Politik

Bereits ab 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche soll es eine ergänzende Maskenpflicht, Sperrstunden in der Gastronomie und einer Begrenzung der Teilnehmer bei Veranstaltungen sowie Familienfeiern geben. (Foto: dpa/Jens Kalaene)

14.10.2020

Mehr Masketragen, weniger Feiern

Die Länder sollen nach dem Willen des Bundes bereits frühzeitig schärfere Beschränkungen erlassen

Um die sich rasch ausbreitende Corona-Pandemie wieder in den Griff zu bekommen, sollen die Länder nach dem Willen des Bundes bereits frühzeitig schärfere Beschränkungen erlassen. Sie sollen schon einschreiten, wenn es 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche gibt - mit einer ergänzenden Maskenpflicht, Sperrstunden in der Gastronomie und einer Begrenzung der Teilnehmer bei Veranstaltungen sowie Familienfeiern. Mit dieser Position ging Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch in die Beratungen mit den Ministerpräsidenten der Länder über den weiteren Kurs. Bislang haben die Länder schärfere Maßnahmen zum Eindämmen der Pandemie zumeist erst ab einem Wert von 50 verhängt.

In der Vorlage des Bundes heißt es weiter, wenn der Anstieg der Infektionszahlen durch die verschärften Maßnahmen nicht spätestens innerhalb von zehn Tagen zum Stillstand komme, "sind weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich, um öffentliche Kontakte weitergehend zu reduzieren". Die Ordnungsämter in Hotspot-Regionen müssten entlastet werden, "damit zur Einhaltung der Corona-Verordnungen eine hohe Kontrolldichte gewährleistet werden kann". Die Innenministerkonferenz solle kurzfristig über eine Entlastung durch Bundespolizei und Länderpolizeien beraten.

Am Nachmittag kam die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten zusammen. Erstmals seit Juni fand das Treffen wieder persönlich im Kanzleramt und nicht per Videokonferenz statt. Es stand unter dem Eindruck stark steigender Infektionszahlen in Deutschland und zum Teil noch dramatischerer Entwicklungen bei vielen europäischen Nachbarn. Hierzulande wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom Mittwoch aktuell 5132 Neuinfektionen gemeldet - so viele wie seit Mitte April nicht mehr.

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mahnte seine Länderkollegen den Teilnehmerangaben zufolge zu einem schnellen und einheitlichen Vorgehen: "Wenn es losgeht, dann geht es sehr schnell. Wir kommen wieder voll in die Sprungkurve rein", sagte er. Die Frage sei daher nur, ob jetzt noch rechtzeitig gehandelt werde, "denn sonst sitzen wir in zehn Tagen eh wieder hier". Er wünsche sich daher eine Systematik, die alle nachvollziehen und nach der alle handeln könnten. "Die Bevölkerung wird ihr Urteil sprechen. Politiker in anderen Ländern, die geschwankt sind und zu früh geöffnet haben, wurden fundamental abgestraft." Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ergänzte: "Wir werden in drei Wochen ganz andere Diskussionen führen, müssen jetzt handeln."

Dagegen äußerte sich der nordrhein-westfälische Regierungschef Armin Laschet (CDU) eher zurückhaltend und skeptisch, etwa was Einschränkungen von privaten Feiern angeht: "Das ist mir zu früh und zu rigoros", zitierten ihn Teilnehmer. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) betonte, er sehe vor allem bei privaten Feiern die größten Probleme für die Verbreitung des Virus.

Söder findet's gut, Laschet mahnt zur Zurückhaltung

Der Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Michael Meyer-Hermann, warnte Bund und Länder eindringlich vor einem Kontrollverlust bei den Infektionen. "Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwölf, um das Schiff noch zu drehen", sagte er nach Angaben von Teilnehmern im Kanzleramt. Deutschland stehe an der Schwelle zu einem exponentiellen Wachstum. Zur Verdeutlichung zeigte der Wissenschaftler eine Simulation, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln würde, sollte die Politik jetzt nicht gegensteuern. Meyer-Hermann schlug nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur außerdem ein Ausreiseverbot für Menschen aus Risikogebieten vor. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet. Allerdings sei der Vorschlag von mehreren Teilnehmern skeptisch gesehen worden.

Im Papier des Bundes heißt es: "In diesen Tagen entscheidet sich die Frage, ob wir in Deutschland die Kraft haben, den Anstieg der Infektionszahlen wieder zu stoppen." Und: "Wir haben es nun in der Hand, das Infektionsgeschehen in Deutschland positiv zu beeinflussen. Dies setzt aber große Entschlossenheit und den Willen der Gesellschaft als Ganzes voraus." Diese Aufgabe habe auch eine historische Dimension: "Die Staaten, denen es gelingt, die Infektionskontrolle zu erhalten, werden wirtschaftlich und sozial besser durch die Krise kommen und damit auch eine erheblich bessere Ausgangslage nach der Krise haben."

Vorgesehen ist in dem Papier auch, dass Unternehmen zusätzliche Hilfen bekommen sollen, wenn sie wegen der neuen Regeln ihren Geschäftsbetrieb erheblich einschränken müssen. Neue Vorschriften zum umstrittenen Beherbergungsverbot sind in dem Entwurf nicht enthalten. Vielmehr werden die Bürger "eindringlich" aufgefordert, nicht erforderliche Reisen aus Risikogebieten heraus und in innerdeutsche Gebiete mit hohen Infektionszahlen hinein zu vermeiden.

Wirtschaft, Ökonomen und Kommunen machten vor den Beratungen Druck auf Bund und Länder, ihr Vorgehen besser zu koordinieren und zu vereinheitlichen - insbesondere bei den Beherbergungsverboten.

"Bund und Länder müssen mehr Zusammenhalt demonstrieren", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Es sei zwingend notwendig, die Maßnahmen zu Inlandsreisen besser abzustimmen. "Das Hin und Her einzelner Bundesländer kostet Zeit und verunsichert Wirtschaft wie Beschäftigte zunehmend." Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft warnte vor einem zweiten Lockdown der Branche durch die Hintertür. Notwendig seien "weniger Aktionismus, mehr Augenmaß und ein Ende der Stigmatisierung des Reisens", sagte Verbandspräsident Michael Frenzel. "Die Tourismusbranche und ihre Gäste brauchen endlich verlässliche, verständliche und vor allem verhältnismäßige Regelungen."

Auch führende Ökonomen verlangten mehr Einheitlichkeit. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte dem "Handelsblatt", dass der Schutz von Gesundheit und Wirtschaft ein "hohes Vertrauen der großen Mehrheit der Menschen" brauche. "Dies erfordert Regeln, die nachvollziehbar und zu einem gewissen Maße damit auch einheitlich sind." Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, forderte Schutzmaßnahmen, "die wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben ermöglichen, statt es zu verhindern." Das bedeute: "Mehr Maskenpflicht und mehr Tests und weniger Beherbergungsverbote."

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner rief Bund und Länder dazu auf, sich auf die "wirklichen Infektionsrisiken" zu konzentrieren. "Was wir brauchen, ist eine Begrenzung der wirklichen Gesundheitsrisiken durch Partys und durch Massenveranstaltungen ohne Hygiene und Abstand." Die umstrittenen Beherbergungsverbote seien dagegen "eine unzumutbare und unverhältnismäßige Einschränkung der Freiheit der Menschen in Deutschland".

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab am Mittwoch in Berlin bekannt, dass die neue Corona-Testverordnung an diesem Donnerstag in Kraft treten werde. Corona-Tests sollen damit künftig stärker auf Risikogruppen und das Gesundheitswesen konzentriert werden - weniger auf Reiserückkehrer. (dpa)

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