Politik

LMU-Politikwissenschaftlerin Astrid Séville rät, Volksvertreter sollten klarmachen: "Politik ist Kompromissfindung. (Foto: David Ausserhofer/Körber-Stiftung/dpa)

03.11.2016

Politiker-Wortwahl drängt Menschen zu extremen Parteien

Das Wort "alternativlos" kommt Politikern gerne über die Lippen. Die Folgen sind aus Sicht von Wissenschaftlern fatal. Denn Demokratie bedeutet genau das Gegenteil: Das Abwägen von Alternative

Ein unter Politikern verbreitetes rhetorisches Mittel trägt nach Ansicht von Wissenschaftlern zum Erstarken radikaler Parteien wie der AfD bei. "Mit dem TINA-Prinzip, was als Abkürzung für "There's no Alternative" steht, meint man eben genau diesen Satz: "Es gibt keine Alternative"", erläuterte die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Auf diese Weise schlössen die Wortführer andere Optionen von vorneherein aus und entzögen sich jeglicher Kritik. Ganze Bevölkerungsgruppen fühlten sich dadurch von den etablierten Parteien ausgeschlossen und wendeten sich extremen Ansichten zu, betonte Séville. Für ihre Doktorarbeit zum "TINA-Prinzip" erhielt die 31-Jährige jüngst den mit 25 000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis 2016. Die Arbeit zeigt die weit reichenden Folgen der TINA-Rhetorik auf: Mit dem apodiktischen Satz blockt der Sprecher alle anderen Ansichten als unvernünftig, falsch oder moralisch nicht integer ab, wie Séville erläuterte. Die Folge: Andersdenkende wenden sich Rand-Parteien und extremen Gruppierungen zu. "Wenn ihnen jemand die ganze Zeit sagt, dass das, was sie für politisch richtig halten, doch gar nicht zur Debatte steht, dass das falsch oder überhaupt keine Option ist, dann fühlen sie sich an den Rand gedrängt und nicht ernst genommen", erläuterte Séville. "Entweder wenden sie sich dann ganz von der Politik ab, oder die Betroffenen radikalisieren sich und sagen: Wenn sie mich eh nicht mehr repräsentieren, will ich mit den etablierten Parteien auch nichts mehr zu tun haben."

Völlig falsches Demokratieverständnis

Zudem verfestige sich durch das Argumentationsmuster ein völlig falsches Demokratieverständnis. "Demokratie besteht nun mal aus schwierigen Aushandlungen, Kompromissfindungen, Unsicherheit", unterstrich Séville. Die eine Wahrheit, wie etwa von der AfD gerne in Anspruch genommen, habe in der Politik überhaupt nichts zu suchen. "Bei Politik geht es um Lösungen auf Zeit, und Demokratie besteht aus Streit, Diskussionen und der Formulierung von Alternativen." Die Wissenschaftlerin plädiert daher für mehr Bewusstsein bei Politikern, die das Wort "alternativlos" seit dessen Kür zum "Unwort des Jahres 2010" bereits seltener nutzten - wenn auch das Denkmuster meist bleibe. Zudem sollten die Volksvertreter klarmachen: "Politik ist Kompromissfindung, Politik besteht aus verschiedenen Optionen, und aus einer bestimmten programmatischen Position, einer bestimmten Überzeugung heraus stehe ich für diese oder jene Position ein." Dabei helfe vor allem auch eine starke Opposition. (dpa)

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