Politik

Olaf Scholz, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat, gibt beim Wahlkampfauftritt Autogramme. (Foto: dpa/Julian Stratenschulte)

23.09.2021

Popstar Scholz

Olaf Scholz hat seine Partei aus dem Umfragetief geführt. Wer steckt hinter dem möglichen Triumph der SPD?

Kaum tritt Olaf Scholz von der Bühne, geht er auf die Leute zu. "Na, wie geht's?", fragt der SPD-Kandidat. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl, und im niedersächsischen Soltau posiert Scholz für Selfies, gibt Autogramme wie ein Popstar - besonders gern in die roten SPD-Parteibücher. Im September 2021 steht Scholz vor einem möglichen Triumph, der lange undenkbar schien. Wie konnte die SPD mit ihrem Hang zur Selbstzerfleischung und einem als dröge verschrienen Kandidaten so weit kommen?

Nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel, während der die SPD tief in die Krise stürzte, ist ein sozialdemokratischer Sieg bei der Bundestagswahl greifbar. Scholz sagt, er spüre im Wahlkampf, dass sich im Land etwas verändert habe. Die Dynamik erinnere ihn an 1998. Damals schickte die SPD die Union in die Opposition, und Helmut Kohl musste im Kanzleramt Gerhard Schröder weichen. Und was bekommen die Wählerinnen und Wähler, wenn sie die SPD des Jahres 2021 wählen?

Scholz, Scholz, Scholz - den gesamten Wahlkampf über hat die SPD voll und allein auf ihren Kandidaten gesetzt. Scholz auf den Plakaten, Scholz auf den Podien, Scholz in Debatten, Scholz' Programm. Kein Schattenkabinett, keine Ablenkung.

Als die SPD den Vizekanzler im August 2020 als Kandidaten nominierte, frohlockte mancher bei der politischen Konkurrenz, der Bewerber passe ja gar nicht zur Partei. Schließlich war Scholz erst neun Monate vorher bei der Wahl zum Parteivorsitz Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unterlegen. "Wie ein linkes Programm mit Ausrichtung auf Grün-Rot-Rot zum Kandidaten Olaf Scholz passen soll, bleibt ein Rätsel", ätzte etwa Junge-Union-Chef Tilman Kuban.

Lange war vor allem einer von den Chancen von Scholz überzeugt - er selbst

Lange war vor allem einer von den Chancen von Scholz überzeugt - der Kandidat selbst. Die SPD schien festbetoniert in den 15-Prozent-Umfragen. Erst Ende Juli begann der Scholz-Zug auch in den Umfragen zu rollen. Der Vizekanzler überholte bei den Beliebtheitswerten Armin Laschet und Annalena Baerbock - und zog seine Partei mit.

Doch wer steckt hinter dem Frontmann Scholz - und wie viel Macht hat er in der SPD überhaupt? Laschet bemühte im Wahlkampf Troubadix - SPD-Vize Kevin Kühnert werde wohl bei der SPD genauso gefesselt, wie das in den Asterix-Heften das gallische Dorf mit seinem Barden tat. CSU-Chef Markus Söder sagte: "Olaf Scholz versteckt sein linkes Team."

Tatsächlich ist es erst gut zwei Jahre her, dass Kühnert, damals noch Juso-Chef, öffentlich über die Kollektivierung von Konzernen nachdachte. Das Wort der Parteichefin Esken und das des jungen SPD-Vize zählen viel im Willy-Brandt-Haus. Sie gelten als treibende Kräfte hinter einem Linksruck der SPD - und speziell Esken als schwer berechenbar. Doch in den Wochen vor der Wahl zeigten sich Esken und Kühnert voll auf Scholz-Linie und boten keinerlei Angriffsflächen.

Als Architekt des SPD-Aufstiegs gilt ein anderer - Generalsekretär Lars Klingbeil. Nach der Neuwahl der Parteispitze im Dezember 2019 bemühte vor allem er sich, einen Strich unter den SPD-internen Kleinkrieg zu ziehen. Einen Neuanfang sollte es geben nach dem von Streit und fiesen Vorwürfen begleiteten Rücktritt von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionschefin und der Vorsitzendensuche danach.

Die wichtigen Entscheidungen trifft in der SPD ein Quintett gemeinsam

"Es war meine Aufgabe, den Laden zusammenzuhalten und aus Gewinnern und Verlieren ein Team zu formen, in dem Sieg und Niederlage keine Rolle mehr spielten", sagte Klingbeil mal in einem Interview der "Zeit". Der Niedersachse pflegt einen eher leisen Stil, anders als früher polternde Generalsekretäre. Sein ideales Gegenbild unter den linken SPDlern fand er in Kühnert. Die beiden verbindet eine echte Freundschaft. Zusammen veröffentlichen sie einen Podcast, teilen eine Leidenschaft für Musik und Fußball, haben einen ähnlichen, frotzelnden Humor. Ihr gemeinsames Anliegen: Politik nicht als breitbeiniges Machtspiel zu betreiben, wie sie einmal betonten. Der Realpolitiker und der Linke stehen für Kulturwandel weg vom Hinterzimmerkampf - und geben ihrer Partei selbst ein Beispiel.

Die wichtigen Entscheidungen trifft ein Quintett gemeinsam: der Kanzlerkandidat, die Parteichefs, Klingbeil - und Fraktionschef Rolf Mützenich. Der linke Pragmatiker hat seine Fraktion gegenüber der Partei als selbstbewusste Kraft gefestigt. So gelang es der aktuellen Führungsriege, Disziplin in die SPD zu bringen. Ihre bis ins letzte Detail durchkomponierte Wahlkampagne spulte die Partei störungsfrei ab.

Doch wird nach der Wahl ein anderes Machtgefüge zum Vorschein kommen? Dagegen spricht: Gelingt es den Sozialdemokraten unter Scholz, den Fluch des scheinbar unaufhaltsamen Niedergangs der vergangenen Jahre zu brechen, dürfte kaum etwas in der Partei an dem Mann vorbeigehen, der für diesen Erfolg steht. Gleichzeitig könnte sich die gesamte etablierte Führung bestätigt sehen. Esken kündigte in einem Interview bereits an: "Wir haben eine Führung gemeinsam gebildet, die diesen weiten Weg jetzt zusammen gegangen ist, und diese gemeinsame Führung, die wird auch über den Wahltag hinaus gemeinsam arbeiten und dann auch gemeinsam Entscheidungen treffen."

Offen ist, ob sich die Verhältnisse in der SPD weiter verschieben. Einerseits könnten die Pragmatiker kräftig Aufwind bekommen - wenn Scholz im Bund, Franziska Giffey in Berlin und Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern allesamt erfolgreich aus dem Wahlsonntag hervorgehen. Andererseits könnte es in der Fraktion durchaus eine deutliche Bewegung nach links geben - so kandidieren allein 80 Jusos für das Parlament.

Angekündigt hat Scholz schon einmal, dass er im Fall eines Wahlsiegs selbst über seine Ministerinnen und Ministern entscheiden will. "Ich habe mir dort, wo ich Regierungschef war, in Hamburg, bei all den Regierungsbildungen nie reinreden lassen", sagte er im Wahlkampf. Er habe immer gewollt, "dass da Leute reinkommen, die das, was da zu bewältigen ist, gut können".
(Theresa Münch und Basil Wegener, dpa)

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