Ein normaler Winter in Bayerns Skigebieten: Die Temperaturen stagnieren im Plus, die Hänge sind grün, und der Ski-Betrieb beschränkt sich auf Kunstschnee-Pisten. Dass in diesem Winter der Schnee vielerorts doch noch mit großer Wucht kam, ist mittlerweile eine Ausnahme. Das wissen alle. Die Liftbetreiber, die Hotelbesitzer und Tourismusmanager. Keiner, der mit Skifahrern sein Geld verdienen will, verlässt sich deshalb noch auf die Natur. Und selbst jetzt, da eigentlich genug natürlicher Schnee auf den Pisten liegt, lassen die Betreiber die Schneekanonen laufen – als Vorsorge für das Frühjahr, wenn es wärmer wird. Denn Kunstschnee hat gegenüber Naturschnee einen großen Vorteil: Er schmilzt langsamer.
Von den 3700 Hektar Pisten in Bayern wurden 2017 laut bayerischem Umweltministerium 943 Hektar künstlich beschneit. 2009 waren es noch 590 Hektar. Anfangs, so erzählt es Thomas Frey, Experte für den Alpenraum beim Bund Naturschutz Bayern, sei es in den Skigebieten nur um einzelne Kanonen und auch nur um eine punktuelle Beschneiung von besonders neuralgischen Punkten gegangen.
Dann aber wurde flächendeckend beschneit. Jetzt läuft die „dritte Phase“ an, sagt Frey. „Weil bisherige Maßnahmen nicht ausreichen, um den Skibetrieb zu gewährleisten, wird die Intensität der Beschneiung extrem hochgeschraubt. Mit noch mehr Schneekanonen, mit noch mehr Leistung, und mit noch mehr und noch größeren Speicherseen.“
Es ist der Versuch, dem Klimawandel zu trotzen. Die Temperaturen steigen, und die Schneefallgrenze verschiebt sich immer weiter nach oben. Bemerkbar macht sich dies bereits in zwei Dritteln der bayerischen Skigebiete, die eine mittlere Höhe von nicht mehr als 1200 Metern aufweisen. Ohne künstliche Beschneiung galten schon 2007 nur noch 70 Prozent dieser Skigebiete als schneesicher, 2013 war es nur noch 50 Prozent. Klimaforscher gehen in ihren konservativsten Berechnungen von einem Anstieg von mindestens zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Schneesicher ohne Kunstschnee wären dann nur noch vier Gebiete in Bayern: die Zugspitze, Fellhorn und Nebelhorn sowie Grasgehren im Allgäu. Selbst mit Beschneiung wäre nur mehr in 40 Prozent der Gebiete der Skibetrieb möglich.
Aber ist Kunstschnee wirklich so schlimm? Zumindest in Deutschland und Österreich, wo chemische Zusätze verboten sind, besteht technischer Schnee nur aus Luft und Wasser, so wie der Naturschnee auch, betonen die Betreiber. Nur die Zusammensetzung sei eine andere.
Ist die Kunstschneedecke weg, droht Erosionsgefahr
Der Eingriff in die Natur gehe aber ohnehin viel früher los, sagt Naturschützer Frey. Nämlich beim Bau der Anlagen. Schwere Maschinen sind dabei am Werk, oft müssen eigens Zugangsstraßen zu den Baustellen errichtet werden, der Boden werde stark geschädigt, sagt Frey. „Das empfindliche Ökosystem Alpen braucht Jahrzehnte, um sich von solchen Eingriffen zu erholen“, betont er.
Gearbeitet wird aber nicht nur neben, sondern auch auf der Piste. Weil Kunstschnee teuer ist, werden die Pisten planiert. Oberflächen werden zerstört, der Boden verdichtet. Denn je glatter und ebener die Fläche, desto weniger Kunstschnee muss später für die Piste eingesetzt werden.
Ein weiteres Problem: Es braucht jede Menge Wasser für die Beschneiung. Wasser aber, das aus Bächen, Flüssen oder anderen Quellen entnommen wird, ist nährstoffreicher als das Wasser im Naturschnee. Gerade in den höheren Lagen der Alpen gibt es nährstoffarme Biotope wie Magerwiesen. Sie werden durch die Beschneiung nachhaltig geschädigt.
Aber auch der Kunstschnee selbst hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Damit er länger liegen bleibt, ist technischer Schnee sehr viel dichter und kompakter als Naturschnee. Was für die Betreiber ein Vorteil ist, ist für die Böden ein erheblicher Nachteil. Denn gerade bei Pisten, die immer wieder mit Kunstschnee präpariert werden, entsteht mit der Zeit eine so dichte Schicht über dem Boden, dass dieser nahezu vollständig versiegelt wird. Die Folge: Es findet keine Luftzirkulation mehr statt, die Pflanzen sterben ab. „Was im Boden drinnen ist, erstickt einfach – als würde man ihm ein Plastiksackerl aufsetzen“, erklärt Christian Newesely vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. Wird die Durchwurzelung zu stark in Mitleidenschaft gezogen, fehlt das Gerüst, das den Boden zusammenhält. Es besteht, sobald die Kunstschneedecke weg ist, Erosionsgefahr.
Die Investitionen für eine Beschneiuungsanlage sind dabei enorm. Allein am Sudelfeld, auf 800 bis 1500 Metern Höhe, haben die Betreiber ein Investitionsvolumen von 45 Millionen Euro veranschlagt. Den Verantwortlichen der Skigebiete bleibe zur Beschneiung aber keine Alternative, sagt der Verband Deutscher Seilbahnen. „Der Gast erwartet Schneesicherheit. Wird sie nicht geboten, wechselt er in Skigebiete, die dies dank Beschneiung garantieren.“
Rückendeckung erhalten die Betreiber vom bayerischen Wirtschaftsministerium. „Bei zulässiger wasserrechtlicher und umweltschutzrechtlicher Erlaubnis kann die technische Beschneiung in geeigneten Fällen die Verfügbarkeit touristischer Wintersportangebote sicher machen“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. Damit würden auch direkte wie indirekte Arbeitsplätze gesichert. Mit verschiedenen Programmen fördert der bayerische Staat auch den Bau von Beschneiungsanlagen. Mit 45,5 Millionen seit 2009 allein über das Seilbahnprogramm. Die Opposition im Landtag kritisiert die Förderung umweltschädlicher Beschneiungstechnik und des Ausbaus der Skigebiete seit Jahren als „gedanken- und verantwortungslos“. Stößt damit aber nach wie vor im Wirtschaftsministerium auf taube Ohren.
„Die Frage bei all dem ist“, sagt Umweltschützer Frey, „wann die Verantwortlichen endlich einsehen, dass sie trotz aller Aufrüstung einen Kampf führen, den sie gar nicht gewinnen können.“ Er hofft auf die baldige Einsicht, dass es notwendig ist, „aus diesem Zirkus auszusteigen“. Damit nicht noch mehr Natur in den Alpen zerstört wird. Und er hofft darauf, dass Wintersport-Freunde ihre Anspruchshaltung verändern. Dass Skifahren eben nur dann möglich ist, wenn die Natur es zulässt.
(Beatrice Oßberger)
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