Politik

Statt die Vorteile von Hinweisgebern zu erkennen, setzen Behörden weiterhin auf Amtsverschwiegenheit und Geheimschutz. (Foto: dpa/Hans Wiedl)

17.05.2019

"Politiker verkennen den Nutzen von Insider-Infos"

Annegret Falter, Chefin des Whistleblower-Netzwerks, über Repressalien gegen Hinweisgeber, zunehmende Geheimhaltung in Politik und Wirtschaft und die neue EU-Richtlinie

Durch Hinweisgeber kamen in Bayern Salmonellen-, Finanz-, Missbrauch- oder Kunst-Skandale ans Licht. Statt Dank erhielten sie die Kündigung. Dabei ist eine funktionierende Demokratie auf Insider-Hinweise angewiesen, meint das bundesweite Whistleblower-Netzwerk. Eine neue EU-Richtlinie stärkt den Hinweisgeberschutz.

BSZ: Frau Falter, sind Whistleblower Helden oder Verräter?
Annegret Falter: Das ist wohl eine Frage der Perspektive. Whistleblower haben eine Loyalitätspflicht ihrem Arbeitgeber gegenüber. Wenn sie Rechtsbrüche oder sonstige Missstände aus ihrem Arbeitsumfeld öffentlich machen, dann kann es schon sein, dass der Arbeitgeber das als Verrat ansieht. Der Whistleblower dagegen hat möglicherweise erkannt, dass er oder sie noch eine andere, vielleicht höhere Loyalitätspflicht hat – nämlich der Gesellschaft gegenüber. Er befindet sich in einem Loyalitätskonflikt. Da geht es ja zum Beispiel um den Schutz der Gesundheit der Menschen.

BSZ: Inwiefern?
Falter: Nehmen Sie den Fall des Martin Porwoll, der in Bottrop Krebspatienten darüber informiert hat, dass sie in großem Umfang gepanschte Zytostatika aus der Apotheke erhalten haben, in der Porwoll arbeitete. Diese Information mag vielen Menschen das Leben gerettet haben. Aus deren Sicht ist Martin Porwoll gewiss ein Held.

BSZ: Trotzdem werden Hinweisgeber oft als Verräter bezeichnet. Warum?
Falter: Ich glaube, das ist so, weil der Nutzen des Whistleblowing für das Gemeinwohl immer noch zu wenig bekannt ist. Über eher alltägliche Fälle wird nur kurz berichtet, dann geraten sie in Vergessenheit.

BSZ: Wie wichtig sind Whistleblower für eine Demokratie?
Falter: Demokratie setzt voraus, dass die Bürgerinnen und Bürger informiert an politischen Diskussionen teilnehmen und sich ein Urteil bilden können. Wie sollen sie zum Beispiel eine Wahlentscheidung treffen, wenn ihnen wichtige Informationen fehlen? Die Geheimhaltung in Politik und Wirtschaft nimmt zu, nicht ab. Damit gewinnen Insider-Informationen an Wichtigkeit. Oder Parlamentarier: Wie können sie über Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheiden, wenn ihnen Hintergrundinformationen über die Gefahrenlage vorenthalten werden?

BSZ: In Bayern setzt die Politik vor allem im Pflegebereich auf Hinweisgeber, um Fälle von Betrug und Missbrauch aufzudecken. Ist der Fokus richtig?
Falter: Können Sie mir einen Bereich in Politik und Wirtschaft nennen, der per se vor Straftaten und Machtmissbrauch sicher ist? Wenn Whistleblower Korruption melden, sind sie in Deutschland schon seit zehn Jahren geschützt, sogar Beamte. Im Finanzbereich, bei der Lebensmittelsicherheit – überall hat man gemerkt, dass man ohne Insider-Hinweise nicht weiterkommt. Die Konsequenz sollte endlich ein umfassendes Whistleblower-Schutzgesetz sein. Ein Whistleblower sollte nicht erst Erkundigungen einholen müssen, ob er in diesem oder jenem Bereich etwas melden darf oder nicht. Eine derartige Rechtsunsicherheit ist nicht zumutbar und wirkt abschreckend.

BSZ: Die bayerische Staatsregierung sei mehr an der Verfolgung von Whistleblowern in staatlichen Behörden als an der Aufklärung der aufgedeckten Missstände interessiert, behauptet die Opposition.
Falter: Danach sieht es in der Tat aus. Während sich das Bild des Whistleblowers nicht zuletzt wegen bekannt gewordener Fälle in der Bevölkerung langsam zum Positiven verändert, scheint die Nachricht vom Nutzen des Wistleblowing in der deutschen Politik noch nicht angekommen zu sein. Das Beharren auf Amtsverschwiegenheit und Geheimschutz ist ja auch bequemer. Jedenfalls kurzfristig.

BSZ: Laut neuestem Whistleblowing Report 2019 verfügen in Deutschland immerhin 56 Prozent der Firmen über Meldestellen. Findet ein Umdenken statt oder haben sie nur Angst vor öffentlichen Leaks?
Falter: Solche Unternehmer sind besonders klug und nutzen die Möglichkeit eines Frühwarnsystems, das sie vor Reputationsverlust, finanziellen Schäden oder Strafen bewahren kann.

BSZ: Im März wurde die EU-Richtlinie zum Whistleblower-Schutz verabschiedet. Was verändert sich dadurch?
Falter: Whistleblower können nun je nach ihrer Einschätzung der konkreten Situation frei entscheiden, ob sie sich zuerst innerhalb ihres Unternehmens zu Wort melden oder einen Missstand gleich bei einer zuständigen Stelle anzeigen wollen. In beiden Fällen sind sie geschützt. So hatte schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte etwa in dem berühmten Fall Heinisch gegen Deutschland entschieden. Es wird höchste Zeit, dass die deutsche Gesetzgebung dem folgt. Das Whistleblowing gegenüber der Öffentlichkeit ist gemäß der Richtlinie aber nach wie vor nur unter Ausnahmebedingungen zulässig.

BSZ: Ist die Richtlinie ein Erfolg?
Falter: Ja, wir betrachten das Ergebnis durchaus als Erfolg. Als Erfolg für das Europaparlament, Gewerkschaften, journalistische und andere zivilgesellschaftliche Gruppen. Denn die haben sich in wesentlichen Punkten gegen den Willen der nationalen Regierungen im Rat durchgesetzt. Und als Erfolg für potenzielle Whistleblower. Die sind künftig gerade in Deutschland in viel mehr Fällen und besser geschützt. Und als Erfolg für die Demokratie, denn den Arbeitgebern in Unternehmen und Behörden wurde der exklusive Erstzugriff auf Hinweise ihrer Angestellten und Beamten entzogen. Damit wird ihr Handlungsspielraum nach Erhalt eines Hinweises eingeschränkt, dagegen haben sie sich erbittert zur Wehr gesetzt.

BSZ: Oft sitzen aber Chefs am längeren Hebel. Wie steht es um den Schutz von Whistleblowern in Unternehmen?
Falter: Bisher sieht es so aus: Wenn Arbeitnehmer einen Missstand innerhalb der eigenen Organisation melden, handelt es sich um internes Whistleblowing und ist rechtlich zulässig. Inoffiziell führt das aber trotzdem häufig zu Repressalien, Ausgrenzung und Mobbing. Eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft oder den Aufsichtsbehörden, das sogenannte externe Whistleblowing, kann als Verletzung der Treuepflicht gewertet werden und die Kündigung nach sich ziehen. Das war sogar bei Martin Porwoll so. Das öffentliche Whistleblowing gegenüber den Medien oder im Internet hat in allen bisher bekannten deutschen Fällen zur Kündigung geführt, obwohl es als Flucht an die Öffentlichkeit als letztes Mittel theoretisch geschützt ist.

BSZ: An wen können sich Hinweisgeber in Firmen oder Behörden wenden?
Falter: Die neue Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten oder über zehn Millionen Umsatz Hinweisgebersysteme einführen müssen. Generell gilt, dass es viele Vorgänge gibt, die von der Sache her am besten intern zu melden sind. Häufig geht es nämlich um Regelverstöße, deren Beseitigung im Interesse der betroffenen Organisation selber liegt und auch tatsächlich geschieht.   

BSZ: In der Praxis dürfte schwer zu beweisen sein , ob die Beförderung aus fachlichen Gründen oder wegen öffentlichen Whistleblowings versagt wurde.
Falter: Die Richtlinie sieht in solchen Fällen eine Beweislastumkehr vor. Der Arbeitgeber muss glaubhaft machen, dass die Beförderung nicht unter einem Vorwand versagt wurde.
   
BSZ: Manche Beweggründe von Hinweisgebern mögen sehr subjektiv sein. Was, wenn Gerichte später der Meinung sind, der Verdacht des Hinweisgebers sei nicht hinreichend genug gewesen?
Falter: In Zukunft wird der Hinweisgeber nur darlegen müssen, dass er zum Zeitpunkt der Meldung von deren Richtigkeit überzeugt war.

BSZ: SPD-Bundesjustizministerin Barley hat die Whistleblower-Richtlinie bis zuletzt kritisiert, weil sie einen zu starken Eingriff in die Unternehmensinteressen befürchtete. Können Sie das nachvollziehen?
Falter: Ja. Arbeitgeberverbände, Unternehmen, Juristenverbände und die CDU leisten seit Jahren Widerstand gegen einen besseren Whistleblower-Schutz. Ich nehme an, die Koalition hat ihren Tribut gefordert.

BSZ: In den nächsten zwei Jahren muss die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Was muss dabei beachtet werden?
Falter: Alle genannten Verbesserungen hängen davon ab, dass sie tatsächlich im Sinne des europäischen Gesetzgebers in nationales Recht umgesetzt und Fortschritte nicht verwässert werden. Außerdem dürfen sich die Regelungen natürlich nicht nur auf europäisches Recht beziehen. In Deutschland muss endlich ein umfassendes Schutzgesetz Rechtssicherheit herstellen. (Interview: David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Systemfailure am 21.09.2019
    Wer tiefer und genauer schaut, wird leider erkennen, dass große Teile der SPD den besseren Schutz ebenfalls verhindern ...
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