Politik

Mit der Pandemie nutzen Bürger*innen digitale Angebote verstärkt. (Foto: dpa/Sascha Steinach)

23.10.2020

Per Mausklick ins Rathaus

Corona beschleunigt die Digitalisierung der Verwaltung – aber noch längst nicht in allen Kommunen

Wie sieht der Arbeitsplatz eines bayerischen Bürgermeisters im Jahr 2020 aus? Türmen sich dort noch Stapel von Akten, Rechnungen und losen Blättern? Nein, sagt Karlheinz Roth, Rathauschef der knapp 4000 Einwohner zählenden Gemeinde Spiegel-au im Bayerischen Wald. „Unsere Verwaltung arbeitet nahezu vollständig digital. Auf meinem Schreibtisch liegt im Normalfall kein Papier mehr. Zumindest keines, das von mir verursacht ist.“

Seit gut drei Jahren läuft in Spiegelau und der Nachbargemeinde Frauenau das Modellprojekt „Digitales Dorf“ der Staatsregierung. In dieser Zeit hat sich erstaunlich viel getan. Roth erzählt von rund 20 Einzelprojekten, die man umgesetzt habe: etwa digitale Sprechstunden, die Ärzte im Seniorenheim anbieten, und die Smartphone-App, mit der Bürger*innen direkt die Gemeinde informieren können, wenn etwa ein umgefallener Baum den Weg versperrt. Und nicht nur auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters, sondern in der gesamten Gemeindeverwaltung hat sich viel verändert. „Wir sind zu 90 Prozent ein digitales Rathaus“, sagt Roth. „Wir haben unsere Workflows sukzessive digitalisiert.“ Schickt beispielsweise eine Baufirma eine Rechnung in Papierform, so wird das Blatt zuerst eingescannt und wandert über Datenleitungen weiter durch die Verwaltung – digitale Postmappen und die Vernetzung sämtlicher Programme machen es möglich.

Gerade kleinere Kommunen haben noch Vorbehalte

Selbst das herkömmliche Abzeichnen der Kostenforderung mit Kugelschreiber entfällt, erklärt der Rathauschef. „Ich unterschreibe keine Rechnungen mehr, sondern signiere digital mit einem Passwort.“ Inzwischen sei die Verwaltung so weit, dass bei einem ähnlichen Lockdown wie im vergangenen Frühjahr sämtliche Bereiche des Rathauses reibungslos von zu Hause aus arbeiten könnten.

Auch die Bürger profitierten davon. Mancher Behördengang wird überflüssig. Sämtliche Urkunden könnten beispielsweise online angefordert werden, erklärt Roth. Etliche Anträge ließen sich ebenfalls auf digitalem Weg erledigen, zum Beispiel für Wahlunterlagen oder ein Führungszeugnis. Möglich macht dies das Bürgerservice-Portal der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB), das inzwischen zahlreiche Städte und Gemeinden nutzen. Im bundesweiten Vergleich seien die bayerischen Kommunen in Sachen Digitalisierung weit fortgeschritten, sagt AKDB-Pressesprecher Florian Kunstein. Und auch die Nachfrage steige, vor allem wegen der Corona-Pandemie. „Insgesamt gab es von September 2019 bis August 2020 etwa 2,4 Millionen Vorgänge in den Bürgerservice-Portalen der AKDB“, sagt Kunstein. „Das sind über eine Million Vorgänge mehr als im Vorjahreszeitraum.“ Ein Grund dafür: Die An- und Abmeldung von Fahrzeugen via Internet wurde während der Pandemie erheblich erleichtert. Das umständliche Authentifizierungsverfahren mit dem elektronischen Personalausweis ist derzeit nicht notwendig. Die Folge: „Die Zahlen bei der Online-Kfz-Zulassung sind durch die Decke gegangen. Seit Corona-Beginn im März haben sie sich um das 19-Fache erhöht“, resümiert der AKDB-Sprecher.

Die Stadt Nürnberg setzt ebenfalls verstärkt auf digitale Angebote. Derzeit gebe es 350 PDF-Dateien, die elektronisch ausgefüllt werden könnten, sowie 320 Online-Assistenten und 20 Workflows, teilt Olaf Kuch vom städtischen Direktorium Bürgerservice, Digitales und Recht mit. Auch hier gehen die Nutzerzahlen steil nach oben. Die Aufrufe der PDF-Dateien haben sich im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt, bei den Online-Assistenten registriert man immerhin eine Zunahme von gut 60 Prozent. Alle Nürnberger*innen hätten ein „Kunden-Konto“ auf der Bürgerservice-Plattform Mein Nürnberg und könnten darüber die Dienstleistungen nutzen – was gut 11 500 Einwohner tatsächlich machen. „Gut läuft es bei allen Bürgerdiensten, insbesondere der Ausländerbehörde“, sagt Kuch. Verbesserungspotenzial sieht er dort, wo die Angebote nicht gut zu finden oder zu kompliziert seien.

Auch Kunstein sieht noch Luft nach oben. Zwar bieten viele Gemeinden inzwischen Online-Formulare an. Allerdings wüssten etliche Bürger nichts von diesem Service. „Hier müsste die Verwaltung mehr Werbung machen“, sagt er. Und: Gerade in kleineren Kommunen gebe es durchaus Vorbehalte gegen die Digitalisierung – nach dem Motto „des braucht’s bei uns net“. Eine „psychologische Schwelle“ sei das, die jedoch in Corona-Zeiten, in denen es persönliche Kontakte zu vermeiden gilt, allmählich überwunden werde.

Zumal es die Verpflichtung zum Handeln gibt. Denn das Onlinezugangsgesetz (OZG) aus dem Jahr 2017 schreibt Bund, Ländern und Kommunen vor, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. In Bayern sollen die 54 wichtigsten Dienstleistungen schon bis Ende dieses Jahres online zur Verfügung stehen, teilt ein Sprecher des Digitalministeriums mit: zum Beispiel die Beantragung von Eltern- und Familiengeld, von Gesundheitszeugnissen und Bewohnerparkausweisen. Allerdings heißt das nicht, dass dies ab 2021 tatsächlich überall möglich ist, schränkt der Sprecher ein. Denn: „Wir liefern nur die Vorarbeiten.“ Für die konkrete Umsetzung müssten letztlich Städte, Gemeinden und Landkreise selbst sorgen. Immerhin gibt es dafür seit Oktober 2019 das Förderprogramm „Digitales Rathaus“, das bis Herbst 2023 läuft. Bis 30. September seien hier 2,2 Millionen Euro bewilligt worden, sagt der Sprecher. Nicht allzu viel, wenn man bedenkt, dass insgesamt rund 42 Millionen Euro zur Verfügung stehen und Förderungen bis zu 90 Prozent möglich sind. „Das läuft noch etwas zögerlich“, findet auch Kunstein.

Den Landtags-Grünen genügt das Förderprogramm nicht. In einem Antrag forderten sie kürzlich mehr Hilfe für die Kommunen bei der Digitalisierung der Verwaltung. Zum Beispiel durch Digitallotsen in den Landratsämtern, die die Gemeinden beraten sollen. Dass manche Kommune mit den technischen Fragestellungen überfordert ist, räumt Kunstein ebenfalls ein. Auch wegen der steigenden Sicherheitsanforderungen, die inzwischen nur noch Profis erfüllen könnten. Diese Spezialisten seien allerdings Mangelware, gerade im ländlichen Raum. Eine Lösung sieht der AKDB-Sprecher darin, dass sich Kommunen in Sachen Digitalisierung zu größeren Einheiten zusammenschließen. „Wie in Deutschland Digitalisierung betrieben wird, ist oft zu kleinteilig“, sagt er. „Sinnvoller ist es, dass nicht jeder für sich arbeitet, sondern dass einer für alle eine Blaupause entwickelt.“
(Brigitte Degelmann)

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