Politik

Nach der Wahl von Hans Ehard zum bayerischen Ministerpräsidenten am 21.12.1946 in München wurde das neue Kabinett vereidigt - bei der Landtagswahl am 1.12.1946 wurde auch über Bayerns Verfassung abgestimmt. (Foto: dpa)

30.11.2021

Bayerische Verfassung: Meilenstein für ein blutendes Land

Bayern war von Normalität im Jahr 1946 noch weit entfernt. Dennoch fallen in das Jahr Entscheidungen, die Grundlagen bildeten für das Entstehen einer Demokratie nach Krieg und Terrorherrschaft. Im Advent gab es zwar keine Kerzen - dafür eine Volksabstimmung

Bayern hatte aufgeräumt in diesem Jahr 1946. Es hatte begonnen, den Schutt abzutragen - den aus Kriegstrümmern und den in den Köpfen. Zu Beginn des Jahres zeigte man in den Kinos "Die Todesmühlen", Aufnahmen aus den Konzentrationslagern, die die Amerikaner nach der Befreiung gemacht hatten. Erich Kästner sah sich den Film damals im Kino an. "Es ist Nacht", schrieb der Schriftsteller erschüttert, "ich bringe es nicht fertig, über diesen unausdenkbaren, infernalischen Wahnsinn einen zusammenhängenden Artikel zu schreiben".

Nur einen Monat später unterzeichneten die Ministerpräsidenten der drei Länder der amerikanischen Zone in München das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus", heute besser bekannt als Entnazifizierungsgesetz. Vorsitzender war Bayerns Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD). Man stellte den Hausmeister vor Gericht, der die Geschwister Scholl festgehalten hatte, die Universität und die Technische Hochschule München wurden wiedereröffnet, Straßen wurden umbenannt und das Telefonbuch neu aufgelegt und zu Weihnachten gab es keine Kerzen.

Es war noch dunkel, aber das Bemühen um Licht war da, als vor 75 Jahren, am 1. Dezember 1946, die Bayern mit den Wahlen zum ersten Landtag gleichzeitig abstimmten über ihre neue Verfassung. Gut 75 Prozent der vier Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich, gut 70 Prozent stimmten ihr zu. Am 2. Dezember erfolgte die Ausfertigung durch Hoegner. Gut drei Monate hatte die Verfassunggebende Landesversammlung getagt, in 15 Sitzungen der Vorbereitende Verfassungsausschuss einen Entwurf erarbeitet.

Militärregierung setzte die Möglichkeit zur Popularklage durch

Kennzeichnend waren unter anderem die starke Stellung des Ministerpräsidenten und ein umfassender Grundrechte-Katalog. Die Militärregierung setzte durch, dass den Bürgern die Möglichkeit einer Popularklage gegeben wurde. In der ersten Sitzung des Landtags am 16. Dezember in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität pries der Chef der Militärregierung in Bayern, Walter J. Muller, die Verfassung als "wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem demokratischen Deutschland". Alterspräsident Georg Stücklen (CSU) dankte der Militärregierung für das Verständnis "gegenüber der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Not unseres gequälten und aus tausend Wunden blutenden Landes".

Für Ministerpräsident Hoegner allerdings, der eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung der Verfassung gespielt hatte, war der 1. Dezember 1946 zugleich der Anfang vom Ende seiner ersten Amtszeit. Die CSU holte bei diesen ersten Wahlen zum bayerischen Landtag die absolute Mehrheit, die SPD landete bei knapp 29 Prozent. Auf Hoegner folgte drei Tage vor Weihnachten Hans Ehard (CSU). 1954 ging das Ministerpräsidentenamt wieder an Hoegner, 1960 nochmals an Ehard. Zwei gleichaltrige Gegner des Nationalsozialismus lösten einander ab - so hatte Hoegner den Untersuchungsausschuss über die Hintergründe des Hitlerputsches am 9. November 1923 geleitet, Ehard vertrat die Anklage gegen Hitler wegen Hochverrats.

Die Verfassung trat am 8. Dezember 1946 in Kraft. Ihr Original ist bereits seit 1947 verschollen. Der 1. Dezember aber ist seither ein Gedenktag: Landesweit wird auch in diesem Jahr als Zeichen der Erinnerung geflaggt.
(Martina Scheffler, dpa)

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