Politik

Auch in Augsburg sind sie unterwegs: Sicherheitswachtler, die als ehrenamtliche Helfer die Polizei unterstützen. (Foto: dpa)

30.06.2017

Polizei lästert über die Placebo-Truppe

Seit 20 Jahren gibt es in Bayern die ehrenamtliche Sicherheitswacht – die Opposition ist skeptisch, der Innenminister begeistert

Als der damalige Innenminister Günther Beckstein 1994 die ersten Sicherheitswachtler mit ihrer leuchtend grünen Armbinde auf Patrouille schickte, hatten die Männer und Frauen schnell einen Spitznamen weg: „wandelnde Notrufsäulen“. Gedacht war ihr Einsatz zur Bekämpfung der Straßenkriminalität und zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, doch polizeiliche Rechte bekamen sie nicht. Sie waren lediglich befugt, Personalien festzustellen und Platzverweise zu erteilen. Ausgerüstet mit Sprechfunkgerät und einem Fläschchen Reizgas galten für sie ansonsten die üblichen Notwehrparagrafen. Das heißt, sie durften im Ernstfall wie jedermann eingreifen und Täter bis zum Eintreffen der Polizei festhalten.

An diesen Regularien hat sich bis heute nichts geändert. Inzwischen sind in 133 bayerischen Städten und Gemeinden die ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Sicherheitswacht im Einsatz. 8 Euro Aufwandsentschädigung bekommen sie pro Stunde. 791 Mitglieder hat die Truppe derzeit, rund ein Drittel davon sind Frauen. Innenminister Joachim Herrmann will die Sicherheitswacht weiter ausbauen. Bis 2020 sollen 1500 der „Notrufsäulen“ unterwegs sein. „Sicherheitswachtler sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Polizei und Bevölkerung“, erklärt Herrmann. Als „Streifenpartner“ würden sie die Polizei informieren, wenn sie Vandalismus oder andere Ordnungsstörungen wahrnähmen. So unterstützten sie die Polizei aktiv.

„Im Verhältnis zum Aufwand ist das eine Nullnummer“

Dort aber hält sich die Begeisterung in Grenzen. Offiziell wird die Kooperation gelobt, doch hinter vorgehaltener Hand ist ein Seufzen nicht zu überhören. „Aus polizeilicher Sicht ist die Sicherheitswacht ein Placebo“, fasst Hermann Benker, Bayern-Chef der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, das Stimmungsbild zusammen. Ausbildung und Einsatzorganisation der Sicherheitswachtler seien für die Polizisten vor Ort eine zusätzliche Belastung, der messbare Ertrag sei minimal. „Im Verhältnis zum Aufwand ist das eine Nullnummer“, bilanziert Benker. Und er warnt vor der Gefahr von Übergriffen auf die Ehrenamtlichen in einer Zeit, da selbst Feuerwehrleute und Rettungskräfte vermehrt Gewalt ausgesetzt seien.

Die Landtagsopposition teilt diese Kritik. Eva Gottstein, Innenpolitikerin der Freien Wähler, spricht von „Scheinsicherheit“, die die Sicherheitswacht biete. Statt noch mehr Ehrenamtliche auf die Straße zu schicken, sollte Minister Herrmann seine Polizisten lieber von Verwaltungsaufgaben befreien und den Dienststellen mehr Beamte zuteilen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze fordert gar die Abschaffung der Sicherheitswacht. „Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit darf nicht die Sache von Amateuren sein“, betont sie. Skepsis herrscht auch bei der SPD. Besonders umstritten ist, dass die Wachtler nun auch im Umfeld von Asylbewerberheimen auf Streife gehen sollen.

Das Innenministerium weist die Kritik zurück. Die Sicherheitswacht sei weder Hilfspolizei noch Bürgerwehr, sondern dazu da, die Arbeit der Polizei zu ergänzen. Von „Amateuren“ will man auch nicht sprechen. Immerhin umfasse die Ausbildung 40 Unterrichtseinheiten je 45 Minuten, am Ende stehe ein 15-minütiges Prüfungsgespräch. Zudem fänden regelmäßige Fortbildungen statt. Nach den Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre sieht Minister Herrmann das Konzept „Bürger schützen Bürger“ bestätigt, der „Unkultur des Wegsehens“ werde mit der Sicherheitswacht erfolgreich entgegengewirkt.
(Jürgen Umlauft)

Kommentare (3)

  1. J.S. am 16.04.2020
    Diese neue Sicherheitswacht , die auf Plätzen die Menschen verweisen darf und aufhalten und Personalien aufnehmen darf, das gibt mir kein zusätzliches Sicherheitsgefühl,; sondern ganz im Gegenteil...wer kontrolliert diese Menschen ? Haben sie vielleicht eine Waffe dabei, oder wollen sich da ein paar Rechte endlich mal zeigen? Wer schützt den Migranten, den Schwarzen, wenn sie von diesen "Helfern" angemacht werden? Das ist doch kein gesteigertes Sicherheitsgefühl sondern beängstigend.
  2. Örnie am 03.07.2017
    Eigenartiger Weise geht's auch ohne ganz gut, jedenfalls in München im 5. Bezirk (Au-Haidhausen), zunehmende Bevölkerung, 27% Ausländeranteil, zwei Asylantenunterkünfte. Vor knapp einer Woche hatten wir erst die letzte Bürgerversammlung mit u.a. dem Sicherheitsbericht der Polizei: Weiterer Rückgang, von Gewalttaten, Einbrüchen, Fahrraddiebstählen usw. und das ganz ohne solchen halbstarken Polizeiverschnitt.
  3. otto regensbacher am 02.07.2017
    Wir haben auch in Bayern seit Jahren ein Sicherheitsproblem, weil Einbrecher und sonstige Rechtsbrecher (fast) problemlos ihren "windigen Geschäften" nachgehen können. Das was es vor einigen Jahrzehnten in Bayern gab, das waren Fußstreifen, Fahrradstreifen und Streifenfahrten der Polizei mit dem damaligen VW-Käfer. Heute läuft es ganz anders. Es gibt dürftig besetzte Großraumreviere. Mit dem Ergebnis, dass die Polizei meist erst unterwegs ist, wenn Straftaten begangen wurden. Man sollte also über die ehrenamtliche Sicherheitswacht nicht lästern, solange es bei der Polizei massiv an Personal für den Streifendienst mangelt!
Die Frage der Woche
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.