbreitete Meinung. Die beiden Landtagsabgeordneten Alexander König und Petra Guttenberger erneuern am Montag auch noch einmal ihre Rücktrittsforderungen.

Die Frage nach der Spitzenkandidatur wird kommen. Nur wann?

Das Glaubwürdigkeitsproblem, in das Seehofer die CSU gestürzt habe, sei mit dem Unions-Kompromiss nicht behoben, sagt ein weiterer CSU-Mann, der seinen Namen aber nicht in den Medien lesen will. "Da wird sich die Stimmung gegen Seehofer auch nicht mehr ändern."

Mindestens die Frage nach der Spitzenkandidatur wird also ganz sicher kommen - nur wann? Schon auf dem Parteitag fordern viele, etwa die Oberfranken-CSU, ein Signal Seehofers, wie er sich den Übergang zu seinen Nachfolgern vorstellt. "Dis Diskussion wird kommen, und die wird auch keiner aufhalten", sagt ein CSU-Vorstandsmitglied. Denn das gehe jetzt von unten nach oben: Der Unmut der Parteibasis, der vielerorts im Land zu spüren sei, werde sich bis zum Parteitag immer weiter nach oben entladen. "Und wie das ausgehen wird, weiß keiner."

Am Ende, heißt es, werde sich die CSU die Frage stellen, mit wem als Spitzenkandidat man die besten Chancen bei der Landtagswahl 2018 hat. Da geht es dann um die Verteidigung der absoluten Mehrheit. "Wir brauchen 2018 einen Aufbruch", fordert ein CSU-Landtagsabgeordneter.

Der aussichtsreiche Nachfolgekandidat, Finanzminister Markus Söder, hält sich am Montag zurück. Natürlich begrüße er das Ergebnis: "Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Ich denke, da ist sehr viel Gutes in diesem Kompromiss." Ansonsten schweigt er und gibt sich doppeldeutig: "Wir haben immer gesagt, Personalfragen werden woanders diskutiert." Zudem komme der "eigentlich schwere Brocken" noch, "nämlich die Frage mit den Grünen".
(Christoph Trost und Marco Hadem, dpa)

INFO: Obergrenze oder doch keine Obergrenze?
Hat die CSU von der CDU nun ihre Obergrenze bekommen oder doch nicht? Nach dem Unions-Kompromiss sind Deutungen nicht ganz leicht. Immer wieder hatte die CSU ihre Forderung bekräftigt, etwa beim Parteitag 2016: "Die Zahl von maximal 200 000 neuen Flüchtlingen pro Jahr bildet die Obergrenze für unsere Aufnahmefähigkeit ab. Wir wollen die Obergrenze gesetzlich festschreiben." Da Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Obergrenze immer wieder strikt ablehnte, wurde das Thema während des Wahlkampfs ausgeklammert - was ergibt sich also jetzt?

Klar ist: Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf, die Rede ist von "Rahmen" und "Ziel". Dafür wird ausdrücklich 200 000 als nicht zu übersteigende "Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen" genannt - eine konkrete Größenordnung, auf die sich Merkel zuvor nicht eingelassen hat, an der sie nun aber politisch gemessen werden kann.

Bei der Zahl 200 000 steckt der Teufel jedoch in einigen Details. Sie meint nicht einfach die neu ankommenden Flüchtlinge in einem Jahr, sondern erfordert eine Rechnung: Ankommende mit unterschiedlichem Status minus diejenigen, die abgeschoben werden oder Deutschland freiwillig verlassen. Wer genau die Zahl 200 000 festlegen und die Rechnung aufmachen soll, sagen CDU und CSU in ihrer Einigung nicht.

Festgehalten wird aber schon eine grundsätzlich mögliche Flexibilität bei der Zahl 200 000. Sollte sie "durch internationale oder nationale Entwicklungen" nicht eingehalten werden, könnten Bundesregierung und Bundestag "geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben" beschließen. Die 200 000 wären dann eine Marke, von der ausgehend die tatsächliche Zahl auch niedriger oder höher ausfallen könnte.
(dpa)

Kommentare (2)

  1. Genug am 10.10.2017
    Ha, ha, ha!!! Da hat die realitätsferne Herrscherin in Berlin die ganz Gescheiten aus München ordentlich über den Tisch gezogen. Der Zusatz, dass keiner, der an der Grenze ist, zurück geschickt wird, ist eine Falle und die Herren aus der CSU bemerken das noch nicht mal. Da kann einem nur noch das Grausen kommen. Wenn also 10 Millionen die Grenze erreichen, dann kommen die alle rein. Ob Verbrecher, Scheinasylant oder Schmarotzer, ob mit Pass oder ohne und Keinen kann man zurück schicken. So erbärmlich knickt die große CSU wegen des eigenen Machterhalts vor dieser Frau und den Grünen ein. Schon mal überlegt? Über 90% der Deutschen wollen die Grünen nicht. Viel Spaß, aber in Zukunft ohne mich!!! Die Wahlen sind nicht mehr weit.
  2. Miiich am 10.10.2017
    Eine Augenwischerei wie diese (siehe Ihr Info-Kästchen) wird die CSU nicht retten.
    Zumal nicht einmal diese Gummizahl beruhend auf einer Berechnung mit flexiblen Variabeln bei den Grünen durchsetzbar sein wird.
    Die CSU hat nicht mehr viel Zeit sich zwischen Berlin und Bayern zu entscheiden.
    Beides kann sie nicht mehr halten.
    Laviert sie so weiter, wird sie nächstes Jahr dauerhaft Bayern und in 4 Jahren Berlin verlieren und in ein paar Jahren als CDU-Landesverband mit 20-25% Stimmenanteil enden.
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