Politik

In Bayern ist die Sichtbarkeit der Einflussnahme auf Gesetze – der sogenannte Fußabdruck – jetzt Gesetz, auf Bundesebene noch nicht. (Foto: dpa/Jörg Carstensen)

04.01.2023

„Lobbyismus ist sinnvoll – wenn er kontrolliert wird“

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch über die Lobbyregistergesetze im Bund und in Bayern, Transparenz im EU-Parlament und Forderungen an die Politik

Unter dem Eindruck mehrerer Skandale hatten die damalige Große Koalition in Berlin sowie der Freistaat Bayern Transparenzgesetze beschlossen, die seit einem Jahr in Kraft sind. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung, erklärt, was die Gesetze mit Blick auf Korruptionsbekämpfung gebracht haben und wo es Nachholbedarf gibt. 

BSZ: Frau Münch, zuletzt hat das Vertrauen in die Politik arg gelitten. Da waren die Maskenskandale von Abgeordneten im Bund und in Bayern, aktuell steht der Verdacht der Einflussnahme von Marokko und Katar auf das EU-Parlament im Raum. Welche Schlussfolgerungen muss die Politik jetzt ziehen?
Ursula Münch: Die Politik hat ja zum Teil schon darauf reagiert. Noch von der Großen Koalition unter Angela Merkel ist ein Lobbyregistergesetz auf Bundesebene beschlossen worden, nachdem die Skandale so virulent in der Öffentlichkeit geworden waren. Gegen so ein Gesetz hatte sich die Unionsfraktion zuvor jahrzehntelang gewehrt. Auch in Bayern waren die Maskenskandale ein großes Thema. Da wollte man dann mit dem Bayerischen Lobbyregistergesetz, aber auch dem neuen Bayerischen Abgeordnetengesetz Instrumente schaffen, um sichtbar zu machen: Wir unterbinden unstatthafte Einflussnahme und Mauscheleien. Ansonsten wäre wahrscheinlich immer noch nichts passiert.

BSZ: Vor einem Jahr ist in Bayern das Lobbyregistergesetz in Kraft getreten. Was steht denn drin?
Münch: Etliche Interessenvertretungen sind seitdem dazu verpflichtet, sich in einer öffentlich einsehbaren Datenbank zu registrieren und einige Angaben zu machen, etwa, wie hoch der jährliche finanzielle Aufwand für die Interessenvertretung ist und – bei Beratungsfirmen – wer die Auftraggeber sind. Teil des Lobbyregisters ist auch, dass schriftliche Stellungnahmen der Interessenvertretungen zu Gesetzesvorhaben veröffentlicht werden. Damit kann sichtbar gemacht werden, wer Einfluss auf Gesetze genommen hat. Die Interessenvertretungen, die ins Register eingetragen sind, verpflichten sich, die zehn Punkte eines Verhaltenskodex einzuhalten. Vorgeschrieben ist unter anderem, dass die Interessenvertretung „bei jedem Kontakt stets transparent“ zu erfolgen hat.

BSZ: Und wie kann die Öffentlichkeit erfahren, wie oft sich die Abgeordnete XY mit dem Handelsvertreter Z getroffen hat?
Münch: Treffen zum Abendessen oder ähnliches werden auch weiterhin nicht dokumentiert. Das wäre auch realitätsfremd. Aber es ist jetzt eben verbindlich geregelt, dass es unzulässig ist, Druck auf Abgeordnete auszuüben oder ihnen finanzielle Anreize in Aussicht zu stellen.

BSZ: In Filmen wird Lobbyismus oft so dargestellt: Eine fragwürdige Gestalt aus der Großindustrie kauft Abgeordnete, um rücksichtslos eigene Interessen durchzusetzen.
Münch: Eines muss man ganz klar festhalten: Lobbyismus ist grundsätzlich etwas Sinnvolles. Er gehört zu einer pluralistischen Demokratie mit dazu. Nur in Autokratien gibt es keinen Lobbyismus, weil da eh nur Vetternwirtschaft, Klientelismus und Machtpolitik von einzelnen kleinen Gruppen betrieben werden. Lobbygruppen, Verbände, Interessengruppen besitzen profunde Fachkenntnisse, die für Parlament und Regierung unverzichtbar sind. Es ist ganz wichtig, dass sie das einbringen. Und umgekehrt haben sie die Aufgabe, den eigenen Mitgliedern politische Entscheidungen zu vermitteln. 

BSZ: Und wo hört der gute Lobbyismus auf?
Münch: Problematisch ist, wenn finanziell starke Gruppen mehr Einfluss haben. Das muss man zumindest transparent machen. Oder wenn irgendwelche Kanzleien sich für bestimmte Interessen starkmachen und man gar nicht nachvollziehen kann, in wessen Auftrag sie tätig werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir diese Transparenz haben.

BSZ: 639 Interessenvertretungen sind bisher im bayerischen Register eingetragen – ist das nicht wenig?
Münch: Das hat auch damit zu tun, dass es – wie auch auf Bundesebene – eine weite, weite Latte an Ausnahmeregeln gibt. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften, kommunale Spitzenverbände und politische Stiftungen müssen sich beispielsweise nicht registrieren. Auch diejenigen, die uns zuerst als Lobbyisten einfallen würden, sind ausgenommen: Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen. 

BSZ: Warum sind die nicht dabei?
Münch: Bei den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen wurde dies mit dem grundrechtlich gebotenen Schutz nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes begründet. Dieser Schutz gilt aber nur, soweit sie ihre Funktion als Tarifpartner wahrnehmen. Andere Tätigkeiten können durchaus eine Registrierungspflicht auslösen. Ob die nun von der Registrierungspflicht befreiten Verbände versucht haben, das Gesetzgebungsverfahren entsprechend zu beeinflussen, weiß ich nicht. Ihre Nachfrage macht jedoch eine Lücke sichtbar, die das Lobbyregister nun schließt: Neu ist, dass künftig alle Stellungnahmen registrierter Interessenvertreter zu einem Gesetzesvorhaben auf der Internetseite des Landtags veröffentlicht werden. Das ist der sogenannte legislative und exekutive Fußabdruck. Den gibt es bislang übrigens nur in Bayern, nicht im Bundesgesetz.

BSZ: Auch Privatpersonen, die nur ihre persönlichen Interessen vertreten, müssen sich in Bayern nicht registrieren. Milliardär*innen könnten also auch Einfluss nehmen, ohne im Register aufzutauchen.
Münch: Dagegen dürfte auch eine Aufnahme ins Register nicht viel helfen. Wir sollten uns nichts vormachen: Es gibt auch weiterhin viele informelle Formen der Einflussnahme. Das kann man nie ganz ausschalten. Das bayerische Lobbyregister ist aber auf jeden Fall ein wichtiger Schritt für deutlich mehr Transparenz. Mit dem Thema hatte man in Deutschland ja lange Zeit gar nichts am Hut. Auf Bundesebene ist ein solches Gesetz auch erst seit einem Jahr in Kraft. In den meisten anderen Bundesländern ist man noch immer nicht so weit.

BSZ: Auf EU-Ebene gibt es sogar seit mehreren Jahren ein Lobbyregister. Trotzdem war es offenbar Staaten wie Marokko und Katar möglich, das EU-Parlament zu schmieren. Helfen Transparenzgesetze überhaupt?
Münch: An den Regeln allein liegt es nicht. Wenn die Einhaltung nicht überprüft wird, wenn nicht sanktioniert wird, sprich wenn die zuständigen Institutionen nicht über genügend fähiges und motiviertes Personal verfügen und einen ausreichend weiten Handlungsauftrag haben, dann sind all die Gesetze nur Papier. Das Problem auf europäischer Ebene ist, dass das zuständige Amt, das EU-Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), in den letzten Jahren Stellen abgeben musste. Wenn man den Vollzug eines Gesetzes nicht absichert, bleibt es ein stumpfes Schwert. Die EU-Abgeordneten sind laut Gesetz auch dazu verpflichtet, ihre Kontakte offenzulegen. Aber wer kontrolliert, ob sie das tatsächlich machen? Dazu braucht es funktionierende Behörden, eine arbeitsfähige Staatsanwaltschaft – und aufmerksame Medien. Sonst taugt alles herzlich wenig. Die gesetzliche Grundlage ist ganz, ganz wichtig, sie genügt allein aber nicht.

BSZ: Was erwarten Sie weiter von der Politik?
Münch: Sie muss deutlich machen, dass Lobbyismus nicht demokratieschädlich ist, sondern wichtiger Bestandteil unserer pluralistischen Demokratie, der aber wirksamen Kontrollen unterliegt. Sie sollte dieses Thema nicht den Skeptikern oder gar den Gegnern der freiheitlichen Demokratie überlassen – gerade im Bundestag. Da macht sich die AfD das Thema zu eigen und plädiert bislang noch allein für eine Verschärfung des Lobbyregisters. (Interview: Thorsten Stark)
 

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