Politik

Für Beschäftigte im Gesundheitsbereich gilt eine Impfpflicht – wer nicht immunisiert ist, wird zum Gespräch eingeladen. (Foto: dpa/Fabian Sommer)

08.04.2022

Nichtimmunisierte dürfen vorerst weiterarbeiten

Seit 15. März gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht – allein das Gesundheitsamt in Nürnberg hat nun 2000 Meldungen über ungeimpfte Beschäftigte bekommen

Für das Universitätsklinikum Erlangen könnte es eng werden. Wenn die einrichtungsbezogene Impfpflicht greift, würde das die enge Personallage „sicher sehr drastisch verschärfen“, befürchtet Sprecher Johannes Eissing. Er bestätigt damit Bedenken, die den gesamten Gesundheits- und Pflegebereich umtreiben: Derzeit arbeiten viele Einrichtungen wegen der aktuellen Welle der Omikron-Infektionen am Limit, diese spezielle Impfpflicht aber könnte gerade bei größeren Einrichtungen in naher Zukunft den Personalmangel zum Dauerzustand machen.

Ende letzten Jahres – die Kontroverse um eine allgemeine Impfpflicht war in vollem Gang – hatten Bundestag und Bundesrat beschlossen, dass zumindest hochbetagte und pflegebedürftige Menschen sowie chronisch Erkrankte wegen des deutlich erhöhten Risikos von schweren oder gar tödlichen Covid-19-Erkrankungen besonders geschützt werden sollen. Wobei sehr umstritten ist, ob die Impfung nur marginal davor schützt, das Virus weiterzugeben; dazu später mehr. Jedenfalls müssen alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, die mit dieser vulnerablen Gruppe in Kontakt kommen, seit 15. März 2022 geimpft sein.

Ende des Jahres läuft diese Impfpflicht ohnehin aus

Für sie gibt es eine Schonfrist, nicht aber für neu Eingestellte. Sie müssen bereits geimpft sein. So steht es jetzt im Impfschutzgesetz. Für die Umsetzung sind die Länder zuständig, letztlich aber die überlasteten Gesundheitsämter und die Einrichtungen selbst. Die Verantwortung für den Schutz vor Corona, sagen Kritiker*innen, wurde nach unten durchgereicht – und dort zeigten sich denn auch gleich Probleme.

Zu den üblichen Tücken der Digitalisierung kamen Klagen über eine angeblich ungerechte Sonderbehandlung von Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich. Das Bayerische Rote Kreuz warnte vor einer „Stigmatisierung“, solange es keine allgemeine Impfpflicht gebe. Dies schaffe Unfrieden, pflichtete Barbara Stamm, die Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern, im Gespräch mit der Staatszeitung bei. In ihren Einrichtungen sei die Impfquote zwar hoch, doch durch mögliche Betätigungsverbote käme die Betreuung von Menschen mit Behinderung in Schwierigkeiten. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass seit dem 16. März Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheime und Arztpraxen von ihren Beschäftigten Nachweise über den Impfstatus verlangen müssen. Wer nicht ausreichend geschützt ist, ist dem Gesundheitsamt zu melden.

Wie es dann weiter geht, erläutert Ulrike Goeken-Haidl, Sprecherin des Gesundheitsamts Nürnberg. Bei ihrer Behörde gingen bisher immerhin knapp 2000 solcher Meldungen ein. Die Betroffenen werden möglichst noch vor Ostern zum Gespräch eingeladen und haben vier Wochen Zeit für eine Rückmeldung, etwa über eine inzwischen erfolgte Impfung. Bleiben sie hartnäckig, beginnt ein mehrstufiges Verfahren, womöglich auch wegen Ordnungswidrigkeit. Insgesamt „dürfte es mindestens bis Ende des Jahres dauern, bis erste Betretungsverbote verhängt werden“, sagt Goeken-Haidl. Wobei die einrichtungsbezogene Impfpflicht, Stand heute, zum Jahresende 2022 ohnehin ausläuft. Bis dahin dürfen die betroffenen Nichtgeimpften jedenfalls weiterarbeiten.

Beim Uniklinikum Erlangen sind laut Sprecher Eissing bislang gut 300 Personen dem Gesundheitsamt gemeldet worden, 5 Prozent der Beschäftigten. Eine Rückmeldung sei bisher nicht gekommen – Betretungsverbote sind also zumindest vorerst nicht zu erwarten. Ein weiteres Problem sieht Eissing darin, dass nur wenige Ungeimpfte sich umstimmen lassen. Manche Einrichtungen wie die Wohnstifte Rathsberg in Erlangen und am Tiergarten in Nürnberg wollen notfalls auf dem Petitionsweg erreichen, Betretungsverbote abzuwenden.

Weniger Sorgen hat die Stadtmission Nürnberg in ihren Pflegeeinrichtungen und Kliniken: Die Impfquote sei so hoch, dass keine Ausfälle zu erwarten und „unsere sozialen und medizinischen Dienste gesichert sind“, betont die Sprecherin Tabea Bozada. Ähnliches ist vom Bayerischen Hausärzteverband zu hören. Weil die überwiegende Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte sowie der Fachangestellten bereits geimpft sei, seien keine größeren Auswirkungen auf die Praxen zu befürchten. Es komme zwar zu Engpässen, räumt Vorstandsmitglied Wolfgang Ritter ein, der in München selbst praktiziert, aber, schränkt er ein, „weniger durch die Impfpflicht als durch die Omikron-Infektionen“.

Es kommt auch auf die Belegschaft an: Der Fürther Hautarzt Jens Bußmann, der in seiner Praxis viele über 60-Jährige behandelt, lobt die Solidarität seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alle seien schon vor Inkrafttreten des Gesetzes bereit gewesen, sich impfen zu lassen. Mit einer Ausnahme. Diese Angestellte wird er wohl verlieren.

Schützt die Impfung wirklich auch andere? Das Robert Koch-Institut betont, die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren und andere anzustecken, sinke signifikant. So sehen es auch die Uniklinik Erlangen und der Bayerische Hausärzteverband, der aber hinzufügt, bei der Omikron-Variante sei die Infektiosität trotz Impfung noch nicht ganz geklärt.

Es gibt bereits etliche Verfassungsbeschwerden

Dagegen sprach sich etwa der Immunologe Andreas Radbruch, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums, als Sachverständiger im Bundestag gegen jede Impfpflicht aus: Impfen bringe für den Fremdschutz auf Dauer gar nichts.

Gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht liegen bereits Klagen vor. Beispielsweise hat die Jülicher Kanzlei Mingers Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er vertrete über tausend Beschäftigte, sagt Anwalt Markus Mingers, darunter auch etliche aus Bayern. Seiner Ansicht nach liegt ein unzulässiger Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit vor. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 11. Februar einen Eilantrag gegen das Inkrafttreten der Impfpflicht im Pflege- und Gesundheitswesen mit Blick auf das hohe Gesundheitsrisiko vulnerabler Menschen abgelehnt. (Aktenzeichen: 1BvR 2649/21). Die endgültige Entscheidung steht allerdings noch aus.
(Herbert Fuehr)

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