Politik

Nur 105 der 244 Leopard-II-Panzer der Bundeswehr sind aktuell einsatzbereit. (Foto: dpa/Philipp Schulze)

22.04.2022

"Kampfflugzeuge, Panzer und Munition fehlen"

Jochen Zellner, Politologe und stellvertretender Leiter der Europäischen Akademie, über den Zustand der Bundeswehr, Waffenlieferungen an die Ukraine und das Thema Wehrpflicht

Wie steht es um die Bundeswehr, wo herrschen die größten Missstände? Jochen Zellner, stellvertretender Leiter der Europäischen Akademie, ist dort für sicherheitspolitische Themen zuständig. Die Europäische Akademie mit Sitz in München ist ein gemeinnütziger und überparteilicher Verein für europapolitische Jugend- und Erwachsenenbildung. Finanziert wird sie unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung.

BSZ Herr Zellner, von 128 Eurofightern sind nur 39 einsatzbereit; von 244 Leopard-II-Panzern nur 105 und von sechs U-Booten sogar nur eines. Eine Armee mit einer solchen Ausrüstungsbilanz kann man eigentlich auch auflösen, oder?
Jochen Zellner Im Bereich der Landesverteidigung stehen wir ziemlich blank da – wie es der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, sehr deutlich formuliert hat. Aktuell steht der Bundeswehr wenig einsatzfähiges Material zur Verfügung. Und ja, da fällt es schwer zu glauben, dass sie in der Lage ist, die Landesverteidigung zum Wohle der Bundesbürger und Bundesbürgerinnen anzugehen.

BSZ Was sind die Gründe für die Misere?
Zellner Wie viele andere Länder haben wir mit Ende des Kalten Krieges eine Friedensdividende betrieben und die Streitkräfte in ihrer Personal- und Materialstärke zurückgefahren. Es war ja auch nicht mehr notwendig, eine Bundeswehr mit 400 000 Soldaten zu unterhalten. Wenn man in Auslandseinsätze ging, dann taten sich die Bündnispartner zusammen und brachten ihre jeweiligen einsatzfähigen Komponenten ein, um sich vor Ort gegenseitig zu unterstützen. Man hat hier vielleicht auch zu viel gespart, und Wladimir Putin zeigt uns jetzt, dass die Streitkräfte, gerade die Bundeswehr, in eine bessere Konstitution gebracht werden müssen.

BSZ Sollten die früheren Verteidigungsminister*innen dafür zur Verantwortung gezogen werden?
Zellner Der eine oder andere fordert das. Ich denke aber, das ist letztlich nicht mehr zielführend. Das sind Entscheidungen aus der Vergangenheit. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wir sollten jetzt nach vorn blicken und die Bundeswehr in die Lage versetzen, dass sie die Landesverteidigung tatsächlich wieder bewältigen und Deutschland schützen kann.

BSZ Dann schauen wir mal in die Gegenwart. Und sehen eine Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die sogar in ihrer eigenen Partei inzwischen als Fehlbesetzung gilt; jedenfalls hat sie der Kanzler beim Modernisierungsprojekt faktisch entmachtet.
Zellner Das drängende Thema sind natürlich die umstrittenen Waffenlieferungen an die Ukraine. Meines Erachtens wird das aber mitunter verkürzt dargestellt. Denn Waffenlieferungen und Rüstungsexporte werden ja gar nicht im Verteidigungsministerium genehmigt, sondern im Wirtschaftsministerium, konkret über dessen nachgeordnete Behörde namens Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa).

BSZ Und das ist ein vernünftiges Vorgehen?
Zellner Das Wirtschaftsministerium ist nun mal für Exporte zuständig, für alle Exporte. Ich finde es praktikabel, es so zu handhaben. Das Verteidigungsministerium kann ja hinzugezogen werden, genauso wie das Auswärtige Amt, das eine aktuelle Einschätzung der Situation vor Ort abgibt. Aber über die Genehmigung – oder auch Nichtgenehmigung – entscheidet dann eben das Bafa. Das ist also eine Sache, die kann Christine Lambrecht auch nicht für sich allein in ihrem Haus entscheiden. Von daher wäre ich vorsichtig mit einem vorschnellen Urteil über ihre Person. Man muss sich anschauen, aus welchen Beständen etwas geliefert wird. Sind es Bestände im derzeitigen Eigentum der Bundeswehr oder sind es Produkte, für die Anfragen an deutsche Rüstungsfirmen herangetragen wurden? Und es müssen ja auch Ausrüstungen sein, die die Ukraine sofort einsetzen kann. Es bringt ja nichts, Material zu liefern, an dem sie erst geschult und ausgebildet werden müssen. Das würde zu viel Zeit kosten.

BSZ Wie sollte man die zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr verwenden, was hat Priorität?
Zellner Wir sollten uns von den USA die Kampfflugzeuge vom Typ F35 beschaffen. Die sind in der Lage, Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zu transportieren und abzufeuern. Das Nächste wäre eine ausreichend große Anzahl des Schützenpanzers Puma. Schweres Gerät ist also wichtig, aber auch der Mangel an Munition muss beseitigt werden. Für all das wird schon mal sehr viel Geld benötigt. Deshalb bezweifle ich, ob die 100 Milliarden Euro tatsächlich ausreichen werden. Dieser Prozess wird nicht in zwei Jahren abgeschlossen sein. Es geht auch nicht um ein simples Auf- und Wettrüsten, wie manchmal polemisiert wird. Sondern darum, bereits vorhandene Waffensysteme in größerer Stückzahl zur Verfügung zu haben.

BSZ Glauben Sie, dass das Geld tatsächlich nur für die Ausrüstung verwendet werden wird? Die Parteijugend von Grünen und SPD hat bereits gefordert, einen Teil davon für den Kampf gegen Rechtsextremismus in der Truppe zu verwenden.
Zellner Dieses Sondervermögen ist ausschließlich dafür vorgesehen, wie es der Finanzminister formulierte, „die Bundeswehr zu ertüchtigen“. Es geht meines Erachtens ausschließlich um Material und Ausrüstung. Wenn es um politische Bildung in der Bundeswehr geht, dann haben wir das Zentrum für Innere Führung und das Dezernat für politische Bildung. Der Finanztopf für die politische Bildungsarbeit in der Truppe ist sehr gut gefüllt. Das Problem ist eher, dass viele Einheiten das gar nicht wissen. Dafür braucht es sicher kein Geld aus dem Sondervermögen, und es ist nicht zielführend, diesen Finanztopf jetzt zu zerpflücken. Das würde auch nicht der Idee des Bundeskanzlers entsprechen.

„100 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Ich bezweifle, dass das ausreicht“

BSZ Besteht eine Möglichkeit, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt wird?
Zellner Meiner Meinung nach nicht, und zwar vor allem aus Gründen der Wehrgerechtigkeit. Denn dann müssten auch junge Frauen im Sinne der Gleichberechtigung verpflichtend zum Dienst an der Waffe herangezogen werden. Aber auch aus der Bundeswehr heraus sind viele Stimmen zu hören, die sagen, dass eine Wehrpflicht nicht viel brächte. Wir brauchen keine große Masse an Soldatinnen und Soldaten, sondern sehr gut ausgebildetes Personal für spezielle Waffenkomponenten. Ich sehe lediglich die Möglichkeit, im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht auch in der Bundeswehr zwölf Monate abzuleisten – als Alternative zu einem Dienst in Sozialeinrichtungen oder beim Technischen Hilfswerk.

BSZ Wie will man denn dann Personal für die im Vergleich zu Offiziersposten weniger attraktiven Mannschaftsdienstgrade gewinnen? In der freien Wirtschaft gibt es mindestens ebenso gute Verdienstmöglichkeiten, bei deutlich geringerem Risiko für Leib und Leben.
Zellner Das stimmt, mit Aufhebung der Wehrpflicht ist die Bundeswehr als Arbeitgeber in Konkurrenz getreten zur freien Wirtschaft. Wenn ich zur Bundeswehr gehe, dann heißt das ganz klar: Es kann unter Umständen lebensgefährlich werden für mich persönlich. Ich denke aber dennoch, dass es nach wie vor genügend junge Männer und Frauen geben wird, die dazu bereit sind; auch in den Mannschaftsdienstgraden, und sei es erst mal nur für eine bestimmte Zeit. Ich sehe nicht, dass die Bundeswehr ein grundsätzliches Problem hat, neues Personal zu finden. Aktuell gibt es sogar mehr Bewerberinnen und Bewerber, als man annehmen kann.

BSZ Das Beispiel Ukraine, wo jeder Mann unter 60 Jahren kämpfen muss, zeigt aber: Wenn man von einer militärischen Großmacht wie Russland angegriffen wird, reicht eine reine Fachkräfte-Armee nicht aus, um zu überleben, oder?
Zellner Sollte uns Russland angreifen, dann würde der Bündnisfall der Nato in Kraft treten und das Bündnis würde gemeinsam versuchen, die russische Aggression zurückzuschlagen. Ich sehe diese Gefahr aber nicht akut.

BSZ Wenn die Bundeswehr an Schulen und Hochschulen für sich als Arbeitgeber werben will, gibt es häufig Proteste, bei Gelöbnissen wird nicht selten gepöbelt: Wie soll das Militär in Deutschland wieder einen respektierten Platz in der Gesellschaft finden?
Zellner Die Stimmung hat sich gedreht, speziell bei dem Aspekt von Waffenlieferungen aus Deutschland an die Ukraine. Vor der Rede des Kanzlers im Bundestag gab es bei den Anhängern mancher Parteien bis zu 60 Prozent, die gegen Waffenlieferungen waren; das hat sich mit Fortschreiten des Krieges geändert. Zwei Drittel der Deutschen erachten inzwischen solche Lieferungen als sinnvoll. Aber klar: Es muss für die Bundeswehr problemlos möglich sein, an Schulen und Hochschulen über sich als Arbeitgeber zu informieren; aber auch, dass die Jugendoffiziere an Schulen über sicherheitspolitische Herausforderungen und Bündnisse referieren. Dass Soldatinnen und Soldaten verbal oder vielleicht körperlich angegangen werden, ist für mich nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil, wir sollten diesen Frauen und Männern den gebotenen Respekt und auch unsere volle Unterstützung zukommen lassen. Aber wir leben in einer Demokratie und es wird immer Menschen geben, die aus einer Vielzahl an Gründen die Bundeswehr ablehnen.
(Interview: André Paul)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.