Politik

Montessori-Schüler gestalten unter Anleitung einer Spiel- und Lerndesignerin mit Figuren einen Comic. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

04.10.2019

"Otto Normalbürger kann sich das nicht leisten"

In Bayern besuchen besonders viele Kinder Privatschulen, die oft gar nicht alle Interessenten aufnehmen können – warum ist das so?

Öffentliche Schulen? Nicht alle Eltern finden, dass ihr Kind dort am besten aufgehoben ist. Gut 14 Prozent der bayerischen Schüler besuchen eine privat geführte Einrichtung. Damit liegt der Freistaat bundesweit an der Spitze. Manche sehen hier bedenkliche Entwicklungen.

An das erste Gespräch mit dem Leiter der Schule, die ihre Tochter Sophie besuchen sollte, kann sich Nina Hornfischer gut erinnern. Gut vier Jahre ist das her. Sophie, damals knapp sechs Jahre alt, sollte ein Jahr zurückgestellt werden. „Sie war damals einfach noch nicht so weit“, sagt Hornfischer, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter im oberfränkischen Landkreis Hof lebt. Der Rektor akzeptierte das. Als die Mutter ihn allerdings auf Sophies Schüchternheit hinwies und ihn bat, ob man später darauf ein wenig Rücksicht nehmen könnte, blockte er schroff ab: Da könne es keine Sonderbehandlung geben, stattdessen solle die Familie mit der Kleinen lieber einen Psychologen konsultieren.

Nina Hornfischer war sprachlos. „In diese Schule kommt mein Kind nicht“, beschloss sie. „Ich hatte Angst, dass Sophie dort durchs Raster fällt und dann vielleicht in eine Sonderschule muss“, sagt sie heute. Nach einiger Überlegung entschieden die Eltern, ihre Tochter in eine private Einrichtung zu bringen: die Montessori-Schule in Berg, gut 15 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt.

Damit ist Sophie eines von gut 200 000 Kindern und Jugendlichen in Bayern, die eine Privatschule besuchen. Deren Anteil an der Gesamtschülerzahl beläuft sich nach Angaben des Verbands Bayerischer Privatschulen (VBP) auf 14,6 Prozent. Zum Vergleich: 2010 betrug ihr Anteil 13,6 Prozent. Damit liegt der Freistaat bundesweit an der Spitze – in Schleswig-Holstein beispielsweise drücken nur knapp fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen die Schulbank in einer Einrichtung unter privater Trägerschaft.

Das hänge auch mit der hohen Zahl an kirchlichen Bildungsstätten zusammen, die in Bayern eine lange Tradition haben, sagt VBP-Vorsitzender Bernd Dietrich. Gut 300 katholische Schulen mit mehr als 80 000 Schülern gibt es im Freistaat, hinzu kommen 160 Einrichtungen der Evangelischen Schulstiftung. Außerdem, ergänzt Dietrich, seien die Förderschulen in Bayern zu 90 Prozent in der Hand privater Träger. Nicht zu vergessen das berufliche Schulwesen, in dem sich ebenfalls viele nichtstaatliche Einrichtungen finden – allein 200 Schulen im Bereich Gesundheit und Pflege.

In München besucht fast jedes fünfte Kind eine Privatschule

Im bayerischen Kultusministerium betont man, dass die privaten Bildungsstätten das Angebot der staatlichen Schulen „bereichern und ergänzen“. Zu möglichen Gründen dafür, warum Eltern ihre Kinder auf einer Privatschule unterbringen, will sich eine Ministeriumssprecherin nicht äußern: „Eine seriöse Einschätzung“ hierzu könne man nicht treffen. Sie verweist jedoch auf Statistiken, denen zufolge die Zahl der Privatschüler im Freistaat in den vergangenen Jahren sogar etwas gesunken sei: Im Schuljahr 2018/19 besuchten rund 144 000 Kinder und Jugendliche allgemeinbildende Schulen in privater Trägerschaft, im Schuljahr 2010/2011 seien es noch 157 000 gewesen.

VBP-Vorsitzender Bernd Diet-rich erkennt dennoch einen Trend zu Privatschulen. Vor knapp 30 Jahren hätten zwölf bis 14 Prozent der Eltern in Umfragen angegeben, dass sie ihr Kind gern auf eine nichtstaatliche Einrichtung schicken würden. Heute dagegen seien es 50 Prozent. Das hänge auch mit Veränderungen in der Gesellschaft zusammen. „Die Nachfrage ist pluraler geworden“, sagt Dietrich. „Das Individuelle ist stark nach vorne gegangen. Die Eltern suchen sich die Schule, die zu ihnen passt.“ Und das sei eben nicht unbedingt die Einrichtung im jeweiligen Schulsprengel.

Vor allem in größeren Städten sei das zu beobachten. In München etwa besuche inzwischen fast jeder fünfte Schüler eine private Bildungsstätte, schätzt der Vorsitzende: „In Ballungsbereichen kann es gerade im Grundschulbereich schwierig werden, einen Platz zu bekommen, wenn die Schule ein gutes Angebot hat. Da ist die Nachfrage oft erheblich höher als das Angebot an Plätzen.“ An der privaten Grundschule in Holzkirchen zum Beispiel habe man der Hälfte der Interessenten absagen müssen – trotz der Kosten von 355 Euro pro Monat.

An der Montessori-Schule im oberfränkischen Berg, die Sophie besucht, werden monatlich immerhin 173 Euro fällig. Dennoch kenne sie hier etliche Eltern, die nicht unbedingt zu den Besserverdienenden gehörten, sagt Nina Hornfischer: „Es kommt immer auf die Prioritäten in den Familien an. Da fließt das Kindergeld eben komplett in die Schulbildung.“

Auch Bernd Dietrich betont, dass die meisten Privatschulen für jeden erschwinglich seien. Oft seien die Elternbeiträge einkommensabhängig gestaffelt. „Und wenn jemand aufgrund seiner finanziellen Situation nicht die Möglichkeit hat, Schulgeld zu bezahlen, gibt es in vielen Privatschulen die Möglichkeit, das Schulgeld ganz oder teilweise zu erlassen.“ An Förderschulen werde normalerweise überhaupt kein Elternbeitrag verlangt, an kirchlichen Schulen oft nur 30 oder 40 Euro pro Monat. Und an berufsbildenden Schulen im Gesundheitsbereich werde das Schulgeld immer häufiger abgeschafft – wegen des Pflegenotstands. Stattdessen gebe es zum Teil schon eine Ausbildungsvergütung.

Martin Löwe überzeugt das nicht. „Der Otto Normalbürger, der mit seinem Einkommen gerade so über die Runden kommt, wird sich mit Sicherheit keine Privatschule für sein Kind leisten“, sagt der Vorsitzende des Bayerischen Elternverbands. Mit Sorge beobachte man gerade in größeren Städten die Tendenz, dass sich Besserverdienende mehr und mehr abschotteten und ihre Kinder an privat geführten Einrichtungen anmeldeten. Vor allem dann, wenn die eigentlich zuständige öffentliche Schule von zahlreichen Kindern aus Migrantenfamilien besucht werde. Eine bedenkliche Entwicklung, findet Löwe: „Wir sind für eine Durchmischung, um das Sozialgefüge zusammenzuhalten.“

Dabei stehe der Elternverband Privatschulen grundsätzlich durchaus positiv gegenüber, sagt der Vorsitzende. Schließlich könnten sie dank größerer Freiräume Ideenschmiede und Vorreiter für Neuerungen in Pädagogik und Didaktik sein – „und das fließt dann glücklicherweise auch ins staatliche Schulsystem ein“. Bernd Dietrich bestätigt das: „Die Konkurrenz tut dem Schulsystem insgesamt gut.“ Eine Qualitätskontrolle sei dabei durchaus gegeben, betont er, etwa durch verpflichtende Jahrgangsstufentests. „Und die Abschlussprüfungen sind dieselben wie an öffentlichen Schulen.“

Nina Hornfischer jedenfalls hat die Schulwahl für ihre Tochter nicht bereut: „Wir sind sehr zufrieden.“ Vor allem deshalb, weil Sophie hier bestens integriert sei, auch dank individueller Förderung und verständnisvoller Lehrerinnen. „Privatschulen nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder“, sagt die Mutter. „In normalen Schulen dagegen fallen Kinder, die anders sind als die anderen, ganz schnell durchs Raster.“ (Brigitte Degelmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.