Politik

Proteste gegen die Entscheidung aus dem Hamburger Rathaus, dass illegale CumEx-Gewinne nicht zurückgezahlt werden müssen. (Foto: dpa/Brandt)

27.09.2024

"Kritische Mandatsträger werden eingeschüchtert"

Ex-Bundestagsabgeordneter Gerhard Schick über den Einfluss der Finanzlobby im Parlament und die mangelde Aufklärungsbereitsschaft der Fraktionen beim CumEx-Skandal

13 Jahre kämpfte Gerhard Schick für die Grünen im Bundestag gegen die mächtige Finanzlobby – ohne durchschlagenden Erfolg. Daher stieg er 2018 aus dem Politikgeschäft aus und gründete den Verein Finanzwende. Seitdem knöpft er sich vor allem die illegalen Cum-Ex- und andere grenzwertige Finanzgeschäfte vor.

BSZ: Herr Schick, Sie waren finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Warum haben Sie 2018 ihr Mandat niedergelegt, um mit Finanzwende eine neue zivilgesellschaftliche Organisation zu gründen?
Gerhard Schick: Mir ging es ständig so, dass ich in Anhörungen im Finanzausschuss einer Phalanx von Lobbyisten gegenüber saß, die dafür bezahlt werden, die Interessen von Banken, Fonds und Versicherungen zu vertreten. Es war ganz schwierig, wirklich unabhängige Sachverständige zu finden. Auch viele Institute und Lehrstühle sind von der Finanzlobby finanziert. Und ich musste beobachten, dass die Interessen von uns Bürgerinnen und Bürgern regelmäßig unter die Räder kamen. Deshalb habe ich mit anderen Experten Finanzwende gegründet, damit es endlich eine kompetente Interessenvertretung für Bürger bei Finanzfragen gibt.

BSZ: Sie waren Initiator des Untersuchungsausschusses, der der unzulässigen CumEx-Geschäfte, also illegale Steuertricks, untersucht hat. Bekanntester Fall ist Warburg-Bank. Wie lief da die Ausschussarbeit ab?
Schick: Bei CumEx war es noch krasser: Aus dem Kreis der Täter, die ja mit CumEx viel Geld verdient hatten, wurden wissenschaftliche Gutachten finanziert, die zeigen sollten, dass das alles legal war. Auch wurden Anwälte losgeschickt, um alle Kritiker einzuschüchtern. Auch ich erhielt die Androhung einer Schadensersatzforderungen, weil ich angeblich deren Geschäfte ruiniert hätte mit meiner Kritik. Eine halbe Million Euro. Da überlegen natürlich viele, ob sie sich nicht mit leichteren Themen beschäftigen sollen. Ich wollte mich aber nicht abschrecken lassen. Wenn die Gegenseite ihr illegal verdientes Geld so krass einsetzt, dann müssen sich ich Ehrlichen besser wehren, dachte ich damals. Deshalb der Schritt der Gründung einer neuen Organisation, die genau das macht.

BSZ: Sie waren nicht der Einzige, der bei der Aufklärung von CumEx-Geschäften behindert wurde. Jetzt ist auch Anne Brorhilker als Geschäftsführerin zu ihrem Verein gewechselt, die bei der Staatsanwaltschaft Köln federführend für Cum-Ex-Steuermanipulationen verantwortlich war.
Schick: Sie ist sehr unzufrieden damit, wie Finanzkriminalität in Deutschland bekämpft wird. Wenn jemand, die so hervorragende Arbeit gemacht hat, Millionen von Euro für uns gesichert und Täter ins Gefängnis gebracht hat, geht, dann muss das ein Weckruf für die Bundes- und Landesregierungen sein, Justiz und Steuerfahndung mehr Rückendeckung zu geben. Sie haben die Warburg-Bank angesprochen. Es kann doch nicht sein, dass ein reicher Tatverdächtiger wie deren ehemaliger Chef Christian Olearius geschont wird, weil er politische Kontakte hat. 

BSZ: CumEx-Verfahren gibt es auch in Bayern. Nach Informationen ihres Vereins haben bayerische Steuerfahnder dem Freistaat allein 2021 mehr als 300 Millionen Euro eingebracht. Damit steht der Freistaat im Ländervergleich doch ganz gut da.
Schick: 300 Millionen sind nichts, worauf man sich ausruhen darf. Der Betrag muss gesehen werden vor dem Hintergrund der überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft Bayerns, wo also auch entsprechend mehr kriminelle Aktivität möglich ist. Beim Verhältnis Steuerfahnder pro Einwohner liegt Bayern nur im Mittelfeld. Bisher wurde in Bayern wegen der CumCum- oder CumEx-Geschäfte noch kein Banker zu einer Haftstrafe verurteilt und viel zu wenig von unserem Geld zurückgeholt. 

BSZ: Ein bayerischer Steuerfahnder holt im Schnitt rund eine Million Euro zurück – deutlich mehr als sie oder er pro Jahr kostet. Warum wird die Steuerfahndung nicht massiv ausgebaut?
Schick: Es gilt als Wirtschaftsförderpolitik, bei Unternehmen nicht so genau hinzugucken. Dann bleibt das Geld in Bayern und muss nicht über den Länderfinanzausgleich verteilt werden. Das Problem ist nur, dass sich mafiöse Strukturen dadurch festigen und alle ehrlichen Unternehmer die Gekniffen sind, weil sie wegen der illegalen Vorteilen, die sich Kriminelle verschaffen, mit denen nicht mithalten können. 

BSZ: Offshore-Konten, Steuerschlupflöcher, verzweigte Firmengeflechte: Finanzprofis werden immer gewiefter. Allein das Organigramm von Pleiteinvestor René Benkos erstreckte sich auf über 40 ausgedruckte Seiten. Können Behörden da mit ihrem Knowhow noch durchblicken?
Schick: Das Beispiel der Kölner Staatsanwaltschaft hat gezeigt, dass auch bei den hochkomplexen CumEx-Geschäften durch eine fähige Staatsanwältin und internationale Kooperation viele Millionen Euro zurückzuholen sind und Täter hinter Gitter gebracht werden können. Dazu braucht es aber Zeit, Personal und die entsprechende Rückendeckung der Politik. Und genau daran fehlt es. Außerdem ist in Deutschland der Hinweisgeberschutz zu schlecht.

"In allen Parteien gibt es Personen, die offensichtlich auf der falschen Seite stehen"

BSZ: Sie nennen die CumCum- und CumEx-Geschäfte in Deutschland, also illegale Aktiondeals mit und ohne Dividendenanspruch, „den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte“. Rund 40 Milliarden Euro sollen weg sein. Warum regt sich darüber kaum jemand auf, während eine Bürgergelderhöhung auf jeder Titelseite steht?
Schick: Vermutlich, weil es sich um Summen handelt, die sich kein normaler Mensch vorstellen kann. Wenn einer 100 Euro im Monat mehr bekommt, weiß jeder, was er sich damit leisten würde. Die Welt von millionenschweren Bankern auf ihren Yachten ist einfach zu weit weg von der Lebensrealität. Das sollte die politischen Entscheidungsträger aber nicht davon abhalten, mehr Ressourcen einzusetzen, um die verlorenen Milliarden zurückzuholen. Davon ließen sich etwa Schulgebäude bauen, die Bahninfrastruktur verbessern und Polizistengehälter zahlen. 

BSZ: Warum versuchen die Parteien nicht, im Wahlkampf mehr mit einer sozialen Steuerpolitik zu punkten?
Schick: Das frage ich mich auch oft. Der jetzige SPD-Bürgermeister von Hamburg hat zugelassen, dass die Warburg-Bank Millionen illegaler Gewinne aus CumEx nicht zurückzahlen sollte. Da zieht’s einem doch die Schuhe aus. Ebenso nicht nachvollziehbar ist, warum Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble es massiv erschwert hat, CumCum-Gelder zurückzufordern. Aber auch der grüne Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen hat Frau Brorhilker das Leben schwer gemacht. Und der FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki sah bei seiner Verteidigung des Cum-Ex-Täters Hanno Berger keinen Interessenskonflikt mit seinem Mandat. In allen Parteien gibt es Personen, die offensichtlich auf der falschen Seite stehen. 

BSZ: Braucht Deutschland wieder eine Vermögensteuer, so wie es jetzt Bremen mit einer Bundesratsinitiative plant?
Schick: Solche guten Vorschläge gibt es immer wieder, aber noch keinem ist es gelungen, dafür eine politische Mehrheit zu erzielen. Im Gegenteil wurden in den letzten 30 Jahren systematisch Steuern auf Vermögen und Kapitalerträge reduziert: Die Börsenumsatzsteuer wurde abgeschafft, der Steuersatz auf Kapitalerträge gesenkt, die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben. Dagegen wurde für die normale Bevölkerung die Umsatzsteuer erhöht. Fair ist das nicht.

BSZ: Wie hat es die Finanzlobby vor allem in Deutschland geschafft, so mächtig zu werden?
Schick: Den reichsten Familien Deutschlands gelingt es seit 30 Jahren, ihre Privilegien im Erbschaftssteuerrecht zu sichern – trotz höchstrichterlicher Entscheidungen, dass die verfassungswidrig sind. So müssen auf drei vererbte Wohnungen Steuern gezahlt werden, 300 vererbte Wohnungen aber gelten als Betriebsvermögen und sind steuerfrei. Jährlich kosten diese Ausnahmen für Superreiche mindestens fünf Milliarden Euro. Auch die Staatsregierung hat sich in der Vergangenheit als Fürsprecher der allerreichsten Familien hervorgetan.

BSZ: Von den 20 Millionen Riester-Verträgen ist in den vergangenen Jahren fast jeder vierte gekündigt worden – obwohl das mit Verlusten verbunden war. Hat sich die Politik damals ebenfalls von der Finanzlobby leiten lassen?
Schick: Die Riester-Rente wurde stark von den Branchenverbänden geprägt. Viele Institute, die sich damals geäußert haben, waren von der Versicherungsbranche finanziert. Es ist enorm ärgerlich, dass Riester nicht beendet wird. Anscheinend hat FDP-Finanzminister Christian Lindner nicht die Kraft dazu, wenn er jetzt nur parallel ein Altersvorsorgedepot anbieten will. So fließen weiterhin steuerliche Subventionen in schlechte Finanzprodukte, deren Ertrag in den meisten Fällen nicht  einmal die Inflation ausgleicht. Riester und Rürup sind krachend gescheitert.

BSZ: Gibt es denn auch etwas, was in den letzten Jahren gut gelaufen ist?
Schick: Durch die Schaffung einer europäischen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank werden Banken in Europa jetzt besser beaufsichtigt. Große Banken können nicht mehr so leicht die nationalen Behörden gegeneinander ausspielen oder einfach beim Finanzminister anrufen, um kritische Nachfragen der Aufseher auszubremsen. Auch die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kuschelt nach dem Wechsel an der Spitze nach dem Wirecard-Skandal nicht mehr wie früher.

BSZ: Welche Erfolge hat Ihr Verein bereits erzielen können?
Schick: Ein konkretes Beispiel: Uns ist es mit unseren Aktionen unter anderem gelungen zu verhindern, dass Finanzminister Lindner die 2,3 Milliarden Euro aus einem deutschen Bankenrettungsfonds den Banken schenkt, wie er das ursprünglich vorhatte. Wir haben erreicht, dass das Geld zum Schuldenabbau genutzt wird.

BSZ: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat unter anderem für die US-Investmentgesellschaft BlackRock gearbeitet. Erhoffen Sie sich von einem Szenekenner als Kanzler mehr oder weniger strenge Regeln für die Finanzbranche?
Schick: Rolle des Aufsichtsratschefs bei Blackrock Deutschland war reine Lobbyarbeit, das US-Unternehmen wollte schlicht einen politischen Türöffner in Deutschland. Eine Kanzlei, bei der Merz arbeitete, hat wohl auch zu CumEx-Geschäften beraten, er selbst hat sich aber nie dazu geäußert. Mein Eindruck ist, dass er ein besonders guter Interessensvertreter der Vermögenden und großer Unternehmen ist. Ich würde mich aber freuen, wenn ich mich irre. (Interview: David Lohmann)

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