Es ist Freitagabend, 18 Uhr. Der Lagerarbeiter Richard Adams hat sich mittlerweile von seiner Nachtschicht, die um halb sieben Uhr morgens endet, erholt. Seit Donnerstag fühlt er sich nicht mehr ganz so wohl, aber er konnte zur Arbeit gehen. Im Laufe des Freitags werden die Symptome schlimmer: Der Kopf pocht, das Ohr sticht, es kommen Atemprobleme hinzu. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm: Sein Hausarzt hat schon geschlossen. Bis Montag durchhalten? Das erscheint ihm nicht möglich, die Schwierigkeiten beim Atmen machen dem sportlichen Mann Sorgen.
Adams hat Glück: Er wohnt in Regensburg und dort gibt es eine Praxis des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, eingegliedert in die Räumlichkeiten des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder. Dort gibt es eine ärztliche Versorgung, wenn die Hausarztpraxen schon zu sind, ohne dass man die gegenüberliegende Notaufnahme aufsuchen muss. Adams lässt sich zum Krankenhaus fahren, geht an der Notaufnahme vorbei und wird dort untersucht und behandelt. Der Arzt diagnostiziert eine Lungenentzündung, verschreibt Medikamente und verordnet Ruhe.
Fälle wie die von Adams gibt es viele. Gesundheitliche Probleme halten sich nicht an Praxisöffnungszeiten, im Gegenteil. Das Phänomen, dass man ausgerechnet zum Wochenende oder zum Urlaubsbeginn krank wird, hat sogar einen Namen: „Leisure Sickness – Freizeitkrankheit“ nennen es Mediziner*innen und Psycholog*innen. Das passiert, weil das Immunsystem und das vegetative Nervensystem unter Stress Höchstleistungen vollbringen, bei beginnender Entspannung aber runterfahren, und schon können sich die Erreger im Körper ausbreiten.
Nicht überall haben Erkrankte die Möglichkeit, sich so unkompliziert behandeln zu lassen. Vielerorts gibt es solche Bereitschaftspraxen nicht, die Betroffenen sehen die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses als ihre einzige Option an.
Gebühr stößt auf Skepsis
Diese fühlen sich mittlerweile oft an ihrer Kapazitätsgrenze. Dazu tragen Fälle wie der von Richard Adams bei, die zwar behandelt werden müssen, aber nicht lebensbedrohlich sind.
Um diesen Missstand zu lösen, hat sich zum Beispiel Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), für einen Vorschlag der Unionsfraktion im Bundestag ausgesprochen und befürwortet die Einführung einer Notaufnahmegebühr in Höhe von 20 Euro. Diese sollen alle bezahlen müssen, die ohne telefonische Ersteinschätzung die Notfallambulanzen aufsuchen. Erwartungsgemäß stößt der Vorschlag auf Kritik, gerade auch aus den betroffenen Notaufnahmen heraus.
So hat Felix Rockmann, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Chefarzt des Notfallzentrums bei den Barmherzigen Brüdern Regensburg, die Sorge, dass die Gebühr einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich brächte, der sich wiederum negativ auf die Patientenversorgung auswirken könne. Auch der soziale Aspekt behagt ihm nicht: „Was geschieht beispielsweise mit denjenigen, die sich die Gebühr einfach nicht leisten können?“ Er hält auch zu lange Wartezeiten in der ärztlichen Versorgung für einen Grund, warum sich Menschen ohne echten Bedarf in die Notaufnahmen verirren. Bei einem Anruf des Bereitschaftsdienstes hänge man oft 15 Minuten oder länger in der Warteschleife. Vielen dauere das zu lang, sie suchen dann die Notaufnahme auf.
Die unmittelbare Nähe der Bereitschaftspraxis hält er für positiv: „In jedem Fall wäre die Notaufnahme noch stärker ausgelastet, wenn es die ärztliche Bereitschaftspraxis in unserem Krankenhaus nicht geben würde.“ Zudem würden die Notaufnahmen wie andere Abteilungen auch unter dem Pflegekräftemangel leiden. Seit der Corona-Pandemie seien in vielen Kliniken weniger Betten in Betrieb, weshalb die Patient*innen länger in der Notaufnahme versorgt werden müssten.
Vorschläge zur Verbesserung der Situation und zur Lenkung der Patientenströme gibt es viele: integrierte Notfallzentren, eine gemeinsame Notfallleitstelle, telemedizinische Versorgung oder eben angegliederte Praxen. Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) aus dem Jahr 2019 hat jedoch gezeigt, dass die Bevölkerung nicht allen Lösungen gegenüber gleichermaßen aufgeschlossen ist. So befürworteten an die 90 Prozent eine gemeinsame Notfallleitstelle, die die Menschen vorsortiert und sie der richtigen Stelle zuweist. Telemedizinische Angebote wurden eher skeptisch gesehen oder waren unbekannt. Die Studie hat zudem gezeigt, dass vor allem jüngere Menschen gerne Notaufnahmen aufsuchen – in der Erwartung, dort auf höchstem Niveau versorgt zu werden.
Eigentlich ist das ja ein Lob für die Notaufnahmen – trotzdem nicht unbedingt zu deren Vorteil. Bis sich eine Lösung gefunden hat, hilft wohl nur, die Rufnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 und dessen Serviceleistungen weiter bekannt zu machen, um möglichst viele Menschen mit Beschwerden zur passenden Einrichtung zu lotsen. (Bianca Haslbeck)
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