Politik

Zehntausende Menschen demonstrierten im Mai 2018 in München gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

11.01.2019

Präventivhaft ohne Anwalt

Eine Kommission evaluiert das neue Polizeiaufgabengesetz – Kritik übt sie im ersten Arbeitsbericht nicht, einige Auffälligkeiten haben die Mitglieder aber ausgemacht

Zehntausende Menschen demonstrierten letztes Jahr gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG). Hauptkritikpunkt ist, dass die Polizei schon bei „drohender“ Gefahr Menschen festsetzen kann. Die Staatsregierung reagierte und setzte eine unabhängige Kommission ein. In ihrem ersten Arbeitsbericht stellt sie fest: Es muss nachgebessert werden. Fallzahlen und Beschwerden aber sind bisher gering.

Letztes Jahr verdächtigte die bayerische Polizei einen Mann in Unterfranken, in Verbindung mit dem sogenannten Islamischen Staat zu stehen. Die Voraussetzungen für einen Untersuchungshaftbefehl, beispielsweise Fluchtgefahr, waren allerdings nicht gegeben. Dennoch entschieden die Richter, den Mann wegen „drohender“ Gefahr zwei Monate in Gewahrsam zu nehmen. Möglich macht das die PAG-Novelle. Bis 2017 lag die Präventivhafthöchstdauer lediglich bei zwei Wochen. Jetzt muss das Gericht nur noch spätestens alle drei Monate prüfen, ob von dem Betroffenen weiterhin eine Gefahr ausgeht.
Im Sommer vor der Landtagswahl demonstrierten bei der #noPAG-Demo Zehntausende Menschen in München gegen die Polizeireform. Die Staatsregierung reagierte auf die zunehmende Kritik und setzte eine unabhängige Kommission für Stellungnahmen und Empfehlungen dazu ein. Nach neun Sitzungen stellte sie diese Woche ihren ersten Arbeitsbericht vor. Konkrete Vorschläge wurden zwar noch nicht genannt. Klar wurde dennoch: Die Staatsregierung wird bei einigen Punkten nachbessern müssen.

Der Präventivgewahrsam betrifft nicht nur Terroristen. Dieser kann zum Beispiel auch angeordnet werden, wenn ein gekränkter Ehemann ankündigt, seine Frau umzubringen. Aber eben auch bei „erheblichen Eigentumspositionen“ oder „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“. Während das PAG für die Staatsregierung „effektivere Eingriffsbefugnisse im Kampf gegen Kriminelle und Terroristen“ beinhaltet, ist es für Kritiker ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsgrundrecht.

In einem juristischen Kommentar des bayerischen Landespolizeipräsidenten Wilhelm Schmidbauer zum PAG heißt es, schon vor der Einführung der „drohenden“ Gefahr sei es möglich gewesen, bei schwerer Gefährdung oder Lebensgefahr einzugreifen. Das sahen Grüne, SPD, FDP und Linke genauso. Inzwischen haben sie Klage beim bayerischen Verfassungsgerichtshof beziehungsweise beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Da die Polizei schon bei drohender Gefahr eingreifen könnte, würden sie die Aufgabe von Geheimdiensten übernehmen, so die Argumentation.

Laut PAG-Kommission wurde zwischen August 2017 und Juli 2018 in Bayern in insgesamt elf Fällen von Richtern eine Präventivhaft von mehr als zwei Wochen angeordnet. Im Bereich des Polizeipräsidiums Oberpfalz gab es einen Fall mit einer Haftdauer von sechs Wochen, im Bereich des Polizeipräsidiums Unterfranken zehn – darunter die zweimonatige Haftdauer des islamistischen Gefährders. In den anderen Fällen dauerte der Präventivgewahrsam zwischen 15 und 16 Tagen. Eine Fußfessel wurde in insgesamt vier Fällen angeordnet. Seit Juli 2018 sind vier neue Präventivgewahrsame mit einer Länge von über zwei Wochen hinzugekommen. Zu jedem dieser Fälle hat die Kommission einen Bericht angefordert, beispielsweise ob immer ein Anwalt eingeschaltet wurde. Antwort: nein.

Viele Bürger und Polizeibeamte sind derzeit verunsichert – allerdings aus unterschiedlichen Gründen

„Uns ist aufgefallen, dass in einigen Fällen kein Anwalt beigezogen wurde“, berichtete der PAG-Kommissionsvorsitzende und ehemalige Präsident des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Karl Huber. Zwar sei die rechtliche Regelung recht kompliziert und nicht in jedem Fall ein Anwalt zwingend vorgeschrieben. „Wir werden aber prüfen, ob man das klarstellen kann.“ Ein weiteres Augenmerk richtet sich laut dem Kommissionsmitglied und ehemaligen Präsidenten des bayerischen Landeskriminalamts, Peter Dathe, auf den Richterbeschluss für oder gegen die Präventivhaft. Das heißt: In welcher Tiefe wurde nachgefragt? Die Kommissionsmitglieder wiesen aber darauf hin, dass sie das PAG nur auf die Vollzugspraxis hin evaluiere, nicht auf die Vereinbarkeit mit der bayerischen Verfassung beziehungsweise dem Grundgesetz untersuche.

Kommissionsmitglied Erwin Allesch, ehemaliger Vizepräsident des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, betonte, dass es bisher noch keinen Rechtsstreit bezüglich der Abgrenzung zwischen konkreter und drohender Gefahr gab. „Entweder es gibt keine Fälle – oder die Betroffenen haben nicht geklagt“, erklärte er. Allesch betonte aber, dass in der Vergangenheit auch viele Amtsrichter der Ansicht der Polizei widersprachen, dass eine drohende Gefahr vorlag – und den entsprechenden Antrag abgelehnt hätten. Künftig sollen neben Gesprächen mit Richterverbänden und #noPAG-Vertretern auch welche mit den Polizeigewerkschaften geführt werden. Beispielsweise ob es bei der Polizei durch Fortbildungen das notwendige Know-how über das novellierte PAG gibt. Viele Polizeibeamte seien derzeit noch verunsichert. Eine erhöhte Anzahl von Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Polizisten oder polizeilicher Maßnahmenüberprüfungen durch Gerichte gebe es aber derzeit nicht.

Kommissionsmitglied Thomas Petri, der auch bayerischer Landesdatenschutzbeauftragter ist, hat bisher nur vereinzelt Eingaben zum PAG bekommen. „Das ist aber nicht verwunderlich, weil eine Reihe von Befugnissen noch sehr jung sind“, erläuterte er. Sein Fokus bei der Evaluierung liegt einerseits auf Artikel 14, also inwieweit im Rahmen der präventiven erkennungsdienstlichen Behandlung DNA-Identifizierungsmuster einbezogen werden dürfen. Andererseits auf Artikel 32, der sich mit der molekulargenetischen Untersuchung von Spurenmaterial am Tatort zum Beispiel hinsichtlich Geschlecht, Hautfarbe, Alter und Herkunft befasst. Petri hat den Eindruck, dass der Gesetzgeber der Polizeipraxis vorauseile. Online-Durchsuchungen im Rahmen des PAG seien hingegen aktuell kein Thema. „Die Fallzahlen bewegen sich zwischen null und eins pro Jahr.“ Dafür nehme die Durchsuchung von Datenspeichern zu.

Die Kommission kündigte an, bis zum Frühsommer 2019 weitere Empfehlungen abzugeben. Im Sommer will die Koalitionsregierung die Ergebnisse dann evaluieren. Während das #noPAG-Bündnis nach wie vor „erhebliche Zweifel“ an der Unabhängigkeit der Kommission hat, versichern die Mitglieder das Gegenteil: „Ich habe noch keine Beeinflussung im Nacken gespürt“, sagte LMU-Jurist Martin Burgi. Lediglich der kurze Zeitrahmen erschwere die Arbeit.

Von der SPD-Landtagsfraktion hieß es, sie „würdige“ die Arbeit der Kommission. Die Grünen hingegen übten Kritik. Deren Abgeordneter Martin Runge, Innenausschuss-Chef, bezeichnete Ansatz und Vorgehen der PAG-Kommission als „wenig ambitioniert und nicht zielführend.“ Die Zweifel und Bedenken der Bürger gegen die weitreichenden Polizeibefugnisse könnten mit dieser Herangehensweise nicht ausgeräumt werden. (David Lohmann)

(Foto: loh) Die PAG-Kommission: Peter Dathe, Erwin Allesch, Chef Karl Huber, Thomas Petri und Martin Burgi (v.l.n.r.) Nicht anwesend: Ex-Landessozialgerichtspräsidentin Elisabeth Mette.

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