Politik

Für die Untersuchung der Kleinsten brauchen Ärzte deutlich mehr Zeit als für Erwachsene. (Foto: dpa/Kahnert)

18.10.2019

Kind krank – Pech gehabt?

Bayerns Kinderärzte sind überlastet, die Kliniken ächzen unter erhöhtem Kostendruck

Aufnahmestopp bei Kinderärzten, überfüllte Wartezimmer, Schließung von Kinderstationen in Kliniken – in Bayern hängt die ärztliche Versorgung junger Patienten am Tropf. „Die Situation ist für alle Beteiligten unerträglich“, sagt Martin Lang, Landesvorsitzender der Kinder- und Jugendärzte in Bayern (BVKJ). Er fordert deshalb „sensiblere Messindikatoren, wie wir den Bedarf planen können“. Dabei bekommt er auch von der Opposition im Landtag Unterstützung, die eine bessere Berechnung und Finanzierung fordert.

Lang selbst hat in seiner Kinderarztpraxis in der Stadtmitte von Augsburg keine Kapazitäten mehr frei. „Seit einem Dreivierteljahr nehmen wir keine Kinder mehr von neu zugezogenen Familien auf“, sagt er. „Sonst bekommen wir Wartezeiten ohne Ende.“ Genauso ginge es bayernweit rund 1000 weiteren Praxen.

Ein Grund für die Misere sind laut Lang die Bedarfsplanungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB), 1992 erstellt. Sie regelt, ob sich ein Vertragsarzt an einem bestimmten Standort niederlassen darf. Doch die Situation hat sich seitdem längst geändert. So gibt es beispielsweise mehr Kinder, doppelt so viele Vorsorgeuntersuchungen und mehr Impfungen. Außerdem ist die Zahl der allergischen Erkrankungen gestiegen, ebenso die von Verhaltensstörungen. Dazu komme: Kinder werden früher und öfter krank, weil sie sich in Kitas immer wieder anstecken, erklärt Lang. Das Absurde an den alten Bedarfszahlen: „Auf dem Papier gibt es in vielen Städten sogar eine Überversorgung mit Kinderärzten“, sagt Lang. Obwohl man in der Realität kaum noch eine Praxis in München oder Augsburg finde, die einen freiwillig aufnimmt. „Weil sie es einfach nicht schafft“, sagt Lang.

Erschwerend kommt hinzu: Die Praxen sind ungleich verteilt. „Im Münchner Norden, wo wir die kinderreichen Familien haben, gibt es fast keine Kinderärzte, und im Innenraum ballen sie sich“, erklärt Ruth Waldmann, gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-SPD. Auch sie fordert deshalb eine Überarbeitung der alten Richtlinien. Das Problem: München gilt als überversorgt, wird aber nur als einzelne Region ausgewiesen – ohne weitere Unterteilung. Ähnlich sieht es für Nürnberg aus. Das müsse man kleinteiliger planen, fordert Waldmann. „Sonst werden wir das Problem nicht lösen“, sagt auch der CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Holetschek. In seiner Heimatstadt Memmingen habe sich die Lage jetzt nur deshalb etwas entspannt, weil dort ein Kinderarzt über eine Sonderbedarfsplanung tätig werden konnte.

Viele Kinderärzte nehmen keine Patienten mehr auf

Immerhin: Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) erklärte kürzlich, dass es auf Basis einer neuen Bedarfsrechnung des Bunds in Zukunft auch 80 neue Kinderärzte in Bayern geben soll. Kinderarzt Lang begrüßt das zwar grundsätzlich, fürchtet aber, dass auch die geplante Neuberechnung nicht weiterhilft. „In den Randgebieten in der Oberpfalz, Unterfranken und Oberfranken werden Plätze frei, da wollen aber keine Ärzte hin“, erklärt er. „Und in den Städten, wo sie wirklich gebraucht werden, also in Regensburg, Nürnberg oder München, werden keine neuen Plätze geschaffen.“ Was er sich wünscht: „Mehr Flexibilität bei der Bedarfsplanung und auch mehr Selbstverwaltung.“

Ebenfalls eine Forderung vieler Ärzte: Fachdisziplinen unter den Kinderärzten sollen herausgerechnet werden. Ein Kinderpneumologe zum Beispiel könne nur zu 70 Prozent in die normale Planung für Kinderärzte einberechnet werden. Außerdem müssten Elternzeiten bei den Bedarfsplanungen berücksichtigt werden. Denn mittlerweile ergreifen etwa zu 70 Prozent Frauen den Arztberuf. Dazu kommt ein grundsätzlich erhöhter Zeitaufwand. „Bei schüchternen Kindern dauert das oft bis zu zehn Minuten, bis ich einen Kontakt aufgebaut habe und sie untersuchen darf“, erklärt Lang. „Aber diese Zeiten der Zuwendung sind nirgends im Plan.“

Auch in den Kinderkliniken benötigen die Ärzte mehr Zeit für die kleinen Patienten. Das erhöht den Kostendruck, der ihnen schwer zu schaffen macht. Das Dr. von Haunersche Kinderspital in München musste deshalb bereits seine Kinder- und Jugendpsychosomatik schließen – und es droht noch weiterer Bettenabbau. Auch das Klinikum rechts der Isar wird seine Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik einem BR-Bericht zufolge „wegen ungünstiger Kosten-Erlös-Struktur“ auflösen. Die Stiftung Kindergesundheit in München kritisierte zum Beispiel schon 2018, dass die diagnosebezogenen Fallpauschalen nur unzulänglich den höheren Aufwand bei der Behandlung von Kindern berücksichtigen.

„Die Angebote an stationärer Kindertherapie sind katastrophal. Es ist dramatisch, dass Kinderkliniken und -stationen in Bayern trotz dringenden Bedarfs geschlossen werden oder ihnen die Schließung droht, weil sie zu teuer sind“, kritisiert Christine Haubrich, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Sie fordert eine „genaue Analyse des Status quo“. Die Bedarfe aufgrund Einwohnerzahl und Infrastruktur müssten angepasst und die Fallpauschalen für Kinder überdacht werden.

So sehen das auch Holetschek (CSU) und Waldmann (SPD). „Die Abrechnung mit den Fallpauschalen ist für mich ein Systemfehler“, erklärt Holetschek. Waldmann schlägt deshalb vor, eine sogenannte Vorhaltekostenpauschale einzuführen. „Damit würden die Krankenhäuser nicht nur Geld für die einzelnen Behandlungen bekommen, sondern auch eine Pauschale, um zumindest teilweise die laufenden Kosten zu decken. Dazu fordert sie die Auflegung eines Notfallfonds. „Damit kann man ja die Kliniken nicht allein lassen.“

Der entsprechende Dringlichkeitsantrag der SPD wurde in der vergangenen Woche allerdings abgelehnt. Die Kritik der CSU: Der Antrag sei zu dramatisch formuliert gewesen. Und Bayerns Gesundheitsministerin sieht ohnehin die medizinische Versorgung von Kindern in den bayerischen Krankenhäusern „auf hohem Niveau gesichert“. Die CSU will nun lediglich die Staatsregierung auffordern, sich auf Bundesebene weiterhin für eine ausreichende Finanzierung der Kliniken einzusetzen. (Lucia Glahn)

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