Politik

„Wir tun uns schwer, eigene Erfolge angemessen zu feiern“: Überreste einer Grünen-Wahlparty. (Foto: dpa/ Ralf Hirschberger)

12.01.2024

Ökopartei in der Krise

Bei vielen Menschen sind die Grünen mittlerweile regelrecht verhasst. Zu Recht?

In der Eigenwahrnehmung sind die Grünen gerade so etwas wie der Prügelknabe der Nation. Klar wird die Berliner Ampel als Ganzes für alles verantwortlich gemacht, was derzeit nicht funktioniert, teurer wird oder unliebsame Veränderung bedeutet. Aber die Grünen trifft es besonders hart. In manchen Kreisen sind sie regelrecht verhasst. Sie werden niedergebrüllt, „an die Ostfront“ oder gleich an den Galgen gewünscht. Trauriger Höhepunkt vergangene Woche der wütende Mob, dessentwegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Fähre nicht verlassen konnte. Selbst schuld oder Verrohung der Sitten?

Ursula Münch, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, nähert sich der Antwort wissenschaftlich. Eine Partei in Regierungsbeteiligung stehe immer intensiver im Fokus, sagt sie. Verstärkt werde das noch, weil die Grünen mit Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock zwei Frontleute „mit starkem Gestaltungsbedürfnis“ hätten. Mitunter erschienen diese „oberlehrerhaft“. Dieses in der Wahrnehmung vieler Menschen Besserwisserische stehe in großer Diskrepanz zu den handwerklichen Fehlern, die Habeck vor allem beim Heizungsgesetz unterlaufen seien. Also ja, die Grünen seien auch selbst dafür verantwortlich, dass sie heftig in der Kritik stehen, meint Münch. Zumal sie nicht zu begreifen schienen, was die Menschen an ihrer Politik störe, und sie vor lauter Eifer nicht bedächten, welche konkreten Folgen Beschlüsse für die Bürger*innen hätten. Etwas „weltfremd“ seien sie manchmal, die Grünen.

Für die Heftigkeit der Attacken nennt Münch aber auch äußere Faktoren und eine Mitverantwortung von CSU und Freien Wählern. Ein Gutteil der Zuspitzung sei Folge des bayerischen Landtagswahlkampfes, in dem sich die beiden Koalitionspartner zum Gegenentwurf der Grünen stilisiert hätten. „Den Leuten ist im Wahlkampf eingebläut worden, was die Grünen ihnen alles verbieten wollen – was so definitiv nicht gestimmt hat“, urteilt Münch. Die Grünen zudem praktisch alleinverantwortlich für die gestiegenen Energiepreise zu machen, sei mit Blick auf den Krieg in der Ukraine eine „doch etwas schlichte Denke“.

Münch rückt Rhetorik von CSU und Freien Wählern in die Nähe von Extremisten

Erschrocken hat sich Münch über die „Ausgrenzungsrhetorik“ von CSU und Freien Wählern: dass den Grünen zum Beispiel das „Bayern-Gen“ abgesprochen werde. Solche Strategien habe sie bislang nur in Bezug auf Populisten und Extremisten gekannt. In Verbindung mit einem „Sündenbock-Denken“, das in Krisenzeiten ohnehin stärker verbreitet sei, habe sich im Land eine aggressive Grundstimmung gegenüber den Grünen entwickelt, weiter angetrieben durch die digitalen Verbreitungswege und eine in Teilen „widerliche Frauenfeindlichkeit“ gegen deren weibliche Führungskräfte. Es habe sich eine Wucht entwickelt, die in analogen Zeiten so kaum vorstellbar gewesen wäre, erklärt Münch.

Führende Grüne teilen Münchs zweigeteilte Analyse im Grundsatz. Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann, vor der Wahl noch Teil des Grünen-Spitzenduos, sieht ein den Grünen immanentes Grundproblem: „Wir machen Politik aus der Überzeugung heraus, etwas verändern zu wollen“, sagt er. Veränderungen aber stünden viele Menschen zunächst skeptisch gegenüber. Dabei brauche es Fortschritt und Veränderung, um Lebensgrundlagen zu erhalten und Wohlstand zu sichern. Hartmann gesteht ein, dass die Partei wohl „Tonalität“ und Argumentationsweise anpassen müsse, um besser verstanden zu werden. „Wir müssen Fürsprecher des Fortschritts sein, ohne den Menschen Angst zu machen“, formuliert er. Und man müsse das Warum der notwendigen Veränderungen besser erklären. Das allein sei schon schwierig, werde aber noch komplizierter, „wenn sich die Mitbewerber auf das rein Populistische konzentrieren“.

Grünen-Landeschef Thomas von Sarnowski sieht es ähnlich. Die Krisen der vergangenen Jahre hätten die Menschen veränderungsmüde gemacht. Und dann kämen die Grünen daher und forderten noch mehr Veränderung. „Wir sind halt die Partei, die sagt, es wird nicht besser, wenn wir Probleme noch fünf Jahre laufen lassen“, erklärt er. In der Konsequenz müsse man klarer kommunizieren, welche Vorteile der erforderliche Wandel den Menschen in Zukunft als Gesellschaft und auch persönlich bringen werde.

Ob Sarnowski weiter an führender Position mitwirken kann, ist offen. Für den Parteitag Ende Januar hat der Münchner Kommunalpolitiker Ludwig Sporrer seine Gegenkandidatur angekündigt. Die Co-Vorsitzende Eva Lettenbauer wird von der früheren Abgeordneten Gisela Sengl herausgefordert. Auch sie teilt die Analyse, wonach eine Mischung aus Eigenverschulden und Hetze von anderen Ursache für die harsche Ablehnung der Grünen vor allem auf dem Land ist. Genau da will Sengl im Falle ihrer Wahl ansetzen. Es brauche für die Menschen auf dem Land eine andere Ansprache als für die Milieus in der Stadt. Zudem müssten die Auswirkungen Grüner Programmatik und Gesetzesvorhaben auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen bedacht werden. Und ja, die Partei müsse „wehrhafter“ werden und bei Attacken klarstellen, „dass wir nicht an allem schuld sind“.

Ludwig Hartmann hat noch eine andere Baustelle ausgemacht. „Anders als andere tun wir uns schwer, die eigenen Erfolge angemessen zu feiern“, urteilt er. Dass trotz Ukraine-Krieg vor dem Winter 2022/23 die Gasspeicher voll gewesen seien, hätte man zum Beispiel ruhig offensiver kommunizieren dürfen. Oder dass man die Besitzer von Photovoltaikanlagen auf dem Dach von Steuern und Bürokratie befreit habe. In Sachen selbstbewusster und positiver Kommunikation könne man von der CSU lernen, meint Hartmann. Man müsse ja nicht so weit gehen, auch Erfolge zu feiern, für die man gar nichts könne. (Jürgen Umlauft)
 

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