Politik

Wer Solarstrom erzeugt und diesen selbst nutzt, ist fein raus. (Foto: DF)

20.05.2022

Ökostrom nutzen? Schön wär’s

Wie die Politik die Energiewende bremst: Beispiel Sonnenstrom

Weg von russischem Öl und Gas, den steigenden Energiepreisen entgegenwirken und Bayern via Energiewende bis 2040 klimaneutral machen. Das sind die Rahmenbedingungen unter denen die Solarstromerzeugung im Freistaat boomen sollte. Nachfrage nach neuen Photovoltaikanlagen ist jedenfalls genug vorhanden. „Mit Jahresbeginn sehen wir hier eine starke Dynamik“, sagt Josef Wagner, Geschäftsführer der LEW Verteilnetz GmbH (LVN) aus Augsburg. So geht man bei der LVN davon aus, dass sich die installierte Leistung von Photovoltaikanlagen im LVN-Gebiet, das Bayerisch-Schwaben umfasst, von aktuell fast zwei Gigawatt in den kommenden acht Jahren auf mehr als sieben Gigawatt erhöhen wird.

Auch beim oberfränkischen Solarspezialisten Ibc Solar aus Bad Staffelstein (Landkreis Lichtenfels) ist diese erhöhte Nachfrage festzustellen. Zum Beispiel wollte ein Industriekunde aus Baden-Württemberg umstellen. Dazu musste der Kunde beim Energieversorger einen Antrag auf Einspeisung stellen. Doch der Antrag wurde ohne Begründung abgelehnt. Die Solarfirma vermutet, dass sich die Stromversorger ihre „Versorgungsoberhoheit“ nicht wegnehmen lassen wollen. Dies stelle man immer wieder fest. „Anträge werden über einen längeren Zeitraum liegen gelassen oder nicht bearbeitet, “ klagt Ibc Solar-chef Udo Möhrstedt.

Das Habeck-Ressort gibt Merkel die Schuld

Das ist aber nicht das einzige Hemmnis. Die deutsche Bürokratie sorgt für weitere. Die Sorge, dass zu viele dezentrale Anlagen (Biomasse, Wind, Geothermie, Solar) Ökostrom ins Netz eingespeist werden und dieses dann wegen Überlastung zusammenbricht, hat so einige Regelungen hervorgebracht. So muss zum Beispiel seit April 2019 jeder Betreiber einer Photovoltaikanlage schon ab 135 Kilowatt Leistung für den Netzanschluss ein vereinfachtes Anlagenzertifikat vorlegen. Dieses Zertifikat soll bescheinigen, dass die PV-Anlage bei drohender Netzüberlastung abschaltbar ist. Tatsächlich wird vor der Netzfreigabe jede Anlage vom Betreiber auf Regelbarkeit überprüft. „Insofern ist das Anlagenzertifikat überflüssig“, bilanziert Udo Möhrstedt

Darüber hinaus darf das Zertifikat nur ein akkreditierter Zertifizierer ausstellen. Doch davon gibt es in Deutschland nur rund 1000. Zu wenige, um den Andrang abarbeiten zu können.
Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) fordert deshalb Sofortmaßnahmen, damit Solaranlagen auch ohne extra Anlagenzertifikat in Betrieb genommen werden können.

Unverzichtbar ist für den BSW-Hauptgeschäftsführer aber eine signifikante Erhöhung der 135-Kilowatt-Grenze. Die Bundesnetzagentur sollte über ein Gutachten belegen, dass dies schon bei Anlagen von unter einem Megawatt, also 1000 Kilowatt, nötig ist. Die EU lasse den Mitgliedstaaten dafür den Spielraum.

Deutscher Sonderweg

Im Bundeswirtschaftsministerium arbeitet man derzeit daran, diesen deutschen Sonderweg, den die alte Bundesregierung zu verantworten hat, zu verlassen. Aus dem Ministerium kommt der Vorwurf, dass die Merkel-Regierung den Ausbau erneuerbarer Energien mittels Bürokratie ausbremsen wollte.

Das beklagt auch Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW): „Die Energiewendebürokratie hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Jeder Stromnetzbetreiber muss über 5000 Vergütungssätze für Stromerzeugungsanlagen korrekt zuordnen können.“ Jede Anlage, und sei sie noch so klein, müsse mit vielen Datensätzen im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur angemeldet werden, klagt Fischer.

Bayern steht bei der Stromerzeugung aus regenerativen Quellen keineswegs schlecht da. Laut bayerischem Wirtschaftsministerium lag deren Anteil im Jahr 2020 bereits bei mehr als 52 Prozent. Photovoltaik und Wasserkraft leisteten den größten Beitrag, gefolgt von Biomasse und Windenergie. Daran haben auch die VBEW-Mitgliedsunternehmen ihren Anteil. Sie schlossen im Freistaat in den vergangenen zehn Jahren rund 600.000 Stromerzeugungsanlagen an ihre Netze an.

Netzausbau vorausschauend planen

Doch der Netzausbau muss mit der ständig wachsenden Anzahl an regenerativen Stromerzeugungsanlagen synchronisiert und hierfür priorisiert werden. Hier verbreitet Martin Stümpfig, energiepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, Hoffnung: „Vom Bundeswirtschaftsministerium ist geplant, den vorausschauenden Netzausbau zu erlauben. Das war bisher verboten.“ Aber auch die bayerische Staatsregierung muss ihren Beitrag leisten. Denn bisher gibt es nur 13 Personen, die bayernweit für die Genehmigungsverfahren beim Netzausbau zuständig sind. „Das muss weiter aufgestockt werden“, fordert Stümpfig.

Es gibt indes weitere Verzögerungsfaktoren. Die Schwierigkeiten bei den globalen Lieferketten für viele technische Komponenten, der Fachkräftemangel und die angespannte Ressourcensituation bei vielen Unternehmen der Tiefbaubranche, bei Elektro- und Anlagenbaufirmen bremsen die Energiewende zusätzlich.

Auch Privatpersonen haben es schwer, wenn sie selbst erzeugten Solarstrom nutzen wollen. Als Eigenverbrauch gilt nämlich nur, wenn man den selbst erzeugten Sonnenstrom in der eigenen Wohnung verbraucht. Das führt zu bizarren Situationen. Mehrere Eigentümer in einem Wohnhaus zum Beispiel bleiben außen vor – was völlig sinnfrei ist.
Wenn es Bund und Ländern mit der Energiewende ernst meinen, sollten sie schleunigst gemeinsam die bisherige Verhinderungsgesetzgebung reparieren.
(Ralph Schweinfurth)

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.