Politik

Strenge Kontrolle: Anders als Angestellte in Unternehmen dürfen Studierende ihre Hochschule nur mit einem 3G-Nachweis betreten. (dpa/Weißbrod)

15.10.2021

"Nur reiche Studierende können sich von der Impfpflicht freikaufen"

Bayerns Studierendensprecherin Johanna Weidlich über die 3G-Regelung für Vorlesungen, die geplante Hochschulreform und angebliche Genderstrafzettel

Nach eineinhalb Jahren Online-Lehre startet nächste Woche an Bayerns Universitäten wieder der Präsenzunterricht. Die Sprecherin der Landesastenkonferenz (LAK), Johanna Weidlich, fordert im Interview weiterhin kostenlose Corona-Tests für Studierende, klimaneutrale Hochschulen bis 2030 und von der neuen Bundesregierung eine echte BAföG-Reform.

BSZ Frau Weidlich, endlich darf wieder in Präsenz studiert werden – vorausgesetzt, Studierende sind geimpft, genesen oder lassen sich jeden Tag testen. Kommt das nicht einer Impfpflicht für Studierende gleich? 
Johanna Weidlich Teilweise ja. Bis Ende November sind die Tests noch kostenlos. Danach können sich nur noch wohlhabende Studierende von einer Quasi-Impfpflicht freikaufen. Das kritisieren wir, denn der Zugang zu Tests hat auch etwas mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. Die LAK fordert, dass Tests weiterhin kostenlos bleiben. Grundsätzlich ist 3G der richtige Weg, weil dadurch die Abstandsregel unter den Studierenden fällt und dadurch der Präsenzunterricht überhaupt erst möglich wird. Für Prüfungen gilt die 3G-Regel nicht.

BSZ Wie ist es mit Studierenden, die mit Sputnik oder der chinesischen Variante geimpft sind?
Weidlich Nicht alle ausländischen Impfstoffe werden in Deutschland anerkannt. Daher sind Tests für ausländische Studierende bis Ende des Jahres kostenlos, damit sie sich jetzt noch mal mit einem europäischen Impfstoff impfen lassen können. 

BSZ Das wurde doch noch gar nicht ausreichend auf mögliche Nebenwirkungen untersucht. 
Weidlich Die Anerkennung der Impfstoffe ist auch beim Studierendenaustausch ein Problem. Viele internationale Studiengänge werden noch digital gelehrt, weil die Menschen unter anderem deswegen gar nicht ins Land kommen.

BSZ Wie soll 3G an Hochschulen mit Zehntausenden Studierenden kontrolliert werden? 
Weidlich Es gibt kein einheitliches Konzept, die Regelungen sind lokal unterschiedlich. Das ist aber auch gut, weil jeder Campus anders ist. An manchen Hochschulen kontrolliert die Security am Eingang, bei manchen geht sie durchs Gebäude, manche Hochschulleitungen nehmen die Dozierenden in die Pflicht. Eine Hochschule verteilt jeden Tag Bändchen, damit nicht in jeder Vorlesung aufs Neue kontrolliert werden muss. Spezielle Ausweise nur für Geimpfte und Genesene sind zum Glück vom Tisch. 

BSZ Die psychosozialen Beratungsstellen der Studentenwerke berichten von Angststörungen bei Studierenden während des Lockdowns. Werden überhaupt alle ihre alten Kommilitonen wiedersehen? 
Weidlich Es wird sicherlich einen Schwund geben. Auch, weil Leute abgebrochen haben, aber vor allem, weil manche besser und manche schlechter mit der Online-Lehre zurechtkamen. Dadurch sind viele auf einem unterschiedlichen Stand. Ich hoffe aber, dass die Kontakte trotz der Verzerrungen aufrechterhalten oder jetzt im Zweifel neu geknüpft werden können, weil das Studium auch dafür da ist. Da die drei Corona-Semester nicht zur Regelstudienzeit zählen, gibt es rein formal keine Nachteile. 

BSZ Die Soforthilfe für Studierende während des Lockdowns war unzureichend. Viele hatten Existenzängste. Ein weiterer Grund für einen Studienabbruch?
Weidlich Die Überbrückungshilfen waren eine ganz schwache Leistung. Sie sind erst drei Monate nach dem Lockdown angelaufen und waren unglaublich bürokratisch, intransparent und natürlich viel zu niedrig. Das Bundesbildungsministerium wollte Studierende wohl animieren, lieber bei der KfW-Förderbank einen Kredit aufzunehmen. Die erhöht ihren Zins dafür nächstes Jahr wieder auf 4 Prozent. Die Finanzsituation hat also bei manchen sicherlich auch zu einem Studienabbruch geführt. Wie groß die Zahl ist, kann ich aber nicht sagen.

BSZ CSU-Chef Markus Söder hat im Wahlkampf behauptet, es gebe „Genderstrafzettel“ an Hochschulen, obwohl bisher kein offizieller Fall bekannt ist. 
Weidlich Das hat uns sehr überrascht und irritiert. Uns ist auch kein offizieller Fall bekannt, und wenn, würden wir dagegen vorgehen. Wir fanden die Diskussion aber sehr einseitig, weil auch niemand eine schlechtere Note bekommen soll, wenn er oder sie gendert. Wir fordern also auch keine Nicht-Genderstrafzettel.

"Hochschulen sind nicht an das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 gebunden, weil sie nicht zur 'unmittelbaren Verwaltung' gehören"

BSZ Die Staatsregierung plant eine Hochschulreform, die Hochschulen mehr Autonomie geben soll. Das klingt erst mal gut. 
Weidlich Bei aller Autonomie sollte es aber ein paar Mindestregeln geben. Bisher gibt es zum Beispiel eine einheitliche Regel für das Verhältnis zwischen Professor*innen und anderen Statusgruppen wie Studierenden im Hochschulsenat. Im neuen Gesetz soll das aufgebrochen werden. Dass die Professor*innen mehr als die Hälfte der Stimmen haben, ist verfassungsrechtlich festgelegt. Der Rest der Stimmen sollte aber verpflichtend an andere Gruppen vergeben werden, die sogenannte 50-Prozent-plus-1-Regel. Auch setzen wir uns für Klimaneutralität und Nachhaltigkeit ein. Wie jetzt rauskam, sind Hochschulen gar nicht an das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 gebunden, weil sie nicht zur „unmittelbaren Verwaltung“ gehören. Um die Fortschritte zu kontrollieren, fordern wir eine Berichtspflicht gegenüber dem Landtag. 

BSZ Die BAföG-Wohnpauschale beträgt 325 Euro. Davon können sich nur noch Studierende in Magdeburg eine Wohnung anmieten, in München kosten Studierendenwohnungen im Schnitt 800 Euro.
Weidlich Das Problem ist, dass die Wohnpauschale starr ist – das ist realitätsfern. Alle Landesstudierendenvertretungen fordern nach einem kleinen Reförmchen 2019 endlich eine echte BAföG-Reform. Dazu gehört: eine flexible Wohnpauschale, eine allgemeine Anhebung der Förderung unabhängig vom Alter und vom Einkommen der Eltern sowie eine Digital- und Lernmittelpauschale für die Ausstattung von Studierenden. Da aktuell nur noch 11 Prozent der Studierenden BAföG beziehen, braucht es außerdem eine Anhebung der aktuell viel zu geringen Freibeträge. 

BSZ Wie läuft die Zusammenarbeit mit Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) und wie sehen Sie dem Amtszeitende von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) entgegen?
Weidlich Herrn Sibler habe ich erst kürzlich gesehen, die Zusammenarbeit läuft gut und der Austausch war vor allem während Corona sehr eng. Das heißt nicht, dass wir alles bekommen, was wir wollen, aber das heißt, dass uns zugehört wird und wir auch ernst genommen werden. Auf Bundesebene ist eine Zusammenarbeit mit Frau Karliczek deutlich schwieriger. Sie hat sich mehr als einen Patzer erlaubt. Beispielsweise wurden in den Infektionsschutzverordnungen zwar ausdrücklich Schulen erwähnt, aber die Studierenden vergessen. Das mussten dann alle Bundesländer auf Landesebene ergänzen. Auch daran sieht man, wie wichtig ihr die studentischen Themen sind.

BSZ An Ihrer Technischen Hochschule in Ingolstadt gingen die Vorlesungen schon Anfang Oktober los. Was war das für ein Gefühl, nach eineinhalb Jahren Pause wieder die TH zu betreten? 
Weidlich Es war wahnsinnig schön, die Hochschule so belebt zu sehen. Der Wissensaustausch wird jetzt wieder besser und direkter. Ich freue mich auf den persönlichen Austausch mit den Studierenden, die wir vertreten, Lernen in Präsenz, den viel beschworenen Flurfunk, und darauf, Freunde und die anderen Studierendenvertretenden wiederzusehen. (Interview: David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.