Wie wird ein Vertrag abgeschlossen? Was sind Haustürgeschäfte? Und in welchen Fällen kann die Vereinbarung widerrufen werden? Da gerade Flüchtlinge bei Handyverträgen oft übers Ohr gehauen werden, ist es wichtig, frühzeitig über das deutsche Vertragsrecht Bescheid zu wissen. Wie es funktioniert, veranschaulicht das bayerische Justizministerium jetzt im Rahmen des Projekts „Rechtsbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber“. Auf seiner
Webseite gibt es dazu einen kurzen Erklärfilm in den Sprachen Deutsch, Englisch, Urdu, Paschtu, Dari und Arabisch. Weitere Videos zu den Themen Straf-, Zivil- und Familienrecht sollen zum Beispiel Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung oder die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vermitteln.
„Die Themen orientieren sich ganz bewusst an alltäglichen Fragen wie zum Beispiel: Was darf ich was darf ich nicht, und an wen kann ich mich in bestimmten Situationen wenden?“, erläutert Justizminister Winfried Bausback (CSU). Nach Angaben seines Ministeriums wurde der Grundlagenfilm seit Dezember bereits 210 000 mal angeklickt. Durch das Gesamtkonzept aus Rechtsbildungsunterricht, Erklärfilmen und einer im April erscheinenden Broschüre leiste die bayerische Justiz einen wertvollen Beitrag zu einer erfolgreichen Integration der Flüchtlinge mit hoher Bleibeperspektive, ist der Minister überzeugt.
In der Tat schauen andere Bundesländer neidvoll auf den Freistaat, der sich jedes Video immerhin 18 660 Euro kosten ließ: „Eigene Filmproduktionen gibt es aufgrund der finanziellen Situation bei uns nicht“, klagt ein Sprecher von Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne). Das Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz wolle daher die Kollegen in Bayern kontaktieren, ob die Erklärfilme auch in Thüringer Einrichtungen gezeigt werden können. Bisher werden die Grundlagen der Verfassung und des deutschen Rechtssystems nur in den Erstorientierungskursen in den Erstaufnahmestellen vermittelt.
In Baden-Württemberg hat Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) ein Handbuch für die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe herausgegeben. Außerdem ist ähnlich wie in Bayern geplant, den Rechtsbildungsunterricht durch Richter und Staatsanwälte in die Sozial- und Verfahrensberatung in Erstaufnahmeeinrichtungen zu integrieren. Laut bayerischem Justizministerium haben weitere Bundesländer Interesse an dem Projekt bekundet.
„Solche Initiativen können für Flüchtlinge hilfreich sein, sich im Alltag in verschiedenen Lebensbereichen zurechtzufinden“, lobt eine Sprecherin von Pro Asyl. Es gebe inzwischen eine Vielzahl an Videos, Webseiten und Apps, die beispielsweise als Sprachhilfe dienen. Pro Asyl hat diese gesammelt und auf seiner
Webseite zur Verfügung gestellt. Was dort fehlt, ist die neue
Sprachtafel „Lerne Deutsch!“, die der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung Martin Neumeyer (CSU) kürzlich herausgegeben hat.
Kostenlose Sprachtafel
Der mit Piktogrammen symbolisierte Basiswortschatz ist thematisch in Bereiche wie Schule, Behörde oder Freizeit gegliedert. „Die Sprachtafel ermöglicht es den Neuankömmlingen, ab dem ersten Tag mit der deutschen Sprache vertraut zu werden“, schwärmt Neumeyer. Pro Asyl warnt allerdings, dass solche Angebote nie Sprachkurse ersetzen können. „Weiterhin unumgänglich bleibt daher der Zugang zu Sprach- und Integrationskursen für alle Asylsuchenden“, betont die Sprecherin. Arif Tasdelen (SPD) mahnt außerdem eine kulturelle Überarbeitung an: „Eine Kaffeetasse und ein Croissant sind für Syrier nicht unbedingt ’das Frühstück’“.
Zumindest die Filmchen aber kommen bei den Asylbewerbern gut an: „Ich habe mir die Erklärfilme gemeinsam mit Flüchtlingen angesehen, und wir finden sie sehr gut“, sagt Christine Kamm (Grüne) der Staatszeitung. „Auch die Fragen, wie man es erreichen kann, dass man vor Gewalt, Terror und Krieg geschützt ist und wie Meinungsfreiheit funktioniert, interessiert viele Flüchtlinge sehr.“ Allerdings vermisst Kamm weitere Videos: zum Beispiel darüber, wie das Asylverfahren oder Bildungssystem funktioniert. Oder wie Flüchtlinge zu einem Sprachkurs kommen. Und nicht zuletzt, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um arbeiten zu dürfen. „Auch wäre ein Chart zur Gleichberechtigung von Homosexuellen sinnvoll“, ergänzt Kamm.
Hans Jürgen Fahn (Freie Wähler) sieht die Erklärfilme zusammen mit dem Rechtsbildungsunterricht und Informationsmaterial ebenfalls als wichtigen Beitrag, um der Entstehung von Parallelgesellschaften und Paralleljustiz entgegenzuwirken. Er fordert aber, die Trennung zwischen staatlicher Gewalt und kirchlicher Lehre klarer herauszustellen. „Oft sind fundamentale religiöse Darstellungen die Wurzel von Gewalt und die Triebfeder für Auseinandersetzungen“, erläutert der Abgeordnete. Wenn sich bei der Evaluierung des Projekts bis Ostern ein Erfolg nachweisen lasse, könne über die Ausweitung auf Bundesebene nachgedacht werden.
Der bayerische Flüchtlingsrat hingegen glaubt nicht, dass sich Flüchtlinge die Erklärfilme anschauen. Und selbst wenn: Flüchtlinge würden im Alltag zahlreiche rassistische Erfahrungen machen. „Kommt da das Gleichheitsversprechen nicht ein bisschen wie Hohn daher?“, fragt Sprecher Stephan Dünnwald. Wenn Geld ausgegeben wird, solle das lieber in soziale Projekte statt in Videos mit „drohendem Zeigefinger“ investiert werden. „Und warum denkt man, Flüchtlingen die Errungenschaften des deutschen Strafrechts nahebringen zu müssen, obwohl die Straffälligkeit nicht höher liegt als die von Einheimischen der gleichen Altersklasse?“, schimpft Dünnwald. So müssten Flüchtlinge glauben, die Deutschen hielten sie pauschal für eine „Diebes- und Mörderbande“.
SPD-Mann Tasdelen wünscht sich konkrete Hilfestellungen wie zum Beispiel den Ausbau der Online- und Medienangebote anstelle von „Nachhilfe in Benimmregeln“. Viele Flüchtlinge flöhen doch gerade vor Menschenrechtsverletzung und wüssten daher die freiheitlich-demokratischen Prinzipien durchaus zu schätzen. Aus diesem Grund sei der direkte Kontakt mit den Menschen vor Ort viel wichtiger. „Nur durch gelebte Integration“, sagt Tasdelen der BSZ, „können Werte verinnerlicht werden.“
(David Lohmann)
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