Petra Weitzel ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Vor allem in Bayern würden transidente Menschen höchstens toleriert, nicht akzeptiert. „Dabei hat der Staat eine Vorbildfunktion“, mahnt sie im BSZ-Interview. Grund für die Diskriminierung sei auch rechte Propaganda.
BSZ: Frau Weitzel, an einigen bayerischen Grundschulen soll es jetzt Toiletten für das dritte Geschlecht geben. Das Vorhaben schlug hohe Wellen. Können Sie die Aufregung verstehen?
Petra Weitzel: Nein. Auch Kinder und Jugendliche mit nicht-binärer Identität müssen selbstverständlich ihren Platz in der Gesellschaft haben. Einfach wäre es, zum Beispiel All-Gender-Toiletten als solche getrennt nach Urinalen und Kabinen zu schaffen und entsprechend zu beschriften. In Zügen und Flugzeugen ist das ja auch kein Thema.
BSZ: Wie sieht es mit der Sexualerziehung im Unterricht in Bayern aus?
Weitzel: Während Bundesländer wie Hessen von „Akzeptanz“ sprechen, heißt es in Bayern bestenfalls „Toleranz“. Das heißt, ich dulde etwas, bin aber nicht einverstanden. Geschlechtliche Identität kommt überhaupt nicht vor und wird unter Sexualität eingeordnet. Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Bayern geurteilt, dass, wenn ein transidentes Kind in der Klasse ist, die Pädagog_innen verpflichtet sind, die Klassenkameraden altersgerecht aufzuklären.
BSZ: Ein bekannter Kinderpsychiater sagte kürzlich, Transsexualität sei derzeit ein Trend, ausgelöst durch die sozialen Medien. Wird man vom Youtube gucken trans*?
Weitzel: Das ist völliger Blödsinn. Durch solche Aussagen werden Eltern verunsichert und Kinder entmündigt. Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin haben bereits einen offenen Brief verfasst. Dieser Kinderpsychiater versucht schlicht, über die Medien Druck auszuüben.
BSZ: Warum fühlen sich viele Menschen durch das Gender-Thema verunsichert?
Weitzel: Weil Rechtspopulisten mit finanzieller Unterstützung entsprechender Netzwerke das Thema kapern und Fakten verdrehen. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich bei Russia Today Artikel über das Outing der transidenten grünen Abgeordneten Tessa Ganserer und andere zum Themenkreis finden. Die Artikel lesen sich zwar neutral, sind aber gespickt mit Links zu AfD-Abgeordneten – übrigens auch aus Bayern.
BSZ: Über das Outing wurde bundesweit berichtet. Wo verläuft die Grenze zwischen echtem Interesse und Voyeurismus?
Weitzel: Entscheidend ist doch immer, wie jemand sich selbst einordnet. Voyeurismus fängt deshalb da an, wo jemand verbal in die Hose schauen will. Wer fragt „Bist du schon operiert?“ oder „Willst Du Dich operieren lassen?“, hat schon die Top-1-Frage auf der Liste der übergriffigen Fragen gestellt. Echtes Interesse wären Fragen wie „Kommst du mit deiner Familie, Partner_in, Kolleg_innen zurecht? Geht es dir gut?“
BSZ: Wie reagieren Unternehmen in solchen Fällen?
Weitzel: Beim Outing scheinen noch alle positiv gestimmt. Spätestens aber, wenn die Zeit der Geschlechts-angleichung mit Operationen kommt, wird oft gemobbt. Dann heißt es, wenn Sie an dem und dem Tag in der Klinik und nicht da sind, können Sie einpacken, dann kündigen wir Ihnen. So was hören Angestellte oft wortwörtlich. Und das in einer Phase, in der transidente Menschen nicht gerade viel Selbstbewusstsein haben und Termine von den Krankenhäusern akzeptiert werden müssen, weil man sonst ein weiteres halbes Jahr warten muss. Nur wenn der Arbeitgeber proaktiv Aufklärung betreibt und Diskriminierung ahndet, erleben Mitarbeitende Unterstützung von den Kolleg_innen im Betrieb.
BSZ:Wo stehen die Kirchen in Bayern bei dem Thema?
Weitzel: Deutschlandweit traut ungefähr jede zweite evangelische Kirche gleichgeschlechtliche Paare, und einige bieten sogar eine Art Affirmation nach vollzogener Geschlechtsangleichung an. Bayern tut sich schwerer – aber mit Tendenz zum Guten. In der katholischen Kirche haben die meisten Mitarbeitenden auf den unteren Ebenen kein Problem damit, auf den höheren schon. Auf katholischen Friedhöfen werden transidente Menschen noch immer ausschließlich mit ihrem Geburtsnamen bestattet.
Oft fehlt der Polizei der Wille, nach einem trans*feindlichen Angriff eine Anzeige aufzunehmen
BSZ: Transidente Menschen haben laut Studien ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suizid. Wegen der Diskriminierung?
Weitzel: Solche Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen. Häufig werden sie aus der rechten Ecke nach dem Motto interpretiert: Wer so „wird“, bringt sich um. In Wahrheit hängt es davon ab, ob Menschen benachteiligt und diskriminiert werden – zum Beispiel bei der Arbeit. Eine Studie aus den USA zeigt: Wenn vor allem junge transidente Menschen schon Unterstützung bekommen, sind Depressionen nur unwesentlich zahlreicher als bei nicht transidenten Menschen.
BSZ: Wo sehen Sie derzeit die größte Diskriminierung?
Weitzel: Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern entscheidet, wann (gesetzliche) Krankenkassen im Freistaat die Kosten für eine Hormontherapie und Operationen übernehmen dürfen. Während die Leitlinien der Ärzte deutschlandweit modernisiert wurden, müssen transidente Menschen in Bayern vor einer Hormonbehandlung oder Operation weiterhin einen Alltagstest von bis zu 18 Monaten nachweisen. Also, sich vor der Hormontherapie in der Arbeit und Freizeit in einem anderen Geschlecht erproben. Das heißt, sie müssen sich outen. Das ist eine Quälerei und als ob man eine Brille ohne Gläser testen müsste. Generell ist das Coming-out am Arbeitsplatz für alle leichter, wenn die Barthaare weg sind oder die Stimme tief ist, je nachdem.
BSZ: In Bayern steigen die Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität der Opfer. Wird genauer hingesehen, oder nehmen die Angriffe zu?
Weitzel: Das kann ich nicht sicher sagen. Es kommt aber immer wieder vor, dass transidente Menschen angepöbelt oder angegriffen werden. Das Problem ist, dass Zahlen fehlen. Oft wissen Polizisten nicht, ob eine Straftat jetzt potenziell homo- oder trans*feindlich ist. Oft fehlt auch der Wille, nach einem trans*feindlichen Angriff eine Anzeige aufzunehmen. Weltweit steigt die Zahl der Opfer.
BSZ: Die Staatsregierung lehnt einen Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit ab. Es werde schon genug in diesem Bereich getan. Stimmen Sie zu?
Weitzel: Das ist wie bei den Unternehmen: Wenn ich eine Vorbildfunktion habe – und die hat der Staat –, muss ich proaktiv den Bürgern signalisieren: Das ist ein wichtiges Thema. Dann verhalten sich auch die Menschen in den Behörden entsprechend. Deshalb braucht es dringend einen Aktionsplan.
BSZ: „Sehr geehrte Mitarbeitende“: In bayerischen Amtstuben kehrt die geschlechtersensible Sprache ein, zuletzt etwa in Augsburg. Ein Anfang?
Weitzel: Ja, das ist nur gerecht. Wer mehrere Personen anspricht, sollte das immer geschlechtsneutral tun. So signalisiert man, dass alle wahrgenommen werden. Die Frage ist, ob Menschen künftig auch in der Einzahl geschlechtsneutral angesprochen werden sollten – und wie man trotzdem jedem gerecht werden kann.
BSZ: Ihr Verband hat für einen Ergänzungsausweis gekämpft. Was ist das genau?
Weitzel: Häufig stimmen die Personalpapiere nicht mit der eigenen geschlechtlichen Verortung überein. Der Übergangsprozess, die Transition, dauert oft Jahre. Der Ergänzungsausweis ist als Muster beim Bundesinnenministerium registriert und von der Polizei im EDV-System gespeichert. Außerdem haben wir erreicht, dass man auch bei der Bank ohne Personenstandsänderung eine Kontokarte mit den neuen Namen führen darf. Ähnliches gilt auch bei der elektronischen Gesundheitskarte – wobei manche Versicherungen noch Verständnisprobleme haben.
BSZ: Transsexuelle, Transidente, Transgender: Es gibt viele verschiedene Formulierungen. Woher weiß man, wie eine Person tatsächlich bezeichnet werden möchte?
Weitzel: Das ist extrem schwierig. Jeder kann den Begriff wählen, den er für passend hält. Den geringsten Fehler macht man mit „transident“ oder „transsexuell“. Wobei man auch mit diesen Begriffen danebenliegen kann. Am besten man fragt einfach. (Interview: David Lohmann)
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