Politik

Die Jugendgerichte haben immer mehr zu tun. (Foto: dpa/Susann Prautsch)

03.11.2023

Minderjährige Mörder

Die Zahl der jugendlichen Straftäter*innen in Bayern explodiert

Die Jugendgewalt in Bayern nimmt erschreckende Ausmaße an. Letzte Woche erstach ein 14-Jähriger aus Regensburg mutmaßlich einen siebenjährigen Buben. Im August wurde in München einem 49-Jährigen im Streit mit einer Gruppe Jugendlicher eine Glasflasche ins Gesicht geschlagen. Erst als Passanten einschritten, ließen die Jugendlichen von ihm ab. Und im Frühjahr musste in Augsburg ein 14-Jähriger nach einem Raubüberfall mit einer Machete vom Spezialeinsatzkommando festgenommen werden. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

Dass es sich dabei nicht um ein medial aufgebauschtes Phänomen handelt, zeigen von der Staatszeitung bei Polizeipräsidien angefragte Zahlen. So wurden in München letztes Jahr 1310 Minderjährige einer Straftat verdächtigt – 48 Prozent mehr als in Vor-Corona-Jahren. Dabei handelte es sich um Fälle von gefährlicher oder schwerer Körperverletzung. In Augsburg stieg die Zahl der Tatverdächtigen bis 17 Jahren verglichen mit 2018 sogar um knapp 70 Prozent, allerdings auf insgesamt niedrigem Niveau. In Nürnberg fiel die Erhöhung mit rund 3 Prozent moderater aus. Bayernweit lag die Zunahme der Tatverdächtigen zwischen 14 und 17 Jahren laut Justizministerium im Schnitt bei 27 Prozent.

Die verklärende Vorstellung, dass auf dem Land alles besser ist, lässt sich nicht halten. Im Landkreis Augsburg hat sich die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen bis 17 Jahren zum Beispiel nahezu verdoppelt, in anderen Landkreisen ist die Zahl im besten Fall konstant geblieben. Auch im Bundesvergleich schneidet der sonst bei Gewalt und Kriminalität oft vorbildliche Freistaat nur bedingt gut ab. Bundesweit sind die Zahlen zwar nach Corona ebenfalls gestiegen – allerdings auf niedrigerem Niveau.

Psychiater: Computerspiele fördern Gewalt

Fachleute sehen die Ursachen für die Zunahme der Jugendgewalt vor allem in den vielen Krisen der vergangenen Jahre. „Die emotionale Belastbarkeit und Frustrationstoleranz ist dadurch gesunken, der Kontrollverlust gestiegen“, sagt der Münchner Psychologe Dieter Frey. Insbesondere die soziale Isolierung durch Corona und die dadurch entstandenen Konflikte in der Familie hätten zu Defiziten in der sozialen und emotionalen Entwicklung geführt. Für den Heidelberger Jugendpsychiater Friedrich Trefz sind auch Computerspiele an der Entwicklung mit schuld. Durch häufiges Spielen verwische sich für die jungen Leute die Grenze von Realität und Fiktion – und zwar auch bei echten Treffen mit Gleichgesinnten, so der Psychiater. Dann könne es zu Gewalt kommen.

Die Täter sind oft männliche Jugendliche. Das Bundesjugendministerium spricht von „Intensivtätern“, die häufig von Gewalterfahrungen in der Familie, sozialer Benachteiligung, Schulprobleme und Drogenkonsum betroffen sind. Und das Haus der bayerischen Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) teilt mit: „Oft können junge Straftäter ihr Verhalten selbst nicht erklären und sind ratlos, weil sie nicht wissen, was sie bei der Grenzverletzung angetrieben hat. Die geplanten Kürzungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes ab nächstem Jahr seien daher kontraproduktiv. In Berlin wiederum verweist man auf die Zuständigkeit der Länder und Kommunen.

Kommunen wissen nicht weiter

Die Kommunen wissen nicht weiter. So beklagt Nürnberg, dass mandie Ursachen nicht kenne. Die Stadt Augsburg schreibt: „Eine risikoreiche Entwicklung lässt sich vor allem gegenüber Sicherheitskräften und Rettungsdienstkräften beobachten.“ Dort legt man aber Wert darauf zu betonen, dass es sich trotz der Zunahme um „Einzelfälle“ handelt. Alle bayerischen Städte betonten, dass sie intensiv mit Schule, Jugendhilfe, Polizei, Justiz und Trägern von Präventionsangeboten zusammenarbeiten.

Der Landtag zeigt sich ob der vielen Fälle „beunruhigt“. Vor allem soziale Medien befeuern diesen Trend“, glaubt der Abgeordnete Wolfgang Hauber (Freie Wähler). Dagegen helfen soll die neue Verfassungs-Viertelstunde, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Den Grünen im Landtag reicht das nicht. Sie fordern vor allem, jungen Menschen ohne Schulabschluss bessere Perspektiven zu bieten. Die AfD glaubt das Problem per Gesetz lösen zu können: Sie fordert, die Altersgrenze für die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken.

Ob das Jugendliche von ihren Taten abschreckt? Wichtig wäre Fachleuten zufolge, die Jugendsozialarbeit stärker zu fördern und insbesondere junge Menschen ohne Schulabschluss zu unterstützen. Also mehr in die Prävention zu investieren.
(David Lohmann)

 

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