Nach der überraschenden Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten haben CSU-Chef Markus Söder und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak Neuwahlen gefordert. Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete das Stimmverhalten der Thüringer CDU-Landtagsfraktion bei der Wahl eines Ministerpräsidenten der FDP als falsch. Die Fraktion habe "ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei" gehandelt, betonte die Parteivorsitzende.
Kemmerich will mit CDU, SPD und Grünen eine neue Regierung bilden. Er wolle eine Regierung der Mitte, sagte er am Mittwoch im Erfurter Landtag. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit mit einer Regierung unter Kemmerich jedoch bereits eine Absage erteilt.
Einer Kooperation mit der AfD erteilte Kemmerich vor Journalisten eine strikte Absage: "Wir werden keinerlei Politik mit der AfD betreiben." Es werde von ihm kein Angebot an diese Partei geben. "Ich bin Anti-AfD, Anti-Höcke", sagte Kemmerich. Die "Brandmauern" gegenüber dieser Partei blieben bestehen.
Kemmerich bedankte sich bei seiner Ansprache im Landtag bei Amtsvorgänger Bodo Ramelow (Linke), der allerdings nicht mehr im Plenarsaal war. Die Rede Kemmerichs wurde durch Zwischenrufe wie "Heuchler" und "Scharlatan" gestört. Nach seiner Rede wurde die Sitzung des Landtages vertagt.
Kemmerich sagte, er wolle in seine neue Regierung auch parteilose Experten einbinden. Er werde CDU, SPD und Grüne zu Gesprächen einladen und hoffe, dass sie sich "ihrer staatspolitischen Verantwortung" stellen. Zugleich beklagte er sich über Tiraden und Drohanrufe, die ihn bestürzten. Die aufgepeitschte Stimmung müsse nun wieder eingefangen werden.
"Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik"
Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten scharf kritisiert. "Ein Hauch Weimar liegt über der Republik", sagte der Jurist am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Köln. "Ich bin ein alter Mann, 87 Jahre alt. Mir stecken die Schrecken der Nazis und übrigens auch der Nachkriegszeit, in der das Naziwesen noch lebendig war, tief in den Knochen. Und ich sehe in dieser Entscheidung in Thüringen einen Schritt in Richtung Weimar." Die Parallele bestehe darin, dass der Rechtsextremismus wieder tief aus der Mitte des Bürgertums komme.
Kemmerich hätte nie kandidieren dürfen, sagte Baum. Zumindest hätte er die Wahl ablehnen müssen. "Das ist ein unverzeihlicher Dammbruch. Jetzt kommt die AfD erstmals indirekt in die Regierungsverantwortung eines deutschen Landes." Er gehe davon aus, dass die AfD für ihre Unterstützung einen Preis fordere. Die AfD sei eine nicht demokratische Partei, die die Demokratie angreife. Er erwarte deshalb eine klare Distanzierung des FDP-Chefs Christian Lindner.
Aus Protest gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten haben sich am Mittwochnachmittag Demonstranten spontan vor dem Landtag in Erfurt versammelt. Unter ihnen waren rot-rot-grüne Landtagsabgeordnete und Fraktionsmitarbeiter Ein Polizeisprecher sprach zunächst von etwa 100 Teilnehmern. Mit Trillerpfeifen und auf Plakaten äußerten sie ihren Unmut über den Wahlausgang und ihre Sorge vor einem weiteren Erstarken der extremen Rechten in Thüringen.
Historische Parallelen
Einzelne Plakate verwiesen auch auf historische Parallelen in Thüringen. "1930 erster Minister der NSDAP, 2020 erster Ministerpräsident mit Stimmen der AfD", lautete die Aufschrift auf einen handgemalten Plakat. Vor 90 Jahren war mit dem später in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilten und hingerichteten Wilhelm Frick der erste NSADP-Politiker in eine deutsche Landesregierung gekommen.
Als erstes Mitglied der Bundesregierung hatte die Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), Kemmerich zur Wahl gratuliert. Nach wenigen Minuten löschte die CSU-Politikerin den Tweet wieder.
Die Grünen in Bayern nennen die Wahl einen "Dammbruch". "Thomas Kemmerich hat sich von Faschisten ins Amt wählen lassen. CDU und FDP in Thüringen haben bewusst einen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD gewählt. Niemand, aber wirklich niemand kann sagen, er habe das nicht gewusst." Sie fordern CSU-Chef Markus Söder und den bayerischen FDP-Landesvorsitzenden Daniel Föst auf, sich klar für einen Ausschluss der Thüringer Landesverbände von CDU und FDP auf Bundesebene auszusprechen und sich in Berlin intensiv dafür einzusetzen. (dpa, bsz, rs)
Kommentare (2)