Es erinnert an das Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Ein Wolf hat vor einigen Jahren auf der Alm von Bäuerin Brigitta Regauer im Rotwandgebiet bei Bayrischzell sieben Schafe gerissen. Genau dort, wo Problembär Bruno schon sein Unwesen trieb. Zwei weitere ihrer Tiere sind seitdem spurlos verschwunden. Insgesamt haben den Bauern in der Region laut Regauer nach den Angriffen 42 Schafe gefehlt. Und das ist nicht alles: „Uns wurde gesagt, den Rindern tut der Wolf nichts“, erzählt sie. Das stimmte zwar. Allerdings sind auf der Flucht vor dem Wolf zwei ihrer Rinder abgestürzt.
Nachdem der Wolf in Mitteleuropa fast ausgerottet war, steigt die Population seit 19 Jahren. Inzwischen gibt es wieder 15 000 bis 20 000 Wölfe in Europa. In Deutschland sind es aktuell 46 Rudel, 15 Paare und vier sesshafte Wölfe. Umweltschützer gehen davon aus, dass es heuer auch in Bayern zu einer Rudelgründung kommt. Gesichert gibt es laut bayerischem Landesamt für Umwelt (LfU) zwar bisher nur zwei Pärchen. Die Gregor-Louisoder-Umweltstiftung hat aber mehrfach männliche und weibliche Tiere im Bayerischen Wald und im Bereich des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr registriert und rechnet mit Nachwuchs. Das sind keine guten Nachrichten für Weidetierbetriebe.
Wölfe leben meistens in Gebieten mit Schaf- und Ziegenhaltung. Was Regauer, die auch Wolfsbeauftragte des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern (AVO) ist, besonders ärgert: Der Ausgleichsfonds für Weidetierhalter ersetzt bei einem Riss nur den Schlachtpreis und nicht den höheren Zuchtpreis. Der Almwirtschaftliche Verein fordert daher, den unter Artenschutz stehenden Wolf zum Schutz von Nutztieren abschießen zu dürfen. Das ist zwar bei einem Angriff schon jetzt erlaubt. „Es ist bislang aber kein einziger Fall dokumentiert, in dem in Deutschland eine Abschussfreigabe erfolgt wäre“, sagt der AVO-Vorsitzende Georg Mair.
Ein Abschuss ist schon jetzt erlaubt
Unterstützung erhält der AVO vom Bundesagrarministerium. „Der Wolf ist kein jagbares Wild, aber eine Regulierung des Bestandes muss möglich sein“, sagte Minister Christian Schmidt (CSU) Anfang des Jahres. Eine beschränkte Abschussfreigabe sei allein deshalb nötig, weil natürliche Feinde fehlten. Die Reproduktionsrate soll jährlich bis zu 30 Prozent betragen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) widersprach umgehend: Der Abschuss verhaltensauffälliger Tiere sei bereits jetzt möglich. „Eine wie auch immer beschränkte Abschussfreigabe ist daher gar nicht erforderlich“, resümierte sie.
Wie es in Zukunft weitergeht, ist derzeit unklar. Die Umweltministerkonferenz hat zwar letzte Woche die Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe beschlossen. Sie soll sich mit den Themen „Günstiger Erhaltungszustand des Wolfes“ und „Definition und Umgang mit Problemwölfen“ befassen. Bis zur nächsten Sitzung im November passiert aber erst einmal gar nichts. Auch Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) will bis zu einem schriftlichen Bericht der Bundesregierung keine eigenen Schritte unternehmen.
Die Landtagsfraktionen in Bayern konnten sich ebenfalls noch nicht auf einen einheitlichen Kurs einigen. Die CSU fordert, dass der Schutz des Wolfes gelockert wird. „So könnte man rechtzeitig eingreifen, bevor ein großer Schaden angerichtet wird“, meint Eric Beißwenger (CSU). „Deshalb muss die rechtliche Voraussetzung geschaffen werden, dass Wölfe abgeschossen werden können, wenn sie Weidetiere töten“, pflichtet ihm Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger bei. Die Staatsregierung solle sich daher auf Bundes- und Europaebene für eine Neubewertung der Rechtslage einsetzen.
Für SPD und Grüne hingegen ist die Rückkehr des Wolfes ein Erfolg der europäischen Naturschutzpolitik. „Wer jetzt nach Abschuss ruft, fordert zum Rechtsbruch auf und ermutigt insgeheim kriminelle Wilderer“, kritisiert Florian von Brunn (SPD). Wölfe stellen ein Problem für nur einen kleinen Teil der Landwirtschaft dar“, ergänzt Christian Magerl (Grüne). Große Schaf- oder Rinderherden im Flächenland seien eingezäunt und nicht betroffen. „Es geht also nur um kleine, nicht eingezäunte Herden von Weidetieren.“
Der AVO-Wolfsbeauftragten Regauer treiben solche Aussagen die Zornesröte ins Gesicht. „Die Naturschützer sitzen alle in ihrem Büro am Computer und verlangen von uns, dass wir so arbeiten wie vor 200 Jahren“, schimpft sie. Weder eine Vergitterung des Alpenraums mit Schutzzäunen noch die Aufrüstung der 1400 Almen in Süddeutschland mit Herdenschutzhunden seien in der Praxis realisierbar. „Ich bin als Bäuerin sehr lärmresistent“, erklärt sie. Doch wenn alle eineinhalb Stunden fünf Minuten laut ein Hund belle, könne selbst sie nicht schlafen. Auch Wandern sei in Gebieten mit Herdenschutzhunden nur noch eingeschränkt möglich.
Das LfU setzt dennoch auf diese Maßnahmen. Aus dem Präventionsfonds werden unter anderem Elektrozaunnetze und Pilotprojekte zum Herdenschutz mit dem Schwerpunkt Herdenschutzhunde finanziert. Über den Fonds werden auch Betriebsberatungen, Schulungen, Vorträge und Fach-exkursionen für Nutztierhalter durchgeführt. Vor Ort stehen Betroffenen über 150 Ehrenamtliche vor Ort zur Verfügung. Und auch der Bayerische Jagdverband veranstaltet regelmäßig Symposien, um über die Entwicklung der Wölfe zu informieren.
Bisher scheint das Thema allerdings mehr von Emotionen als von Fakten dominiert. In Europa gab es in den letzten 60 Jahren fünf Nachweise von Wolfsangriffen auf Menschen – vier davon wegen Tollwut, die in Deutschland ausgerottet ist. In der Bundesrepublik kam seit der Rückkehr des Wolfs laut LfU noch kein Mensch zu Schaden. „Auch Übergriffe auf Nutztiere durch Wölfe traten in Bayern nur vereinzelt auf“, bilanziert ein LfU-Sprecher. 2015 wurden insgesamt sechs Schafe gerissen, 2016 ein Schaf und 2017 bisher vier Schafe. (David Lohmann)
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