Politik

Vorteil für die Pistenbetreiber: Kunstschnee bleibt länger liegen. (Foto: dpa/Hildenbrand)

15.02.2019

Kunstschnee trotz Schneemassen

Selbst jetzt, da jede Menge natürlicher Schnee liegt, laufen die Schneekanonen auf Hochtouren – mit fatalen Folgen

Ein normaler Winter in Bayerns Skigebieten: Die Temperaturen stagnieren im Plus, die Hänge sind grün, und der Ski-Betrieb beschränkt sich auf Kunstschnee-Pisten. Dass in diesem Winter der Schnee vielerorts doch noch mit großer Wucht kam, ist mittlerweile eine Ausnahme. Das wissen alle. Die Liftbetreiber, die Hotelbesitzer und Tourismusmanager. Keiner, der mit Skifahrern sein Geld verdienen will, verlässt sich deshalb noch auf die Natur. Und selbst jetzt, da eigentlich genug natürlicher Schnee auf den Pisten liegt, lassen die Betreiber die Schneekanonen laufen – als Vorsorge für das Frühjahr, wenn es wärmer wird. Denn Kunstschnee hat gegenüber Naturschnee einen großen Vorteil: Er schmilzt langsamer.

Von den 3700 Hektar Pisten in Bayern wurden 2017 laut bayerischem Umweltministerium 943 Hektar künstlich beschneit. 2009 waren es noch 590 Hektar. Anfangs, so erzählt es Thomas Frey, Experte für den Alpenraum beim Bund Naturschutz Bayern, sei es in den Skigebieten nur um einzelne Kanonen und auch nur um eine punktuelle Beschneiung von besonders neuralgischen Punkten gegangen.

Dann aber wurde flächendeckend beschneit. Jetzt läuft die „dritte Phase“ an, sagt Frey. „Weil bisherige Maßnahmen nicht ausreichen, um den Skibetrieb zu gewährleisten, wird die Intensität der Beschneiung extrem hochgeschraubt. Mit noch mehr Schneekanonen, mit noch mehr Leistung, und mit noch mehr und noch größeren Speicherseen.“

Es ist der Versuch, dem Klimawandel zu trotzen. Die Temperaturen steigen, und die Schneefallgrenze verschiebt sich immer weiter nach oben. Bemerkbar macht sich dies bereits in zwei Dritteln der bayerischen Skigebiete, die eine mittlere Höhe von nicht mehr als 1200 Metern aufweisen. Ohne künstliche Beschneiung galten schon 2007 nur noch 70 Prozent dieser Skigebiete als schneesicher, 2013 war es nur noch 50 Prozent. Klimaforscher gehen in ihren konservativsten Berechnungen von einem Anstieg von mindestens zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Schneesicher ohne Kunstschnee wären dann nur noch vier Gebiete in Bayern: die Zugspitze, Fellhorn und Nebelhorn sowie Grasgehren im Allgäu. Selbst mit Beschneiung wäre nur mehr in 40 Prozent der Gebiete der Skibetrieb möglich.

Aber ist Kunstschnee wirklich so schlimm? Zumindest in Deutschland und Österreich, wo chemische Zusätze verboten sind, besteht technischer Schnee nur aus Luft und Wasser, so wie der Naturschnee auch, betonen die Betreiber. Nur die Zusammensetzung sei eine andere.

Ist die Kunstschneedecke weg, droht Erosionsgefahr

Der Eingriff in die Natur gehe aber ohnehin viel früher los, sagt Naturschützer Frey. Nämlich beim Bau der Anlagen. Schwere Maschinen sind dabei am Werk, oft müssen eigens Zugangsstraßen zu den Baustellen errichtet werden, der Boden werde stark geschädigt, sagt Frey. „Das empfindliche Ökosystem Alpen braucht Jahrzehnte, um sich von solchen Eingriffen zu erholen“, betont er.

Gearbeitet wird aber nicht nur neben, sondern auch auf der Piste. Weil Kunstschnee teuer ist, werden die Pisten planiert. Oberflächen werden zerstört, der Boden verdichtet. Denn je glatter und ebener die Fläche, desto weniger Kunstschnee muss später für die Piste eingesetzt werden.

Ein weiteres Problem: Es braucht jede Menge Wasser für die Beschneiung. Wasser aber, das aus Bächen, Flüssen oder anderen Quellen entnommen wird, ist nährstoffreicher als das Wasser im Naturschnee. Gerade in den höheren Lagen der Alpen gibt es nährstoffarme Biotope wie Magerwiesen. Sie werden durch die Beschneiung nachhaltig geschädigt.

Aber auch der Kunstschnee selbst hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Damit er länger liegen bleibt, ist technischer Schnee sehr viel dichter und kompakter als Naturschnee. Was für die Betreiber ein Vorteil ist, ist für die Böden ein erheblicher Nachteil. Denn gerade bei Pisten, die immer wieder mit Kunstschnee präpariert werden, entsteht mit der Zeit eine so dichte Schicht über dem Boden, dass dieser nahezu vollständig versiegelt wird. Die Folge: Es findet keine Luftzirkulation mehr statt, die Pflanzen sterben ab. „Was im Boden drinnen ist, erstickt einfach – als würde man ihm ein Plastiksackerl aufsetzen“, erklärt Christian Newesely vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. Wird die Durchwurzelung zu stark in Mitleidenschaft gezogen, fehlt das Gerüst, das den Boden zusammenhält. Es besteht, sobald die Kunstschneedecke weg ist, Erosionsgefahr.

Die Investitionen für eine Beschneiuungsanlage sind dabei enorm. Allein am Sudelfeld, auf 800 bis 1500 Metern Höhe, haben die Betreiber ein Investitionsvolumen von 45 Millionen Euro veranschlagt. Den Verantwortlichen der Skigebiete bleibe zur Beschneiung aber keine Alternative, sagt der Verband Deutscher Seilbahnen. „Der Gast erwartet Schneesicherheit. Wird sie nicht geboten, wechselt er in Skigebiete, die dies dank Beschneiung garantieren.“

Rückendeckung erhalten die Betreiber vom bayerischen Wirtschaftsministerium. „Bei zulässiger wasserrechtlicher und umweltschutzrechtlicher Erlaubnis kann die technische Beschneiung in geeigneten Fällen die Verfügbarkeit touristischer Wintersportangebote sicher machen“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. Damit würden auch direkte wie indirekte Arbeitsplätze gesichert. Mit verschiedenen Programmen fördert der bayerische Staat auch den Bau von Beschneiungsanlagen. Mit 45,5 Millionen seit 2009 allein über das Seilbahnprogramm. Die Opposition im Landtag kritisiert die Förderung umweltschädlicher Beschneiungstechnik und des Ausbaus der Skigebiete seit Jahren als „gedanken- und verantwortungslos“. Stößt damit aber nach wie vor im Wirtschaftsministerium auf taube Ohren.

„Die Frage bei all dem ist“, sagt Umweltschützer Frey, „wann die Verantwortlichen endlich einsehen, dass sie trotz aller Aufrüstung einen Kampf führen, den sie gar nicht gewinnen können.“ Er hofft auf die baldige Einsicht, dass es notwendig ist, „aus diesem Zirkus auszusteigen“. Damit nicht noch mehr Natur in den Alpen zerstört wird. Und er hofft darauf, dass Wintersport-Freunde ihre Anspruchshaltung verändern. Dass Skifahren eben nur dann möglich ist, wenn die Natur es zulässt.
(Beatrice Oßberger)

Kommentare (2)

  1. Sarkastiker am 16.02.2019
    Schneehasen
    Ich empfehle ein Volksbegehren "Retter die süßen Schneehasen" Das geht durch und feddisch.
  2. Zarniwoop am 15.02.2019
    Meine Güte - wann hört diese dümmliche und von keinerlei Realitätssin getragene Pannikmache (hier mal gegen das Skifahren) endlich auf?
    Zu den angeführten Zahlen: Eine Steigerung innerhalb von 10 Jahren von 590 ha auf 943 ha ist gerade mal etwas mehr als ein Drittel Zuwachs. Was diese Zahl aber unterschlägt: Dabei kam wahrscheinlich nicht ein einziger Pistenkilometer dazu, sondern das waren fast alles bestehende und genutzte Pisten. Und Ski-Pisten sind immer dort, wo im Sommer in der Regel intensive Almwirtschaft betrieben wird und wo viele Bergwanderer unterwegs sind.
    Wo da der starke (!!) Eingriff in die Natur(!) sein soll erschließt sich mir nicht.
    Denn selbst laut Aussage des BUND sind insgesamt(!) gerade einmal 3,5% der Alpenfläche in Bayern von "Siedlungen und Gewerbeflächen eingenommen" (Quelle: www.bund-naturschutz.de): darunter fallen aber ALLE Arten der Besiedelung - also Städte, Dörfer, Autobahnen (wahrscheinlich) etc. Die gesamte Fläche der Bayerischen Alpen umfasst ca. 4.200 Km2 - 3,5% davon sind gerade einmal 147 Km2, die - nennen wir es: wirtschaftlich genutzt werden. Die wiederum aufgerundet(!) 1.000 ha Fläche beschneiter Pisten im Beitrag, die es in ganz Bayern gibt (also auch etwa in den Bayerischen Mittelgebirgen, die man strenggenommen aus diesen Zahlen noch raus rechnen müsste), ergibt damit einen Anteil von gerade einmal 0,07 Prozent - der insgesamt bewirtschafteten Fläche! Bezogen auf die gesamte Fläche der Bayerischen Alpen sind es sogar nur 0,002 %! Diese 0,002% der Bayerischen Alpen sorgen aber dafür dass jedes Wochenende Tausende von Familien die Schönheit der Berge mit Erholung und fröhlicher Aktivität verbringen können!
    Damit steht man schon staunend vor dem Attribut "flächendeckend" im nächsten Absatz - die Aussagen des BUND und von Freysind bewußt irreführend - klassische "Fakenews" also.

    Dass mit einer größeren Fläche natürlich mehr Wasser und mehr Energie gebraucht wird, ist logisch. Nur: Die für den einzelnen Skifahrer dafür aufgewandte Energie ist umgerechnet etwa soviel, wie eben dieser Skifahrer für ca. 20 Km Autofahrt verbraucht! Im Umkehrschluss heisst das sogar, wenn die Beschneiung der Bayerischen Skigebiete einen Skifahrer davon abhält, ins weiter entfernt liegende Österreich zu fahren, wäre es insgesamt sogar ein Gewinn für die Umwelt!

    Aber das Absurdeste an den Auslassungen von BUND etc. sind die Zeiträume, in denen man dort rechnet: Hier sagt Frey lapidar mal "bis Ende des Jahrhunderts": Das sind derzeit noch mehr als 80 Jahre! Da werden bereits rund 98% der Leser der Staatsanzeigers bereits lange gestorben sein! Wie lächerlich gering ist dagegen der Zeitraum, in denen industrielle Anlagen finanztechnisch gesehen "bewirtschaftet" werden: Den längsten Zeitraum haben Immobilien - mit einem Abschreibungszeitraum von gerade einmal 20 oder 25 Jahren! Egal wie sich das Klima weiter entwickeln wird: Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird keiner der heutigen Anlagen in den Alpen noch in der heutigen Form bestehen, egal ob Wirtschaften, Seilbahnen - oder eben Beschneiungsanlagen und auch ganz ohne Klimaerwärmung.
    Ohne den Klimawandel auch nur im Ansatz leugnen zu wollen: Die Aussagen des BUND und von Frey sind in ihrer Vergröberung und absurden zeitlichen Einordnung polemischer Unsinn! Selbst wenn in 80 Jahren Skifahren nicht mehr möglich sein wird: Die Menschen im Alpenraum müssen auch bis in diese ferne Zukunft auch im Winter von etwas leben können - die Skitourengeher und Schneeschuhwanderer werden keinerlei gleichwertiger Ersatz sein - ganz abgesehen davon, dass jeder einzelne dieser angeblich so "naturverträglichen" Individualisten wesentlich mehr das Wild verschrecken und vertreiben als wahrscheinlich alle Skifahrer am Brauneck zusammen während der gesamten Skisaison...
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.