Politik

Motiviert in die Zukunft: der Wagenknecht-Unterstützer*innenkreis mit Rolf Walther in der Mitte. (Foto: Stumberger)

12.01.2024

Polit-Scheidung im Oberland

Wie ein Kreisvorstand der Linken zur neuen Wagenknecht-Partei wechselt

Mit einem Wahlergebnis von 1,5 Prozent der Stimmen bei der letzten Landtagswahl ist die Linkspartei im Freistaat eine marginale Größe. In ländlichen Regionen wie dem Oberland, traditionell eine konservative Hochburg aus CSU und Freien Wählern, tun sich die Genossen noch schwerer als in den Städten. Und die Gründung der neuen Wagenknecht-Partei am vergangenen Montag in Berlin hat auch Auswirkungen in Bayern: zum Beispiel, dass einen Tag vor der Neugründung der komplette Vorstand des Linken-Kreisverbands Oberland zurückgetreten ist, man engagiert sich jetzt für die neue Partei. Szenen einer Scheidung.

Streit um die Abgrenzung nach rechts

Am Ende gab es noch ein paar Umarmungen, dann war das Tischtuch zwischen den ehemaligen Genossinnen und Genossen zerschnitten. Zweieinhalb Stunden dauerte am vergangenen Sonntag die Jahreshauptversammlung des Kreisverbands Oberland im Gasthof Moosmühle im oberbayerischen Huglfing. Während es draußen schneite, ging es drinnen vor allem um Formalien wie die Entlastung des bisherigen Vorstands und um die fälligen Neuwahlen.

Und Kreisverbandssprecher Rolf Walther zog die Bilanz des vergangenen Jahres. Der 77-Jährige ist in der Region geboren und war 40 Jahre in der SPD, bevor er 2005 zur Linken stieß. Seit 2020 sitzt er für die Linkspartei im Kreistag von Garmisch-Partenkirchen, er ist eines der Zugpferde, die die Partei bewegen. Zu Aktionen wie dem Neujahrsempfang, zu dem immerhin 70 Leute kamen. Oder der Teilnahme an der Anti-Siko-Demo in München.

Erstmals gab es 2023 einen Ostermarsch in der Region. Und im Juni die Teilnahme an der großen Friedensdemo in Berlin. „Wie sich die Parteiführung da verhalten hat“, sagt Walther später im Gespräch, „war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Er meint die Distanzierung der Parteispitze von der Demonstration. Schließlich der Landtagswahlkampf im vergangenen Jahr, bei dem die Linkspartei auf 1,5 Prozent der Stimmen einbrach.

Nach dem Rückblick geht das Formale rasch: Der alte Vorstand wird entlastet, ein neuer gewählt. Er möchte einen „freundschaftlichen und reibungslosen Übergang“, sagt der alte Kassierer zum neuen. Das war’s, große Debatten gibt es nicht. Nicht mehr. „Die Diskussionen hatten wir seit zwei Jahren“, sagt Elisabeth Osiander, die nun neu gewählte Sprecherin des Kreisverbands. Die 34-jährige Altenpflegerin ist seit 2017 in der Partei, jetzt ist sie froh, dass „nun Klarheit“ herrscht.

Wo waren die Streitpunkte? Schon in Sachen Friedenspolitik, aber auch bei der Abgrenzung „nach rechts“. Das hatte auch der Landesverband bei einer vom Kreisverband ausgerichteten Friedensdemo in Starnberg kritisiert. Und es sei auch eine Generationenfrage: die Alten gegen die Jungen, von denen es ziemlich wenige gibt. So sieht es auch der bisherige Kreisverbandssprecher. „Klar, es ist auch ein Generationenkonflikt“, sagt Walther, „wir Alten ticken anders, gerade in der Friedensfrage.“

In einem Schreiben haben er und etliche andere Genossen ihren Wechsel hin zur Wagenknecht-Partei begründet. „Nach Jahren des Engagements und des persönlichen Einsatzes ist es traurig feststellen zu müssen, dass sich die Linke inzwischen so weit von ihrer Gründungsidee und ihren Idealen entfernt hat, dass sie nicht mehr unsere Partei ist.“ Es bleibe ein persönliches Fiasko für jeden, dass diese Entwicklung nicht verhindert werden konnte.

Es geht um Punkte wie einen „konsequenten Pazifismus“, inzwischen aber sei es aussichtslos, in der Linken „einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand gemeinsam und geschlossen zu vertreten“. Statt einer Politik für „Geringverdienende, Kleinselbständige, Hilfeempfänger und Menschen in Existenznot“ sei die Partei zu einer „sektiererischen Randgruppe“ geworden.

Eine Chance, neue Leute für die Linke zu gewinnen

Für die neue Linken-Kreissprecherin Elisabeth Osiander ist der Weggang der Wagenknecht-Leute auch eine Chance, neue Mitglieder zu gewinnen. Während die Älteren aus der Partei austreten, kämen Jüngere hinzu, vor allem in den Städten. Sie blickt positiv in die Zukunft. „Im Wahlkampf haben viele zu mir gesagt, euch kann man nicht wählen, ihr seid ja so zerstritten.“ Das sei jetzt vorbei.

Nach der Jahreshauptversammlung findet um 14 Uhr im gleichen Saal eine Versammlung der Wagenknecht-Freunde statt, die Linkspartei-Mitglieder gehen. Rolf Walther führt das Wort, er wird eines der ersten neuen Parteimitglieder und in Berlin beim Gründungsparteitag mit dabei sein. Seine Prognose: Von den rund 3500 Parteimitgliedern der Linken in Bayern werden an die 500 zur neuen Partei wechseln. (Rudolf Stumberger)
 

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