Politik

Die türkische Community in Bayern wünscht sich Jobangebote für Frauen, die von deren Männern akzeptiert werden, sagt Kerstin Schreyer. (Foto: dpa)

28.04.2017

"Mehr Migrantinnen zu Altenpflegerinnen ausbilden"

Kerstin Schreyer (CSU), Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, über die Jobsituation türkischstämmiger Frauen, die Folgen des Erdoğan-Referendums und das Thema Doppelpass

Die CSU-Landtagsabgeordnete Kerstin Schreyer (45) fungiert seit März 2017 als Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung. Sie folgte ihrem Fraktionskollegen Martin Neumeyer nach, der zum Landrat gewählt wurde. Zuvor war die Sozialpädagogin aus dem Landkreis München stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

BSZ: Frau Schreyer, sind Sie schon mit der Vorstellungsrunde bei den vielen Landsmannschaften und Glaubensgemeinschaften durch?
Kerstin Schreyer: Ich habe schon wahnsinnig viele Termine gemacht. Aber durch ist man da wohl nie, weil Ansprechpartner wechseln oder neue Gruppen entstehen.

BSZ: Was ist Ihr erster Eindruck? Wo wartet die meiste Arbeit?
Schreyer: Zunächst einmal ist Bayern das Land der gelingenden Integration – und das sagen wir nicht einfach so daher. Das sieht man im Vergleich mit anderen Ländern. Trotzdem entbindet uns das nicht von der Verpflichtung zu schauen, wo wir noch besser werden können. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen den Menschen mit Fluchthintergrund, die rund 15 Prozent ausmachen, und jenen 85 Prozent, die nicht als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Ich möchte meine Arbeit bewusst nicht auf die Menschen mit Fluchthintergrund reduzieren. Bei dem großen Bereich der 85 Prozent kommen wir über die Kindergärten und Schulen sehr gut an die Kinder heran. Wir erreichen zudem die Männer über die Berufsausbildung oder den Berufseintritt recht gut. Nachholbedarf haben wir noch bei Frauen aus anderen Kulturkreisen, die oft sehr früh und dann mehrere Kinder bekommen, und dann mit Ende 40 mit geringen Sprachkenntnissen und ohne Ausbildung dastehen. Für diesen Personenkreis will ich an speziellen Angeboten stricken.

BSZ: Woran denken Sie da?
Schreyer: Was ich vor allem aus der türkischen Community heraushöre, ist, dass wir Berufsgruppen brauchen, bei denen die Männer einer Arbeitsaufnahme ihrer Frauen zustimmen und die Frauen die Tätigkeit als ehrbaren Beruf ansehen. Als passend erachte ich vor diesem Hintergrund in erster Linie die Altenpflege. Auch die Menschen mit Migrationshintergrund werden älter, weshalb wir mehr Personal brauchen werden, das auch kultursensibel pflegen kann. Mit einer entsprechenden Sprach- und Fachausbildung können wir diese Frauen Ende 40 für den Arbeitsmarkt qualifizieren, der ihnen dann auch einen sicheren Job bietet. Nur in dieser Kombination ist das sinnvoll.

BSZ: Sind Sie als Frau in muslimischen Kreisen als Ansprechpartner akzeptiert?
Schreyer: Viel mehr, als ich dachte. Und zwar sowohl von den Männern als auch von den Frauen.

"Frauen aus anderen Kulturkreisen zum Beispiel für die Altenpflege gewinnen"

BSZ: Das Verfassungsreferendum in der Türkei hat die Stimmung auch bei uns ziemlich aufgeheizt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Schreyer: Man konnte wissen, dass die Abstimmung in Bayern pro Erdoğan ausgehen würde. Offenbar haben viele hier lebende Türken das Gefühl, dass Erdoğan für sie da wäre, wenn sie in Deutschland Probleme bekommen würden. Mit diesem Gefühl, als schützende Hand zur Verfügung zu stehen, hat Erdoğan erfolgreich gespielt. Diese Botschaft war so stark, dass selbst gut integrierte Türken für Erdoğan gestimmt haben. Das war bei vielen eine hoch emotionale Entscheidung. Ich glaube deshalb, es ist zu kurz gesprungen, die Ursache für die Unterstützung Erdoğan in einer nicht ausreichenden Integration zu suchen.

BSZ: Nach einer Studie der Hanns-Seidel-Stiftung fühlen sich aber gerade die Türken unter allen Migranten am wenigsten integriert und akzeptiert. Haben Sie eine Erklärung?
Schreyer: Zunächst einmal muss man festhalten, dass sich nach dieser Studie über 80 Prozent der in Bayern lebenden Migranten sehr gut integriert fühlen. Darunter sind auch viele türkisch-stämmige Leistungsträger. Man muss aber einen Blick auf die Biographien werfen. In der Gastarbeiterzeit sind viele aus der Türkei zum Arbeiten, aber nicht zum Bleiben gekommen. Sie hatten gar nicht das Ziel, sich zu integrieren. Später holten viele ihre Frauen aus Anatolien nach, obwohl die eigentlich gar nicht nach Deutschland wollten. Dadurch sind bei uns türkische Gemeinden entstanden, in denen man gar kein Deutsch braucht. Das hat Integration behindert.

BSZ: Jetzt haben wir das neue Integrationsgesetz. Ihr Vorgänger hat es als zu repressiv und zu wenig motivierend bezeichnet. Teilen Sie diese Kritik?
Schreyer: Das Gesetz ist richtig, und es ist auch gut. Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz, dass sich die deutsche Gesellschaft klar werden musste, was uns ausmacht und nach welchen Werten wir leben. Diese setzen nun den Rahmen, den wir zu uns Kommenden anbieten. Das Gesetz schafft Klarheit, wie wir hier zusammenleben wollen.

BSZ:
Bei aller Notwendigkeit eines integrationspolitischen Rahmens: Muss hinter fast jedem Paragrafen der erhobene Zeigefinger lauern?
Schreyer: Was ist falsch daran, klar zu betonen, dass Rechtsstaat und Staatsgewalt nicht verhandelbar sind? Dass wir die Religionsfreiheit achten? Der erhobene Zeigefinger gilt da für Menschen mit Migrationshintergrund genauso wie für die, die hier schon immer leben.

BSZ: Die Kritik hat sich eher daran entzündet, dass mit Sanktionen gedroht wird, wenn man Integrationsangebote wie Sprachkurse vernachlässigt. Das könnte mehr abschrecken als zur Integration einladen.
Schreyer: Integration ist keine Einbahnstraße. Wir stellen für sehr viel Geld Integrationsangebote bereit. Dazu gehört aus meiner Sicht die Verpflichtung des Zugewanderten, da auch mitzumachen. Wer sich verweigert, dem müssen wir schon klarmachen, dass es so nicht funktioniert.

BSZ:
Die Studie der Seidel-Stiftung zeigt auch, dass Zuwanderer politisch schlecht informiert sind und sich mit den Positionen der Parteien nicht auskennen. Könnte da eine Ausweitung des Wahlrechts helfen?
Schreyer: Das ist keine Frage des Wahlrechts. Auch in der deutschen Bevölkerung kennen viele die Programme der Parteien nicht. Wir müssen Menschen insgesamt mehr an Demokratie und Politik heranführen, egal ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht.

BSZ:
Aktuell in der Debatte ist wieder der Doppelpass. Ist der ein Integrationshindernis oder ein Angebot zur stärkeren Integration?
Schreyer: Ich glaube, dass der Doppelpass die Persönlichkeiten spaltet. Jeder hat die Möglichkeit, sich zu seiner nationalen Herkunft zu bekennen. Man kann unsere Gesetze und Werteordnung anerkennen, ohne seine Wurzeln zu verleugnen. Am Ende ist es die Entscheidung jedes Einzelnen, ob er auch den letzten Schritt der Integration gehen und die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchte.
(Interview: Jürgen Umlauft)

Kommentare (2)

  1. Miezekatz123 am 29.04.2017
    Sehr geehrte Damen und Herren!
    Nicht jeder kann in der altenpflege arbeiten! Hier ist besonders wichtig, mit den Mitmenschen reden zu können! Altenpfleger und Pflegerinnen machen mehr als nur a bißchen arsch abwischen! Ich arbeite seit jahren in der Pflege und mache gerade eine Ausbildung zur Fachkraft, die ausgesprochen anspruchsvoll und vielseitig ist!
    Dafür ist nicht jeder geeignet und nur wenige wollen dieses körperlich und geistig anstrengenden und unterbezahlten Beruf ausüben!
  2. stadler martin am 28.04.2017
    sehr geehrte Damen und Herren!
    Das was die Frau Schreyer geschrieben hat war interessant und sehr positiv gegenüber dem Herrn Erdogan das was er so macht in der Türkei das finde sehr unverschämt.
    grüße martin stadler!
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