Politik

Daumen hoch: Edit Schlaffer von Frauen ohne Grenzen beim bundesweit ersten Mother-School-Training in Unterfranken. (Foto: STMAS)

02.03.2018

Mutterliebe gegen Hassprediger

Das Projekt „Mother Schools“ soll durch die Sensibilisierung von Müttern Radikalisierung verhindern – bundesweiter Vorreiter ist Unterfranken

Bei „Mother Schools: Parenting for Peace!“ werden Frauen ausgebildet, die ihr Wissen über die Gefahren von Extremismus an andere Frauen weitergeben. Seit 2017 existiert das Präventionsprojekt auch in vier unterfränkischen Kommunen – bald soll es auf ganz Bayern, eventuell sogar auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Samir (Name geändert) war ein ganz normaler Jugendlicher. Er wuchs in Bayern auf, ging regelmäßig zur Schule und hatte eine Freundin. Doch eines Tages sagte er im Streit zu seiner Mutter: „Wenn Allah es befiehlt, werde ich auch dich umbringen.“ Die alleinerziehende Mutter war geschockt. Sie arbeitete Vollzeit und hatte nicht bemerkt, dass ihr Sohn seine Freundin längst verlassen hatte, mit Hasspredigern in Kontakt stand und sich mit Kampfsport auf seine Reise nach Syrien vorbereitete. Mit dem neuen Projekt „Mother Schools: Parenting for Peace!“ in Unterfranken soll das zukünftig verhindert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Mütter.

Initiiert wurde das Programm 2012 von Frauen ohne Grenzen in Wien. „Mütter sind durch die Nähe zu ihren Kindern bestens positioniert, um Frühwarnsignale potentieller Radikalisierung zu erkennen und auf sie zu reagieren“, sagt Frauen-ohne-Grenzen-Gründerin Edit Schlaffer der Staatszeitung. Auf die Idee dazu kam sie nach einer Forschungsstudie, in der sie 1000 Mütter aus aller Welt zu ihren Erfahrungen mit gewalttätigem Extremismus befragte. „Die Daten zeigten klar, dass die Mütter bereit sind, miteinander dieses heikle Thema der Radikalisierung zu thematisieren, aber dass sie dafür das Selbstbewusstsein benötigen, um kompetent zu intervenieren.“ Genau das sollen die Mother Schools jetzt lehren.

Mittlerweile wird das Projekt von der UNESCO offiziell als Best-Practice-Beispiel anerkannt und in 13 Ländern praktiziert – unter anderem in Österreich, Belgien, England, Mazedonien, Pakistan, Indien, Indonesien, Jordanien, Nigeria, Tadschikistan und Tansania. Dadurch konnten bereits über 2000 Mütter erreicht werden. Seit 2017 wird es auf Initiative der Staatsregierung auch an vier Standorten in Unterfranken angeboten.

„Damit ist Bayern Vorreiter in Deutschland“, erklärt eine Sprecherin von Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Salafisten fokussierten sich bei der Rekrutierung auf die Defizite der Jugendlichen und böten ihnen Zugehörigkeit, Zeit und Anerkennung. „Mütter haben das Potential, die radikale Argumentation zu durchbrechen“, ist das Ministerium überzeugt und unterstützt das Programm mit insgesamt knapp einer halben Million Euro. Projektträger in Unterfranken ist unter anderem der Verein Frauen für Frauen (FFF) in Erlenbach am Main.

30 Prozent der Salafisten in Bayern sind zwischen 18 und 25 Jahre alt

Wie wichtig ein solches Programm auch in Bayern ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: Rund 30 Prozent der Salafisten in Bayern sind zwischen 18 und 25 Jahre alt und knapp fünf Prozent des salafistischen Personenpotenzials Minderjährige. Zielgruppe der Mother Schools sind deshalb Mütter von Jugendlichen ab zwölf Jahren und jungen Erwachsenen, insbesondere aus Milieus mit patriarchalen Strukturen. „Unter den Jugendlichen, die sich von der salafistischen Propaganda angezogen fühlen, ist auch ein beträchtlicher Anteil ohne Migrationshintergrund“, betont das Sozialministerium.

FFF-Vorsitzende Nilüfer Aktürk kennt solche Fälle aus der Vergangenheit. Der Verein engagiert sich seit über vier Jahren in der Frauenarbeit. „Ein deutsches Mädchen hat uns erzählt, dass sie sich dem sogenannten Islamischen Staat anschließen will“, erzählt sie. Damals gab es das Mother School-Programm noch nicht. Mittlerweile habe sie den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen, sei zum Islam konvertiert und lebe nach den strengen Regeln einer salafistischen Gruppierung. Das soll nicht noch einmal passieren.

Die Mother Schools-Trainerinnen werden von Frauen ohne Grenzen in einem zwei- bis dreitägigen „Train the Teacher Workshop“ ausgebildet. Dabei handelt es sich meistens um Lehrerinnen, Psychologinnen oder Sozialarbeiterinnen. Sie haben auch für FFF ein 30-stündiges Training entwickelt. Gelehrt wurde unter anderem Kommunikation mit Teenagern, Radikalisierungsprozesse verstehen, Selbstbewusstsein aufbauen und die Rolle von Frauen in Sicherheitsbelangen.

Bei wie vielen Jugendlichen durch das Programm eine Radikalisierung verhindert werden konnte, kann Initiatorin Schlaffer zwar nicht sagen. „Präventionsarbeit kann nicht quantitativ gemessen werden“, erläutert sie. Die Evaluation der Projekte habe aber ergeben, dass Frauen darin bestärkt werden, nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung zu haben, bei den ersten Frühwarnsignalen zu intervenieren.

Ähnliche Präventionsinitiativen haben sehr oft das Modell der Mother Schools zum Vorbild, können jedoch nicht mit deren internationaler Erfahrung mithalten. Am ehesten vergleichbar sind die Mother Schools noch mit der Beratungsstelle „Radikalisierung“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dort glaubt man ebenfalls, dass der Beratung des Umfelds von sich radikalisierenden Personen eine zentrale Position zukommt. „Daher kommt auch Müttern eine Schlüsselposition zu, um einer möglichen Radikalisierung ihres Kindes entgegenzuwirken“, versichert eine Sprecherin. Allerdings arbeitet die Beratungsstelle eben meist erst mit dem familiären Umfeld zusammen, wenn bereits eine Radikalisierung erfolgt ist.

Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) setzt sich daher für den Ausbau der Mother Schools ein. „Wenn wir diesen Ansatz weiterverfolgen, wird das künftig ein bedeutender Baustein im Kampf gegen Hass-Prediger sein, und zugleich ein segensreicher Beitrag zu einer gelingenden Integration“, sagte sie der BSZ. Die Freien Wähler fordern, das Projekt jetzt auf größere Städte auszuweiten. „Interesse haben inzwischen schon Augsburg, Nürnberg und Regensburg gezeigt“, erzählt der Landtagsabgeordnete Hans Jürgen Fahn. Es gebe sogar bereits Anfragen aus anderen Bundesländern und von Bundesseite. Ende März wird die Staatsregierung auf Antrag der Freien Wähler über die bayernweite Ausweitung berichten. Die Chancen stehen relativ gut.

„Vorbehaltlich der abschließenden, positiven Evaluation ist eine Verstetigung an den bisherigen Standorten und eine Ausweitung des Projekts in Bayern geplant“, bestätigt eine Ministeriumssprecherin. Die bestehenden Mother Schools-Standorte sollen dann in Mother Circels überführt werden, wo die ausgebildeten Frauen ihr Wissen an andere Frauen weitergeben. Ein Knackpunkt ist die Finanzierung: Die Staatsregierung erwartet eine Beteiligung des Bundes. Das sollte aber hoffentlich reine Formsache sein. Im Koalitionsvertrag heißt es klar: Der Ausbau „unserer erfolgreichen Programme“ gegen Extremismus soll fortgeführt werden. (David Lohmann)

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