Die Landtagskandidatin und Münchner FDP-Vorsitzende Jennifer Kaiser-Steiner wirkt in ihrem schwarz gepunkteten Sommerkleid und den parteitypischen gelben Schuhen etwas verloren. „Darf ich Ihnen ein paar Infos zur Wahl mitgeben?“, fragt die 33-Jährige unentwegt. Doch die meisten Menschen winken ab und hetzen weiter durch die Münchner Innenstadt. Der Standort ihres Wahlkampfteams vor dem Apple Store wirkt zwar auf den ersten Moment für die Liberalen passend. Besonders beliebt ist der Platz aber bei keiner Partei, denn viele potenzielle Wähler*innen trifft man hier nicht. Er wird vom Kreisverwaltungsreferat vergeben. Kaiser-Steiner tritt auf Platz 10 für den Stimmkreis 104 Milbertshofen, Schwabing-West und Neuhausen an. „Wir machen eher allgemein Werbung für die bayerische FDP.“
Die FDP konnte mit ihrer Corona-Politik punkten
Plötzlich bleibt doch ein Mann mittleren Alters stehen. „FDP?“, fragt er, während sich sein Dreitagebart-Gesicht aufhellt. Die wähle er schon lange. Dabei sei er früher Mitglied der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gewesen. Geändert habe sich seine Meinung während der Corona-Krise, als die Partei als einzige „vernunftgeprägte“ Politik gemacht habe. Wie sich im Verlauf des Nachmittags zeigt, ist er damit nicht der Einzige. Nur seinen erwachsenen Sohn habe er aber noch nicht überzeugen können. „Der spricht von Ministerpräsident Söder auf Facebook als seinem ‚Landesvater‘ – und erhält dafür von seinen Freunden auch noch richtig viele Likes.“ Entsprechend unsicher ist der Mitfünfziger, ob es die FDP in den Landtag schafft. Doch er gibt sich optimistisch: „Wo ist die Wahlparty?“, fragt er Kaiser-Steiner. Die muss erst nachfragen. „Im Lenbachhaus“, antwortet sie amüsiert und motiviert.
Die Landtagskandidatin ist überzeugt, dass es trotz der mauen Umfragewerte mit dem Einzug ins Maximilianeum klappt. Zuletzt lag die FDP bei 4 Prozent. „Neuste Erhebungen zeigen aber, dass wir über 5 Prozent sind.“ Kaiser-Steiner setzt vor allem auf die prominenten Namen in ihren Reihen, beispielsweise Ex-Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (77) und Ex-Focus-Chef Helmut Markwort (86). Klar, beide seien nicht mehr die Jüngsten. „Aber die Mischung macht’s.“ So habe die Partei auch Susanne Seehofer (31), Tochter von Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer, in ihren Reihen. Im Gegensatz zur letzten Landtagswahl habe sich auch der Frauenanteil bei den Kandidaten deutlich erhöht. 2018 hatte es nur Julika Sandt in die damals noch elfköpfige Landtagsfraktion geschafft. 2022 wechselte Ex-CSUler Franz Josef Pschierer zu den Liberalen.
Kaiser-Steiner hat es an diesem sonnigen Montagnachmittag vergleichsweise leicht. Mitte Juli war sie mit Fraktionschef Martin Hagen beziehungsweise Bundesfinanzminister Christian Linder am Münchner Odeonsplatz. Das Wetter war damals zwar ähnlich gut, die Stimmung allerdings aufgeheizter. Das Publikum: ein völlig anderes. „Wir sind hier, um uns über die 17-jährigen Polohemden-Träger lustig zu machen“, erzählten Lloyd (19) und Ruben (18) der Staatszeitung. Während Lindners Rede beginnen unter Buh-Rufen und Trillerpfeifen die richtigen Proteste. „Ihre Politik ist nicht zukunftsfähig“, schallt es über den Platz. „Wer viel schreit, verbraucht viel CO2“, ruft der Bundesfinanzminister den jungen Gegendemonstranten zu. „Klebt euch lieber fest.“ Kurz danach versagt seine Stimme. „Zum Glück gibt’s bei der Wahl eine Zweitstimme“, krächzt er abschließend.
Vor Linders Rede am Odeonsplatz lässt Kaiser-Steiner die „Wir brauchen Klimaschutz“-Protest-plakate ebenfalls nicht unbeantwortet. Trotz ihrer freundlichen Art, kann sie offensichtlich auch anders. „Kleben Sie sich nicht an Sachen fest, sondern lieber an CO2-freundlichen Start-ups“, rief sie den Demonstrierenden damals zu. Die Referentin eines der größten deutschen Gründungszentren und Münchner Hochschuldozentin tritt für mehr Fortschritt in Bildung, Wissenschaft und Gründertum ein. „Wir wollen aufs Tempo drücken“, sagt die 33-Jährige und übergibt den Menschen wie zum Beweis bei ihren Wahlkampfveranstaltungen immer eine Packung Taschentücher. Dann spricht sie von „Technologieoffenheit“ – für manche an diesem Tag ein Reizwort, weil es den Ausbau der erneuerbaren Energien aus ihrer Sicht eher hemmt als fördert. Für die FDP ist das aber eine „Geisteshaltung“.
Auch wenn manche Menschen einfach weiterlaufen: Die Landtagskandidatin lässt sich davon nicht beeindrucken. Ihre Vorhaben im Landtag neben der Stärkung von Hochschullehre und Gründertum: Kita-Plätze schaffen und die Betreuungszeiten erweitern. „Auch der Deutschunterricht muss ausgebaut werden, damit die Kinder in den Schulen richtig durchstarten können“, ist sie überzeugt. Was sagt sie zur aktuellen Situation der Ampel-Bundesregierung? Natürlich gebe diese gerade nicht das beste Bild ab. „Vieles könnte schneller gehen“, räumt sie ein. Andererseits sei Finanzminister Lindner nicht wie derzeit dargestellt „der Böse“, sondern der, der die Haushaltsgesetze einhalte. Die Beachtung der Schuldenbremse wird laut Kaiser-Steiner bei den anderen Parteien viel zu stark vernachlässigt.
„Die Ampel-Koalition müsste schneller werden“
Warum macht die junge Frau das alles, obwohl die Chancen für die FDP und für sie als Kandidatin wenig aussichtsreich sind? Zudem kostet sie der Wahlkampf einen hohen vierstelligen Betrag, von dem sie von der Partei nur wenig erstattet bekommt. Hinzu kommen die Menschen, die sie wegen des Ukraine-Krieges und mit seltsamen Theorien beschimpfen. „Für die Demokratie“, sagt sie, ohne nachzudenken. „Und um beruflich was zu lernen.“ Eines bleibt aber an diesem Wahlkampftag unbeantwortet. Der FDP-Slogan „Servus Zukunft“. „Servus“, sagt eine Rentnerin im Vorbeigehen, heißt doch in Bayern eigentlich „Adieu“. Von der Hand zu weisen ist das nicht. Bleibt für Kaiser-Steiner zu hoffen, dass es kein schlechtes Omen für die Partei oder die Landtagswahl ist.
(David Lohmann)
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