Politik

Rechnen? Da sind leider nicht alle Schüler so gut wie dieser junge Mann. Malte Klingenberg studierte bereits mit 15 Jahren Physik. (Foto: dpa)

27.10.2017

Mathe-Genies verzweifelt gesucht

Asien droht Deutschland im MINT-Bereich den Rang abzulaufen, weil die Digitalisierung nicht im Klassenzimmer ankommt

In keinem OECD-Land gibt es mehr Studenten in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) als in Deutschland. Bayern steht bei der MINT-Absolventenquote sogar vor Südkorea und China auf Platz eins. Noch.Eine neue Studie zeigt: Grundschüler können deutlich schlechter rechnen als noch vor fünf Jahren. In weiterführenden Schulen haben die Kompetenzen im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften ebenfalls abgenommen. 17 Prozent der Schüler seien nicht ausbildungsreif, konstatieren die Autoren der Studie. Für die Wirtschaft ist das eine Katastrophe.

Bundesweit fehlen schon jetzt 212 000 MINT-Fachkräfte – in Bayern kommen gar auf 100 Arbeitslose 344 offene MINT-Stellen. „Gerade im IT-Bereich haben bayerische Unternehmen immer größere Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen“, sagt der Chef der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt. Um den Nachwuchs zu motivieren, müsse durch innovativen Unterricht wieder Neugier und Begeisterung für Technik geweckt werden. Aktuell können sich nur 15 Prozent der Schüler einen naturwissenschaftlichen Beruf vorstellen. Lehrer müssten daher in der Aus- und Weiterbildung besser auf den Einsatz digitaler Hilfsmittel vorbereitet werden.

Die Abbrecherquote in MINT-Fächern ist zu hoch

Laut einer Umfrage des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) zweifeln 98 Prozent der Lehrkräfte an ihrer Medienkompetenz. Ein Drittel verzichtet daher ganz auf den Einsatz von digitalen Medien – so lässt sich schwer Lust am Lernen wecken. Nur die wenigsten fühlen sich auch in Studium, Referendariat oder Weiterbildung ausreichend für den Einsatz vorbereitet. „MINT-Stärkung heißt auch, Lehrer besser auf die Digitalisierung vorzubereiten“, sagt BLLV-Chefin Simone Fleischmann. Dazu gehörten auch eine bessere Ausstattung, mehr zeitliche Freiräume und mehr Systembetreuer. An Hochschulen existieren gleich zwei Probleme. Zum einen sind Frauen in den meisten MINT-Fächern unterrepräsentiert. „Ihnen wird oft signalisiert, dass ihnen qua Geschlecht MINT-Berufe nicht offenstehen“, sagt Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies an der TU München. Unternehmen müssten daher mit Chefinnen und Gleichstellungskonzepten werben. Zum anderen ist die Abbrecherquote in MINT-Studiengängen besonders hoch. Dabei bringe „der Großteil der MINT-Studierenden durchaus die Voraussetzungen und das nötige technische Interesse mit“, versichert Stefan Razinskas von der LMU München. Sie scheiterten dann aber häufig an der schlechten Betreuung mangels Lehrpersonal.

Ein Pflichtfach Informatik soll jetzt für Abhilfe sorgen

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) will jetzt im Rahmen des neuen Masterplans „Bayern Digital II“ die Klassenzimmer digitalisieren, Schülern mit einem Pflichtfach Informatik auf die Sprünge helfen und eine Fortbildungsoffensive für Lehrer starten. An Hochschulen sollen Förderangebote wie „MINTerAKTIV – Mit Erfolg zum Studienabschluss“ und Mentoring-Programme für MINT-Studentinnen ausgebaut werden. Langfristiges Ziel ist es, eine „MINT-Bildungskette“ vom Kindergarten bis zum Studium oder Job zu schaffen, heißt es aus dem Ministerium. Dem Chef des Bildungsausschusses im Landtag, Martin Güll (SPD), reicht das nicht. Er fordert, sich stärker an den Siegern des PISA-Schülertests Singapur, Japan oder Estland zu orientieren. „Dort investiert der Staat gerade im digitalen Bereich ganz andere Summen, sodass die Voraussetzungen an Schulen viel besser sind.“ BLLV-Chefin Fleischmann lobt vor allem die gute Ausbildung der Lehrer in diesen Ländern. Sie warnt allerdings davor, die Art des Lernens zu übernehmen. „In einem System voller Druck, Disziplin und Gehorsam verlieren wir die Kinder“, betont sie.

Doch nicht alle halten die MINT-Offensive für richtig. Für Lehrer und Bildungsblogger René Scheppler ist sie das Produkt einer finanzstarken Lobbyarbeit auf Kosten anderer Fächer. „Hier wird oft mit Unterrichtsmaterialien, Lehrerfortbildungen und direkten Kontakten in die Politik eine lautere Stimme regelrecht erkauft“, kritisiert er. Tatsächlich unterstützt zum Beispiel die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände das Nationale MINT-Forum, die Siemens Stiftung fördert die „schulische Wertebildung“ im MINT-Bereich. Dadurch, bemängelt Scheppler, „wird die Schule zum Zubringer für einzelne Unternehmen degradiert“. (David Lohmann)

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