Politik

Im Extremfall kann auch jemand mit einem sechsstelligen Jahresgehalt in einer günstigen Sozialwohnung leben. (Foto: dpa/Ole Spata)

14.06.2019

Lebenslanges Privileg

Wer einmal in einer Sozialwohnung wohnt, darf dort auch bleiben, wenn das Einkommen steigt – warum eigentlich?

Wer in München nach einer Sozialwohnung sucht, hat es schwer. 13 432 genehmigte Anträge liegen der Stadt derzeit vor, mehr als drei Viertel davon sind nach Angaben des Sozialreferats in die höchste Dringlichkeitsstufe eingruppiert. Insgesamt werden rund 85 000 Wohnungen in München über das Amt für Wohnen und Migration vergeben, darunter etwa 43 000 Sozialwohnungen. Wem es aber gelingt, eine dieser günstigen Bleiben zu ergattern, der zieht nicht so schnell aus. Die Fluktuation sei „nicht hoch“, heißt es aus dem Sozialreferat. Vermittelt würden nur knapp 3000 Sozialwohnungen – pro Jahr, wohlgemerkt. Betroffene müssen also mit langen Wartezeiten rechnen, bis sich der Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum erfüllt.

Es sei denn, man findet andere Wege, um sich eines der begehrten Objekte zu sichern – obwohl man womöglich gar keinen Anspruch darauf hat. Das kommt leider immer wieder vor. Ein 40-Jähriger musste sich deshalb vor einiger Zeit vor dem Münchner Amtsgericht verantworten. Er hatte nicht nur über eine, sondern gleich über zwei günstige Bleiben verfügt: eine in München-Am Hart, die andere am Arabellapark. Besonders dreist: Statt dort zu leben, habe der Mann die Sozialwohnungen teuer weitervermietet, unter anderem an sogenannte Medizintouristen, warf ihm die Wohnungsbaugesellschaft vor, die ihn verklagt hatte. Sie bekam recht, der Mann musste beide Wohnungen räumen.

Ein krasser Fall, aber eben keine Ausnahme. Jährlich erhalte man rund 3000 Meldungen und Hinweise, dass geförderte Wohnungen rechtswidrig genutzt würden, teilt die Pressestelle des Münchner Sozialreferats mit. In etwa zehn Prozent der Fälle erhärte sich dieser Verdacht. „Nach vorliegenden Erfahrungen können rund 250 der ermittelten Rechtsverstöße durch die Erteilung einer nachträglichen Genehmigung, gegebenenfalls auch unter Auflagen, geregelt werden“, sagt Pressesprecher Frank Boos.

Die Fehlbelegungsabgabe wurde abgeschafft

Bei zirka 50 Wohnungen werde „ein Freimachungsverfahren eingeleitet“. Zum Beispiel dann, wenn ein „nicht berechtigter Haushalt“ in der Sozialwohnung lebe. Oder wenn die Räume zweckentfremdet werden oder sogar leer stehen. Um das zu vermeiden, führte die Stadt München im Jahr 2018 einen Online-Verbund zwischen dem Einwohnermeldeamt und dem geförderten Wohnungsbestand in München ein. Auf diese Weise könnten künftige Missbrauchsfälle aufgedeckt werden, erklärt das Sozialreferat.

Ob das reicht? Bereits vor drei Jahren war eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zu dem Schluss gekommen, dass nur 46 Prozent der Haushalte in Sozialwohnungen wirklich bedürftig seien. Ihr Fazit: Die soziale Wohnraumförderung sei „wenig treffsicher“.

Im Sozialreferat und im bayerischen Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr will man das weder bestätigen noch dementieren. Man habe schlicht keine Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit sich das Einkommen von Wohnberechtigten nach dem Einzug geändert habe. Wer es nämlich geschafft hat, eine Sozialwohnung zu erhalten, muss später nicht mehr nachweisen, ob er noch die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt. „Das Wohnungsbindungsrecht in Bayern sieht eine solche Prüfung nicht vor“, sagt Frank Boos. „Die einmal erteilte Wohnberechtigung bleibt so lange bestehen, wie die geförderte Wohnung von den berechtigten Personen ordnungsgemäß bewohnt wird, und zwar unabhängig von einer Änderung der Einkommenssituation.“ Das Ministerium bestätigt das: „Wer über die Einkommensgrenzen im Laufe der Mietzeit hinauswächst, darf in der Wohnung bleiben.“

Im Extremfall könnte das dazu führen, dass jemand trotz eines sechsstelligen Jahresgehalts in einem günstigen Sozialquartier lebt. Um genau das zu verhindern, hatte die Bundesregierung 1982 die sogenannte Fehlbelegungsabgabe eingeführt, die für einen Ausgleich sorgen sollte. Kritiker monierten allerdings den hohen Verwaltungsaufwand, der damit verbunden war – und der schließlich dazu führte, dass die meisten Bundesländer dieses Instrument wieder abschafften. In Bayern war das 2008 der Fall. Auch Hessen wählte diesen Weg zunächst, setzte die Abgabe vor drei Jahren jedoch wieder in Kraft. Allein die Stadt Frankfurt nahm dadurch im ersten Jahr nach der Einführung gut fünf Millionen Euro ein. Geld, das für öffentlich geförderte Wohnungen genutzt wurde. Die Ausgaben waren allerdings immens: rund 1,3 Millionen Euro, verursacht hauptsächlich durch Personalkosten.

Kein Wunder, dass Bayerns Staatsregierung und auch das Münchner Sozialreferat einer Wiedereinführung der Fehlbelegungsabgabe ablehnend gegenüberstehen. Stattdessen verweisen sie auf die sogenannte Einkommensorientierte Förderung (EOF), die mittlerweile als Hauptförderinstrument im sozialen Wohnungsbau in Bayern diene. Dabei erhalten die Bewohner eine Unterstützung, deren Höhe sich an dem jeweiligen Einkommen orientiert. „Die Höhe der Zusatzförderung wird alle drei Jahre neu überprüft und je nach Änderung der Einkommenssituation angepasst“, erklärt Frank Boos. Auf diese Weise werde „eine Fehlsubventionierung von vorneherein vermieden“, ergänzt das Ministerium.

Klingt gut, hat allerdings einen Haken: Nach einem Urteil des Landgerichts München darf nämlich die Miete solcher EOF-Wohnungen alle drei Jahre um 15 Prozent steigen, bis zur „ortsüblichen Vergleichsmiete“. Das bekommen vor allem diejenigen zu spüren, die in EOF-Wohnungen des ehemaligen Staatsbetriebs GBW leben. Diese waren 2013 an ein privates Konsortium verkauft worden – das seitdem mit teils drastischen Mieterhöhungen für Schlagzeilen sorgt. (Brigitte Degelmann)

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