Politik

07.05.2010

Mit Vollgas in den Verkehrskollaps

Der Lkw-Verkehr im Freistaat soll laut einer neuen Studie des bayerischen Wirtschaftsministeriums dramatisch wachsen

Auf Bayerns Autobahnen und Bundesstraßen dürften sich die Verkehrsprobleme schon bald massiv verschärfen. So rechnet etwa der ADAC mit einer Zunahme des Güterverkehrs im Freistaat auf der Straße bis zum Jahr 2020 um 80 bis 90 Prozent. „Viele Straßen werden dann brechend voll sein“, so ein Verbandssprecher. Auf ein solches Zukunftsszenario deuten auch die Ergebnisse einer Prognose hin, die das bayerische Verkehrsministerium gerade erarbeitet. Erste Schätzungen der Studie, die noch in diesem Jahr fertig werden soll, liegen der Staatszeitung vor. Demnach soll das Gesamtgüterverkehrsaufkommen im Freistaat im Jahr 2025 um bis zu 40 Prozent höher liegen als noch 2007. Die Zahl der auf den bayerischen Verkehrswegen transportierten Tonnen wird im selben Zeitraum voraussichtlich um 50 bis 60 Prozent zunehmen. „Betrachtet man allein den Straßengüterverkehr, ist sogar noch eine geringfügig höhere Steigerungsquote anzunehmen“, erläutert eine Ministeriumssprecherin.
Zwar rollten wegen der abgekühlten Konjunktur im vergangenen Jahr erstmals seit Langem weniger Brummis als im Vorjahr über Bayerns Straßen. Doch auf vielen Fernverbindungen dürfte es bald wieder öfter „Stop and Go“ heißen. Die pessimistischen Schätzungen kommen ausgerechnet von der Mineralölindustrie. Forscher des Shell-Konzerns haben errechnet, dass sich die Zahl der eingesetzten Schwerlaster bundesweit bis zum Jahr 2030 verdoppeln wird – wenn die Politik nicht gegensteuert. „Besonders stark zunehmen“ wird laut Studienleiter Jörg Adolf der Transitverkehr. Schlechte Nachrichten für den Freistaat. Denn viele Routen in die Zukunftsmärkte in Südost- und Osteuropa führen durch das südlichste Bundesland. „Dabei herrscht jetzt schon auf manchen Autobahnen wie der A-3, A-8 und A-9 Dauerstau“, sagt ein ADAC-Sprecher. Auch Heidi Tischmann vom Verkehrsclub Deutschland (VCD)warnt vor einem „Verkehrsinfarkt“. Kein Wunder: Laut Umweltbundesamt hat der Lkw-Verkehr in Deutschland seit 1991 um 89 Prozent zugenommen. Hauptursache für die immer länger gewordenen Lastwagenkolonnen ist neben dem lange Zeit fast ungebremsten Nachfrageboom in Osteuropa, der Niedergang des Warentransports mit der Bahn. Wurden hierzulande im Jahr 1991 noch 416 Millionen Tonnen an Waren und Rohstoffen in Zügen transportiert, waren es 2009 nur mehr 312 Millionen.
Der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene ging von 56 Prozent im Jahr 1950 auf nur mehr 16 Prozent im vergangenen Jahr zurück. Fast drei Viertel der Transporte rollen über die Straßen. Der ADAC fordert deshalb bis zum Jahr 2015 1000 Kilometer neue Autobahnen. „Der Verkehr muss auf die Schiene“, sagt dagegen VCD-Frau Tischmann. Schließlich seien die Kapazitäten auf der Straße äußerst begrenzt. Darüber hinaus steigt der CO2-Ausstoß durch die Brummis bis 2030 laut der Shell-Studie um bis zu 50 Prozent.
Doch weil der Bund und die staatseigene Deutsche Bahn (DB) in der Vergangenheit kaum Geld in das Streckennetz steckten, ist ein Umstieg auf die Schiene für viele Firmen wenig attraktiv. So ist etwa das südost-bayerische Chemiedreieck mit München bislang nur mit einer eingleisigen Dieselstrecke verbunden. „Und das, obwohl dieses Projekt seit 1985 angeblich oberste Priorität hat“, schimpft der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Martin Runge.
Auch die Elektrifizierung anderer wichtiger Güterstrecken wie die von Hof nach Regensburg lassen auf sich warten. Zudem hat die DB in den vergangenen Jahren zahlreiche Güterbahnhöfe stillgelegt. Reinhard Mergner vom Bund Naturschutz kritisiert deshalb: „Die Bundesregierung hält sonntags stets Reden zur Förderung des Schienenverkehrs, um dann montags neue Kürzungen zu beschließen.“ Rückendeckung bekommt er vom FW-Verkehrsexperten Bernhard Pohl. Der fordert „zusätzliche Milliarden für den Ausbau der Verkehrswege“. Das FDP-geführte bayerische Wirtschaftsministerium sieht ebenfalls eine „starke Unterfinanzierung des Bedarfsplans Schiene des Bundes“. Zahlreiche bayerische Vorhaben seien „noch ohne konkrete Realisierungsperspektive“, so eine Sprecherin. Pro Kopf gerechnet investierte Österreich 2008 vier Mal soviel in das Bahnnetz wie Deutschland.
Besserung ist nicht in Sicht: Trotz vollmundiger Ankündigungen bei den Koalitionsgesprächen spart die schwarz-gelbe Bundesregierung beim Ausbau der Netze. Nach der Finanzplanung von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sollen die Investitionen in Schiene, Straße und Wasserwege deutschlandweit von 2010 bis 2013 um eine Milliarde Euro auf 9,8 Milliarden Euro absinken. Die Grünen-Bundestagsfraktion errechnete bis 2025 für den Schienenverkehr eine Finanzierungslücke von 23 Milliarden Euro. Der Berliner Koalitionsvertrag sieht zudem vor, dass die Mittel aus der Lkw-Maut allein dem Straßenbau zukommen. Auch die Zuschüsse für Firmen, die ihre Logistik auf die Schiene verlagern, will Ramsauers Haus um vier Fünftel kürzen. Den Vorwurf der Untätigkeit weist das Ministerium zurück. Man überarbeite derzeit den Masterplan zum Ausbau der Verkehrsnetze, heißt es auf Anfrage. (Tobias Lill)

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